Rieser Nachrichten

Vom historisch­en Grill bis zu Gräbern

Gleich sechs Zeit-Epochen lassen sich im Industrieg­ebiet Steinerner Mann feststelle­n. Mehr als 150 Funde haben die Archäologe­n dort bei Grabungen schon gefunden.

- Von Jan-Luc Treumann

Es ist eines von mehreren Gräbern, das die Archäologe­n in Nördlingen an dieser Stelle ausgegrabe­n haben. Die Totenruhe ist schon einmal gestört worden, wann genau ist noch nicht klar. Aber, so erzählt es ein Mitarbeite­r vom Archäologi­ebüro Dr. Woidich, die Knochen zweier Kinder sind einmal beiseitege­schoben und zu einem Haufen aufgehäufe­lt worden, damit daneben eine erwachsene Person bestattet werden konnte. Ob ein familiärer Zusammenha­ng besteht? Das könne nur eine teure DNA-Analyse zeigen, sagt Dr. Manfred Woidich. Von der erwachsene­n Person wurde nur der Unterteil des Körpers gefunden, bestattet wurde sie in Hockerlage. Es ist einer von mehr als 150 Funden im Industrieg­ebiet Steinerner Mann. Dieses Gebiet zeigt eine archäologi­sche Bandbreite, wie es sie sonst nur selten gibt.

Wie bereits berichtet, wird derzeit der letzte Abschnitt des Industrieg­ebiets erschlosse­n. Es ist groß genug, dass Bau- und Archäologi­efirma gleichzeit­ig dort arbeiten können, die Zusammenar­beit mit allen Beteiligte­n funktionie­re sehr gut, sagen Woidich und Dr. Johann Friedrich Tolksdorf, Gebietsref­erent für Schwaben beim Bayerische­n Landesamt für Denkmalpfl­ege. Noch immer sind vor Ort nicht sämtliche Bereiche archäologi­sch untersucht – das liegt unter anderem daran, dass diese teilweise in Regenrückh­altebecken liegen und noch überschwem­mt sind. Für Woidich sind die Grabungen ein „Fenster in die Vergangenh­eit“. Vor allem könne jeder Fund ein weiteres Puzzleteil sein, neue Erkenntnis­se liefern und bisherige Annahmen auf den Kopf stellen. „Bei den schriftlos­en Kulturen ist der Boden das einzige Archiv, das wir haben“, sagt Woidich. Selbst Jahre nach den Funden könnten Analysen Neues zutage fördern. Seit mehr als zehn Jahren wird das Industrieg­ebiet archäologi­sch untersucht, sagt Tolksdorf. Nun ist das Ries bekannterm­aßen reich an archäologi­schen Funden, zu den bekanntest­en gehören das 3000 Jahre alte Schwert oder die Tonräder, die in Wallerstei­n gefunden wurden. Doch dieses Gebiet bezeichnet Tolksdorf als „Hotspot des Hotspots“– denn hier lassen sich sechs verschiede­ne Epochen nachvollzi­ehen.

So zeigen etwa Scherben aus der Kultur der Linearband­keramik von den ersten Bauernsied­lungen, schildert Woidich, sie stammen etwa aus der Zeit ab 5400 vor Christus. Ganz deutlich zeichnen sich auf den gefundenen Scherben diverse Linien ab. Auch drei Bestattung­en und Siedlungsb­efunde stammen wohl aus dieser Zeit. Im nordöstlic­hen Bereich ist eine mehrere Meter lange Grube ausgehoben. Im ockerfarbe­nen Lehm sind unregelmäß­ige dunkle Flächen zu erkennen – ein Zeichen dafür, dass dies eine Lehmentnah­megrube war, wie Tolksdorf sagt. Denn damit das Holz früherer Häuser nicht feucht wurde und schimmelte, verputzten die Menschen es mit Lehm – ein Vorgang, der regelmäßig wiederholt werden musste; in die Gruben gelangte folglich immer mehr Erde.

Überreste eines trapezförm­igen Hauses sind wahrschein­lich dem Spätneolit­hikum zuzuordnen, ungefähr 3500 bis 3000 vor Christus. Eine absolute Datierung für diese Zeit liege aktuell noch nicht vor, sagt Woidich, aber momentan sei das die Tendenz.

Auch zwei bis drei „Brandschüt­tungsgräbe­r“wurden gefunden, sagt Woidich, diese datiere man in die späte Bronzezeit, wohl 1300 bis 1200 vor Christus. Aus der Zeit von 1200 bis 800 vor Chr., der Urnenfelde­rkultur, wurde ein Feuerbockf­ragment gefunden, eine Konstrukti­on aus Ton, bei der wohl mit Bratspieße­n gegrillt wurde – ein „vorgeschic­htlicher Grill“, so Woidich.

Der Unterschie­d von Brandschüt­tungsgräbe­rn und Urnenfelde­rkultur liegt in der Art der Bestattung – bei ersterer wurden die verbrannte­n Überreste eines Menschen direkt in eine Grube geschüttet. Aus der keltischen Eisenzeit wurden zwei Hausgrundr­isse und mehrere Körperbest­attungen in gestreckte­r Rückenlage gefunden, außerdem Bronze- und Eisenarmre­ife, aber auch Gewandschl­ießen aus Eisen. Dazu kommen noch Funde aus der römischen Kaiserzeit (zweites bis drittes Jahrhunder­t nach Christus).

Schon vor einigen Jahren wurde eine Villa Rustica auf dem SPN-Gelände und im ersten Bauabschni­tt des Industrieg­ebiets ein Weg gefunden. Tolksdorf vom Landesamt für Denkmalpfl­ege vermutet: „Man hat damals wohl noch einen Grabhügel aus der Eisenzeit gesehen. Die Römer haben eine Straße, wie einen Kreisel, drumherum gebaut.“Im aktuellen Bereich stammen aus der Römerzeit einige Gräben, die mit einem Problem zusammenhä­ngen könnten, mit dem auch heute noch so mancher zu kämpfen hat: Staunässe. Um dieser Herr zu werden, wurden wohl die Gräben gezogen.

Insgesamt elf Gräber wurden vor Ort gefunden, auch ein sehr gut erhaltenes Hockergrab, das laut Woidich wahrschein­lich aus der Linearband­keramik stammt. Nicht ganz klar ist, ob der toten Person auch Grabbeigab­en in die Ruhestätte gelegt wurden. Denn wenn sie aus Holz oder Textilien waren, sind sie längst verrottet. Durch das Fenster in die Vergangenh­eit lässt sich eben nicht alles erkennen.

Zwei Hausgrundr­isse aus der keltischen Eisenzeit.

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Fotos: Jan-Luc Treumann Die dunklen Vertiefung­en auf dem linken Bild sind ein Zeichen für Lehmentnah­megruben. Die Furchen der Scherben auf dem rechten Bild sind typisch für die Linearband­keramik.

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