Vom historischen Grill bis zu Gräbern
Gleich sechs Zeit-Epochen lassen sich im Industriegebiet Steinerner Mann feststellen. Mehr als 150 Funde haben die Archäologen dort bei Grabungen schon gefunden.
Es ist eines von mehreren Gräbern, das die Archäologen in Nördlingen an dieser Stelle ausgegraben haben. Die Totenruhe ist schon einmal gestört worden, wann genau ist noch nicht klar. Aber, so erzählt es ein Mitarbeiter vom Archäologiebüro Dr. Woidich, die Knochen zweier Kinder sind einmal beiseitegeschoben und zu einem Haufen aufgehäufelt worden, damit daneben eine erwachsene Person bestattet werden konnte. Ob ein familiärer Zusammenhang besteht? Das könne nur eine teure DNA-Analyse zeigen, sagt Dr. Manfred Woidich. Von der erwachsenen Person wurde nur der Unterteil des Körpers gefunden, bestattet wurde sie in Hockerlage. Es ist einer von mehr als 150 Funden im Industriegebiet Steinerner Mann. Dieses Gebiet zeigt eine archäologische Bandbreite, wie es sie sonst nur selten gibt.
Wie bereits berichtet, wird derzeit der letzte Abschnitt des Industriegebiets erschlossen. Es ist groß genug, dass Bau- und Archäologiefirma gleichzeitig dort arbeiten können, die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten funktioniere sehr gut, sagen Woidich und Dr. Johann Friedrich Tolksdorf, Gebietsreferent für Schwaben beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Noch immer sind vor Ort nicht sämtliche Bereiche archäologisch untersucht – das liegt unter anderem daran, dass diese teilweise in Regenrückhaltebecken liegen und noch überschwemmt sind. Für Woidich sind die Grabungen ein „Fenster in die Vergangenheit“. Vor allem könne jeder Fund ein weiteres Puzzleteil sein, neue Erkenntnisse liefern und bisherige Annahmen auf den Kopf stellen. „Bei den schriftlosen Kulturen ist der Boden das einzige Archiv, das wir haben“, sagt Woidich. Selbst Jahre nach den Funden könnten Analysen Neues zutage fördern. Seit mehr als zehn Jahren wird das Industriegebiet archäologisch untersucht, sagt Tolksdorf. Nun ist das Ries bekanntermaßen reich an archäologischen Funden, zu den bekanntesten gehören das 3000 Jahre alte Schwert oder die Tonräder, die in Wallerstein gefunden wurden. Doch dieses Gebiet bezeichnet Tolksdorf als „Hotspot des Hotspots“– denn hier lassen sich sechs verschiedene Epochen nachvollziehen.
So zeigen etwa Scherben aus der Kultur der Linearbandkeramik von den ersten Bauernsiedlungen, schildert Woidich, sie stammen etwa aus der Zeit ab 5400 vor Christus. Ganz deutlich zeichnen sich auf den gefundenen Scherben diverse Linien ab. Auch drei Bestattungen und Siedlungsbefunde stammen wohl aus dieser Zeit. Im nordöstlichen Bereich ist eine mehrere Meter lange Grube ausgehoben. Im ockerfarbenen Lehm sind unregelmäßige dunkle Flächen zu erkennen – ein Zeichen dafür, dass dies eine Lehmentnahmegrube war, wie Tolksdorf sagt. Denn damit das Holz früherer Häuser nicht feucht wurde und schimmelte, verputzten die Menschen es mit Lehm – ein Vorgang, der regelmäßig wiederholt werden musste; in die Gruben gelangte folglich immer mehr Erde.
Überreste eines trapezförmigen Hauses sind wahrscheinlich dem Spätneolithikum zuzuordnen, ungefähr 3500 bis 3000 vor Christus. Eine absolute Datierung für diese Zeit liege aktuell noch nicht vor, sagt Woidich, aber momentan sei das die Tendenz.
Auch zwei bis drei „Brandschüttungsgräber“wurden gefunden, sagt Woidich, diese datiere man in die späte Bronzezeit, wohl 1300 bis 1200 vor Christus. Aus der Zeit von 1200 bis 800 vor Chr., der Urnenfelderkultur, wurde ein Feuerbockfragment gefunden, eine Konstruktion aus Ton, bei der wohl mit Bratspießen gegrillt wurde – ein „vorgeschichtlicher Grill“, so Woidich.
Der Unterschied von Brandschüttungsgräbern und Urnenfelderkultur liegt in der Art der Bestattung – bei ersterer wurden die verbrannten Überreste eines Menschen direkt in eine Grube geschüttet. Aus der keltischen Eisenzeit wurden zwei Hausgrundrisse und mehrere Körperbestattungen in gestreckter Rückenlage gefunden, außerdem Bronze- und Eisenarmreife, aber auch Gewandschließen aus Eisen. Dazu kommen noch Funde aus der römischen Kaiserzeit (zweites bis drittes Jahrhundert nach Christus).
Schon vor einigen Jahren wurde eine Villa Rustica auf dem SPN-Gelände und im ersten Bauabschnitt des Industriegebiets ein Weg gefunden. Tolksdorf vom Landesamt für Denkmalpflege vermutet: „Man hat damals wohl noch einen Grabhügel aus der Eisenzeit gesehen. Die Römer haben eine Straße, wie einen Kreisel, drumherum gebaut.“Im aktuellen Bereich stammen aus der Römerzeit einige Gräben, die mit einem Problem zusammenhängen könnten, mit dem auch heute noch so mancher zu kämpfen hat: Staunässe. Um dieser Herr zu werden, wurden wohl die Gräben gezogen.
Insgesamt elf Gräber wurden vor Ort gefunden, auch ein sehr gut erhaltenes Hockergrab, das laut Woidich wahrscheinlich aus der Linearbandkeramik stammt. Nicht ganz klar ist, ob der toten Person auch Grabbeigaben in die Ruhestätte gelegt wurden. Denn wenn sie aus Holz oder Textilien waren, sind sie längst verrottet. Durch das Fenster in die Vergangenheit lässt sich eben nicht alles erkennen.
Zwei Hausgrundrisse aus der keltischen Eisenzeit.