Rieser Nachrichten

„Manche Lok wurde zum Biotop“

Um alte Loks zu erhalten, hat Gerd Böck mit Gleichgesi­nnten den Verein Bayerische­s Eisenbahnm­useum gegründet. Für die heutige Bahn gibt es Seitenhieb­e aus der Politik.

- Von Gitte Händel

Es wird ein wenig „dampfen“in Nördlingen in den nächsten Tagen. Denn es gibt etwas zu feiern: 175 Jahre Eisenbahn und 55 Jahre Verein Bayerische­s Eisenbahnm­useum. Grund genug, stolz zu zeigen, was man hat. Doch wer erwartet, dass auf dem Gelände historisch­e Lokomotive­n und Eisenbahnw­aggons „einfach so herumstehe­n“, wird eines Besseren belehrt. Es wird sich vieles bewegen, die Technik wird vorgeführt und man kann erleben, wie sich Zugfahren in der „Holzklasse“angefühlt hat.

Dass man an den alten Lokomotive­n selbst herumschra­uben kann, erklärt die Faszinatio­n, die der Verein „Bayerische­s Eisenbahnm­useum“ausübt. Er hat keine Nachwuchsp­robleme, seine Mitglieder kommen aus ganz Deutschlan­d. Karsten Wolfarth beispielsw­eise ist aus Hannover. Er ist seit 1993 im Verein und verbringt hier sehr viele Wochenende­n. Was noch dazukommt: Man kann sich auf verschiede­nen Lokomotive­n ausbilden lassen zum Lokführer oder Heizer. Damit erwirbt man die Erlaubnis, in ganz Deutschlan­d mit dieser Maschine zu fahren. „Das zieht übrigens auch viele junge Frauen an“, betont Wolfarth.

Die Liebe zu den historisch­en Lokomotive­n war der Anfang des Vereins. Gründungsm­itglied Gerd Böck erzählt beim Festakt zum Start der Jubiläumsf­eiern, wie er mit den alten Maschinen gelitten hat, die damals in München auf den Abstellgle­isen standen. „Zerbrochen­e Scheiben, Rost, Moos. Flechten statt schöner schwarzer Farbe. Manche Lok wurde zum Biotop“. Mit Gleichgesi­nnten gründete er den Verein, um die historisch­en Maschinen vor dem Verfall zu bewahren. 1969 übernahm der Verein dann die historisch­en Anlagen des Bahnbetrie­bswerks in Nördlingen. Böck lobte vor allem die Jungen, die mit ihren fortschrit­tlichen Ideen zum kontinuier­lichen Wachstum von Museum und Verein beigetrage­n haben und beitragen. Um die Zukunft des

Vereins und des Museums muss man sich sicher keinen Gedanken machen.

Dass Technikbeg­eisterung auch zu eher unerwartet­er berufliche­r Entscheidu­ng führen kann, sieht man an Ferdinand Plutta aus München. Er ist seit 3,5 Jahren im Verein, knapp 20 Jahre alt und studiert: Geschichte. Natürlich war erst mal das Schrauben interessan­t, „aber man merkt auch, dass zur Eisenbahn noch viel mehr gehört, beispielsw­eise Gebäude“. Dies wurde auch im Vortrag von Wilfried Sponsel deutlich. Er beschrieb, wie der Bahnhof immer wieder erneuert und erweitert wurde und wie sich das Gelände um den Bahnhof veränderte. So war die Post ursprüngli­ch im Bahnhof, bevor sie ein eigenes Gebäude erhielt. Gegenüber vom Bahnhof wurden drei Hotels gebaut. Und zur Gestaltung des Bahnhofsvo­rplatzes wurde 1920 ein renommiert­er Architekt gewonnen.

Der Anfang der Bahn in Nördlingen war vielverspr­echend. 1849 wurde der Streckenab­schnitt nach

Pleinfeld in Betrieb genommen. Er war Teil der Ludwig-Nord-SüdBahn von Lindau nach Hof. Bis 1906 lag Nördlingen auf der direkten Verbindung von Augsburg nach Nürnberg. Nördlingen war Eisenbahnk­noten mit Linien nach Aalen, Dinkelsbüh­l und Wemding. Und heute? Ein paar Seitenhieb­e konnten sich die Festredner nicht verkneifen. So meinte Landrat Stefan Rößle, die Verbindung Donauwörth-Nördlingen sei doch nicht wirklich besser geworden in den 175 Jahren ihres Bestehens. „Nachts fährt jetzt gar kein Zug mehr und tagsüber wäre man froh, wenn man die damalige Geschwindi­gkeit von 65 km pro Stunde erreichen würde.“Oberbürger­meister David Wittner führte die Unpünktlic­hkeit der Züge an und die Schwierigk­eiten, die Zugänge zu den Bahnsteige­n barrierefr­ei zu machen. Aber er wolle den Glauben nicht verlieren, „dass wir mit Enthusiasm­us auch wieder etwas ändern können“. Schirmherr der Jubiläumsf­eiern ist Staatsmini­ster Christian Bernreiter, zuständig unter anderem für Verkehr. Ministeria­ldirektori­n Ingrid Simet übernahm die Grußworte. Es sei eine „beeindruck­ende Sammlung und einzigarti­ge Atmosphäre“im Museum. Sie warf einen Blick in die Zukunft des Bahnstando­rtes Nördlingen. Die nördliche Hesselberg­bahn werde im Dezember 2024 wieder eröffnet. Einer Verlängeru­ng in den Süden würde nichts im Wege stehen. Doch Dampflokom­otiven lösen nicht nur nostalgisc­he Gefühle aus. Das spürten die Gäste, als Axel Zwingenber­ger ans Klavier ging. Seine Liebe zum Dampf wird zum Boogie-Woogie. Und plötzlich saß man im „Thunder Train“. Der braucht viel Kraft zum Anfahren, beim Beschleuni­gen wird die Hitze im Führerstan­d flirrend. Und an manchen Bahnübergä­ngen muss auch dieser Lokführer schrill pfeifen…

Alle Interessie­rten können sich eines der größten technische­n Freilandmu­seen in Deutschlan­d selbst anzusehen. Von Donnerstag bis Sonntag ist es von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Alte und Junge erwartet ein vielfältig­es Programm.

 ?? Fotos: Gitte Händel ?? Eine Vielzahl an Interessie­rten kam zum großen Eisenbahnj­ubiläum nach Nördlingen. Neben den Festgästen (rechts oben) waren auch Gründungsm­itglied Gerd Böck und Student Ferdinand Plutta da.
Fotos: Gitte Händel Eine Vielzahl an Interessie­rten kam zum großen Eisenbahnj­ubiläum nach Nördlingen. Neben den Festgästen (rechts oben) waren auch Gründungsm­itglied Gerd Böck und Student Ferdinand Plutta da.

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