Küss mich!
Heute ist Tag des Kusses. Früher wurde dieser spärlicher als heute verteilt. Wie viel Jahre man im Schnitt länger lebt, wenn man ausgiebig küsst
Berlin Heute schon ein Küsschen bekommen? Dann ist ja gut. Denn wer wenig küsst, bekommt nicht nur schneller Falten, sondern ist auch oft schlechter drauf. Und für die Liebe sind Küsse ohnehin unentbehrlich - für manche Forscher gar wichtiger als Sex. „Wenn ein Paar aufhört zu küssen, ist es innerlich schon dabei, sich zu trennen“, sagt der Berliner Psychologe und Buchautor Wolfgang Krüger. Nicht zu unterschätzen zum heutigen Tag des Kusses ist neben aller Romantik die Chemie. Die Lust aufs Küssen ist auch ein Spiel der Hormone.
Wahrscheinlich küsst die Menschheit schon seit Urzeiten. Der Anfang in der Evolutionsgeschichte klingt allerdings eher unromantisch. Küssen diente wohl der Weitergabe zerkleinerter Nahrung an Kinder. Mit Schneiden und Kochen fiel diese Funktion weg. „Doch das Küssen als eine sehr intime Form der Begegnung blieb erhalten“, sagt Kussforscher Krüger. Die erste schriftliche Erwähnung des Küssens gebe es in den indischen Veden, religiösen Texten, 3500 Jahre alt, sagt er.
Die Faszination hat Menschen durch alle Zeiten begleitet. In der Bibel hebt das „Hohelied“Salomons mit einer leidenschaftlichen Aufforderung zum Knutschen an, der rö- mische Dichter Ovid beschreibt Küssen in seiner „Ars amatoria“(Liebeskunst). Bildhauer wie Auguste Rodin, Maler wie Gustav Klimt, Schriftsteller, Dichter und Filmregisseure haben sich immer wieder neu um das Thema verdient gemacht. Und für den Kuss hat fast jede Sprache ein eigenes Wort gefunden, vom Albanischen „puthje“bis zum Vietnamesischen „danh to“.
Ist die Freude am Küssen den Menschen vorbehalten? „Es gibt Affen und sogar Fische, die sich küssen“, berichtet Krüger. Wissenschaftler seien sich allerdings unsicher, ob das ein Liebesritual ist oder der gegenseitigen Fütterung dient.
58 Stunden, 35 Minuten und 58 Sekunden soll nach einem Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde einer der längsten Küsse der Welt gedauert haben – ausgetauscht von einem thailändischen Paar. Lässt sich Küssen generell vermessen? Erst in den vergangenen Jahrzehnten spürten Wissenschaftler den chemischen Grundlagen im Körper nach. Ein Ergebnis: Die Lust aufs Küssen entsteht durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von Hormonen – und hat neben dem Wohlfühleffekt offenbar auch Vorteile für die Gesundheit.
Ein paar Beispiele? Die Pulsfre- quenz steigt und der Stoffwechsel verbessert sich. Vielküsser könnten dadurch weniger anfällig für Bluthochdruck und Depressionen sein, hieß es schon vor 15 Jahren in einer Untersuchung. Und um tiefe Falten brauchen sich eifrige Küsser weniger Sorgen zu machen. Sie trainieren alle 34 Gesichtsmuskeln auf einmal und straffen so ihre Haut. Und ein leidenschaftlicher Kuss gibt aus wissenschaftlicher Sicht den gleichen Kick wie 25 Gramm Schokolade – mit einem Vorteil: Er macht nicht dick.
Nach Umfragen verteilen die Deutschen im Durchschnitt täglich zwei bis drei Bussis. Mit 70 Jahren haben sie damit hochgerechnet 76 Tage lang geküsst. Nicht nur leidenschaftlich. Wangenküsschen als Begrüßungsritual setzten sich bei jungen Leuten in Deutschland immer weiter durch, berichtet Krüger. „Wir sind aufgeschlossener gegenüber mehr Körperkontakt. Zärtlichkeiten spielen heute eine größere und selbstverständlichere Rolle.“
US-Wissenschaftler haben weltweit Traditionen untersucht und festgestellt, dass der romantische Kuss nur in rund der Hälfte der Kulturen (46 Prozent) üblich ist. Es gibt Bruderküsse wie in Osteuropa. Und es gibt Politikerküsse.
Und wann ist ein Kuss ein guter Kuss in Sachen Liebe? „Küssen setzt zum einen Spürsinn voraus“, sagt Krüger. „Man muss spüren, was dem anderen gefällt, seine sinnlichen Botschaften aufnehmen.“Küsse seien Gespräche der Lippen und der Zunge. „Es ist der sinnlichste und intimste körperliche Austausch, den wir kennen“, ergänzt er. „Sex kann distanziert sein, aber intensive Küsse sind immer eine sehr intime Form der Annäherung.“
Dass Menschen beim Küssen gern die Augen schließen, hält er für eine nachvollziehbare Entscheidung. Küssen spreche alle fünf Sinne gleichzeitig an - das Sehen, Hören, Riechen, Tasten und Schmecken. Werde ein Sinn ausgeblendet, gebe es mehr Wahrnehmung bei den übrigen.
US-Forscher fanden heraus, dass Menschen, die sich morgens mit einem Schmatz von ihren Liebsten verabschieden, beruflich erfolgreicher sind und weniger Unfälle bauen. Das liege aber nicht nur am Kuss allein, mutmaßt der Psychologe. Sondern am positiven Start in den Tag. Und noch etwas: Wer gern und oft küsst, ist laut Forschung glücklicher und lebt fünf Jahre länger.
Ulrike von Leszczynski, dpa