Breitseiten gegen Seehofer und Merkel
Nach dem Asylstreit nutzt die Opposition die Generaldebatte zur großen Abrechnung mit CDU und CSU. Die AfD fordert die Kanzlerin zum Rücktritt auf. Doch auf der Regierungsbank gibt es ein zartes Signal der Versöhnung
Berlin Es ist nur eine flüchtige Berührung, allenfalls ein leichtes Tätscheln, das einen winzigen Augenblick dauert: Horst Seehofer legt seine Hand auf den Unterarm von Angela Merkel. Und zieht sie, wie von seiner eigenen Geste erschrocken, auch gleich wieder zurück. Ein paar Worte wechseln der Innenminister von der CSU und die erstaunte Bundeskanzlerin von der CDU dabei, für einen Moment entsteht der Eindruck, es gäbe eine Spur von Vertrautheit zwischen den beiden, von der bei der nüchternen Begrüßung wenige Minuten zuvor, dem Händeschütteln, dem kurzen Gespräch nichts zu spüren war.
Am Mittwoch, kurz vor Beginn der Generaldebatte zum Haushalt im Bundestag, genügt schon diese kleine Szene, die an anderen Tagen niemand registriert hätte, für ein überraschtes Raunen auf den Rängen der Abgeordneten: Weht auf der Regierungsbank ein Hauch von Versöhnung? Noch am Montag schien es ja, als würde der erbitterte Asyl-Konflikt zwischen Merkel und Seehofer nach turbulenten Wochen zum Bruch der Union von CDU und CSU, zum Scheitern der Großen Koalition mit der SPD führen.
Unversöhnlich hatten Seehofer und Merkel auf ihren Positionen im Streit um die Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze zu Österreich beharrt, Seehofer sprach schon von Rücktritt, erst in allerletzter Sekunde fand sich ein Kompromiss: Über Transitzentren an der Grenze sollen Flüchtlinge, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind, in diese zurückgeführt werden. Die Opposition nutzt dann die Generaldebatte zum Haushalt auch zur Generalabrechnung mit der Regierung, ihrem Streit und dem Kompromiss, der den Zerfall des konservativ-sozialdemokratischen Bündnisses gerade noch verhindert hat.
Als größter Oppositionskraft steht der AfD die erste Wortmeldung zu, und Fraktionschefin Alice Weidel braucht keine vier Minuten, da ist sie beim Lieblingsthema ihrer Partei. Die Regierung, „die eigentlich schon zerfallen“sei, verschwende Milliarden von Euro für die „Alimentierung von Asylbewerbern“. Weidel fordert Merkel zum Rücktritt auf.
Die Kanzlerin verzieht keine Miene. Und verteidigt den Asylkompromiss. Das Thema Migration werde mit darüber entscheiden, ob die Europäische Union Bestand habe. „Es muss mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen, damit die Menschen den Eindruck haben, Recht und Ordnung werden durchgesetzt“, sagt sie. Ungewohnt deutlich bekennt sie sich zu Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderung. So verspricht sie etwa, Deutschland werde seinen Beitrag für einen besseren Schutz der Außengrenzen leisten. Merkel versucht aber auch, energisch den Eindruck zu zerstreuen, in der Großen Koalition drehe sich alles nur um die Flüchtlingspolitik. Vom erhöhten Mindestlohn über das Paket zur Stärkung von Familien und das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit sei bereits einiges erreicht worden. Und dann sagt sie einen bemerkenswerten Satz: „Die Bundesregierung arbeitet.“
Als sie auf die Regierungsbank zurückkehrt, zeigt Horst Seehofer, dem am Rande der Debatte immer wieder Abgeordnete zu seinem 69. Geburtstag gratulieren, keine Reaktion. Zwischen ihm und Merkel sitzt jetzt SPD-Finanzminister Olaf Scholz.
Die Worte, die FDP-Chef Christian Lindner an die Regierung richtet, triefen geradezu vor Häme: „Wir haben einmal gesagt, besser nicht regieren, als schlecht regieren. Wir haben uns nicht vorstellen können, dass beides gleichzeitig geht.“Weil sich die Bundesregierung seit 2015 fast ausschließlich mit der Flüchtlingspolitik beschäftige, blieben andere wichtige Anliegen auf der Strecke. Die Digitalisierung etwa und die steuerliche Entlastung der Bürger.
Andrea Nahles, Fraktions- und Parteichefin der SPD, will das nicht auf der Koalition sitzen lassen. Die Regierung sei nicht schlecht gestartet, doch der Motor sei in den vergangenen beiden Wochen ins Stottern geraten. Im Hinblick auf den Asylkompromiss sagt sie, dass es für die SPD noch offene Fragen gebe, man aber bereit sei, über diese zu reden. Die Grenzen müssten offen bleiben, nationale Alleingänge dürfe es nicht geben. „Geschlossene Lager lehnen wir ab“, bekräftigt sie.
Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter wirft Merkel und Seehofer vor, sie hätten den „Blick fürs Wesentliche verloren“, spricht über den Unionsstreit als „Schauerspiel, das beispiellos sei in seiner Verantwortungslosigkeit“. Für LinkeFraktionschef Dietmar Bartsch bleibt beim Asylkompromiss „die Humanität auf der Strecke“. CSULandesgruppenchef Alexander Dobrindt dagegen lobt die Einigung. Für Flüchtlinge reiche es nun nicht mehr, „europäischen Boden zu betreten und dann einfach nach Deutschland weiterzureisen“.
Über den Haushalt, wie vorgesehen, geht es bei der Generaldebatte nur am Rande. Immerhin eine Erkenntnis bleibt: Zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer gibt es noch Berührungspunkte – flüchtige zwar, doch sie existieren.
Der FDP Chef erinnert an seine berühmten Worte