Mamma mia, es ist Muttertag
Der zweite Sonntag im Mai bedeutet: Frühstück für die Mama, Blumen für die Mama, Zeit mit der Mama. Für viele Frauen ist dies auch ein Tag voller Erinnerungen. An Zeiten, als die Kinder noch klein waren, an Selbstgebasteltes und Gebackenes. Und an manche
Es gibt Dinge, die sind, wie sie sind. Weil sie immer so waren. Gerade in der Familie, gerade an diesen besonderen Tagen im Jahr. Dass man an Weihnachten gemeinsam unter dem Baum sitzt. An den Geburtstagen zum Kaffee zusammentrifft. Und an diesem einen Sonntag im Mai der Frau Danke sagt, ohne die man nicht wäre. Darum also: Frühstück für die Mama, Blumen für die Mama, Zeit mit der Mama. So ist das eben. So war das schon immer.
Hildegard Heider, 67, trinkt noch einen Schluck Kaffee, probiert den Rhabarberkuchen, erzählt ihren Freundinnen, dass sie bereits vor vier Wochen den ersten Rhabarber geerntet hat. Und sagt dann, dass das alles nicht so wichtig ist – Muttertag, Blumen, Geschenke. Und dass bei ihr sowieso alles anders ist in diesem Jahr. Weil die Enkel, fünf und zweieinhalb, über Nacht bleiben. Weil sie in diesem Jahr ausnahmsweise mit der ganzen Familie Essen geht. Ihr Sohn hat das so entschieden, sagt sie. Und dass das schon in Ordnung ist. „Es ist ja sein Tag.“Sein Tag?
Wenn Hildegard Heider über den Muttertag redet, kommt sie an dieser Anekdote nicht vorbei. Erst recht nicht in diesem Jahr, wo der Geburtstag ihres Sohnes wieder auf den zweiten Sonntag im Mai fällt. „Der Michi ist ein Muttertagskind“, erklärt sie. Geboren am 14. Mai. Jenem Muttertag, an dem Hildegard Heider selbst Mutter wurde.
So hat jede der Frauen aus Buchloe, die sich an diesem Nachmittag zu Kaffee und Kräutertee verabredet haben, ihre eigene Muttertagsgeschichte. Erinnerungen an Gebasteltes, an Gedichte und Lieder, die sie nun bei Kuchen, Nussecken und Windbeuteln austauschen. Und jede hat ein Ritual, wie sie diesen Tag verbringt. Dorothe Ruhfaut, 49, bekommt immer ein Frühstück von ihren Buben serviert. Am Nachmittag trifft sie sich dann mit ihren Geschwistern bei der Oma. Nur in diesem Jahr nicht, weil die Kinder ihre Oma zum lange geplanten Frühstück einladen. Das war ihr Weihnachtsgeschenk. Ruhfaut sagt: „Dann muss ich nichts machen, die Oma nicht und die Buben sind auch fein raus. Auch mal schön.“
Eigentlich ist es ja zu wenig: Ein Ehrentag im Jahr für all das, was die Mutter leistet. Erst recht, wenn man das die restlichen 364 Tage für selbstverständlich hält. Vielleicht braucht es diesen Tag genau deswegen. Weil die Familie dann ihr Bestes gibt, um Mama zu verwöhnen. Weil sie sich mal zurücklehnen kann. Nichts tun muss. Und die anderen machen lässt.
Christl Wiedemann weiß, wohin das führen kann. Wie damals, vor vielen Jahren, als ihr Mann auf die Idee kam, er könne das Kochen übernehmen, das eine Mal im Jahr. Als sie dann von der Kirche heimkam, gab es Schnitzel. Nichts als Schnitzel. Die Frauen lachen, kreischen, klatschen, auch wenn einige die Geschichte schon gehört haben. Christl Wiedemann schüttelt den Kopf, als könne sie es immer noch nicht glauben. In den Jahren darauf hat dann ein Freund mitgekocht – er war für die Beilagen zuständig, ihr Mann fürs Fleisch.
Das war damals, als die Kinder klein waren, als der Muttertag noch eine andere Bedeutung hatte, sagt die 65-Jährige. Heute ist sie Oma und froh, dass sie die Familie das ganze Jahr um sich hat. Blumen, Geschenke und all das Pipapo, das braucht sie nicht. Gut möglich, dass ihre drei Kinder am Sonntag vorbeikommen. „Aber es gibt kein Muss.“
Vielleicht ist es ja auch so: Geburtstage kann man vergessen, am Muttertag aber kommt keiner vorbei. Weil man unaufhörlich mit Geschenkideen bombardiert wird – im Supermarkt, im Fernsehen, im Internet. Weil uns in diesen Tagen eingetrichtert wird, dass Mama die Beste ist. Merci, dass es dich gibt.
Also kauft man Blumen, backt Kuchen, kauft Konfekt, ruft die Oma an, macht sich auf den Weg zur Mutter und Schwiegermutter. Weil die Dinge eben sind, wie sie sind.
Monika Vogel stellt ihre Tasse ab, blickt in die Runde und sagt: „Ihr werdet jetzt alle entsetzt sein.“Es ist still geworden am Tisch. „Bei uns gibt es keinen Muttertag mehr. Das habe ich abgeschafft“, sagt die 60-Jährige und erzählt – vom Druck, von der unausgesprochenen Erwartungshaltung der Mutter, dass man vorbeikommen muss. Von dem Stress. Und dass sie sich geschworen habe, dass sie ihren Kindern das nicht antun will. Darum, sagt sie, ist das ein ganz normaler Sonntag. Einer, an dem sie bei schönem Wetter in die Berge fährt. „Und wenn nicht, liege ich halt auf dem Sofa.“
Ob Anna Marie Jarvis damit einverstanden gewesen wäre, ist nicht überliefert. Die Tochter eines amerikanischen Methodistenpredigers hat 1907 die Idee, im Andenken an ihre verstorbene Mutter, die sich gemeinnütziger Arbeit verschrieben hat, einen Tag einzuführen. Ein Jahr später wird nahe Philadelphia der erste Gottesdienst zu Ehren der Mutter gefeiert. Am 8. Mai 1914 unterzeichnet US-Präsident Woodrow Wilson einen Erlass, der den zweiten Maisonntag als Muttertag festhält. Doch der Handel vereinnahmt den Tag. Jarvis ist entsetzt, schließlich soll der Tag dazu dienen, im Sinne ihrer geliebten Mutter die Rechte der Frauen zu stärken. Sie organisiert Boykott-Veranstaltungen, zieht vor Gericht – ohne Erfolg. Für ihren Kampf gegen den Muttertag verbraucht sie das gesamte Familienerbe. 1948 stirbt sie, ledig und kinderlos, in einem Altenheim. Die Kosten übernahmen – Ironie des Schicksals – Blumenhändler.
In Deutschland ist der Muttertag 1923 vom Verband deutscher Blumengeschäftsinhaber eingeführt worden. Heute ist er für die Floristen der wichtigste Tag im Jahr. Immerhin jeder Dritte will laut einer Umfrage Blumen schenken.
Ja, wenn es um Blumen geht, hat Hildegard Heider da noch eine Geschichte. Eine, die sie in dieser Runde erzählen muss. Wie ihr Sohn nach einem Fußballspiel am Bahnhof ankam, mit fünf Baccara-Rosen in der Hand – und wie sie ihn geschimpft habe. Weil das doch ein Vermögen koste. Weil er verrückt sei, sein Taschengeld dafür auszugeben. Und weil man ja wisse, dass Blumen gerade zum Muttertag völlig überteuert sind. „Er war so beleidigt“, sagt sie und muss lachen. „Ich muss ihn mal fragen, ob er das noch weiß.“
Marlies Voppichler, 68, die die Freundinnen für diesen Nachmittag eingeladen hat, kann sich noch genau erinnern an die Geschichten der Kinder. Sie kramt das Nadelkissen hervor, das ihr Sohn in der vierten Klasse für sie gemacht hat. Das Buch, in dem sie die Gedichte der Kinder gesammelt hat. Und sie erzählt von jenem Tag vor dem Muttertag, als ihre Tochter vor der Tür stand, klitschnass und schmutzig. Und wie die Kleine versuchte, die selbst gezupften Blumen hinter ihrem Rücken zu verstecken. „Ich habe einfach getan, als hätte ich nichts gesehen“, sagt sie. Am nächsten Tag stand der Blumenstrauß samt Frühstück auf dem Tisch. „Da war alles in der Vase – Blumen, Gras, Löwenzahn.“
Doch wenn Mütter eines haben, dann ein großes Herz. Sie freuen sich auch über Unkraut im Blumenstrauß, über ein schief gesungenes Lied, über das, was die Kinder im Handarbeitsunterricht anfertigen – egal, wie es aussieht. Ihr Sohn, sagt Marlies Voppichler, hat ihr mal etwas
Das eine Mal im Jahr kocht er – Schnitzel, nur Schnitzel Der Bub hat Baccara Rosen gekauft – und sie schimpft
getöpfert. „Ich weiß bis heute nicht so genau, ob das ein Schwan oder eine Ente sein soll.“Das Gelächter am Tisch ist groß. Aber das Ding wegwerfen, das könnte sie nicht. „Das bleibt bis zum Lebensende“, sagt sie. Und Monika Vogel meint: „Das wird immer interessanter, je älter man wird.“
Marlies Voppichler öffnet eine Flasche Sekt, die Damen stoßen an. Auf den Muttertag. Und auf das vielleicht schönste Geständnis des Nachmittags, das von Lena Lachenmair, 60. Sie hat sich die Geschichten der Frauen angehört, gesagt, dass sie versteht, wenn man den Muttertag nicht groß feiern mag. Und dann meint sie, fast, als wäre es ihr peinlich: „Bei mir ist es das Gegenteil. Ich liebe den Muttertag.“Applaus, Lachen, Kreischen. Lena Lachenmair sagt, das liege an ihrer Tochter Melanie, die sich jedes Jahr etwas für sie einfallen lasse. Eine Radtour, Eisessen in Landsberg, ein Wanderausflug. „Ich weiß nur, dass ich mir diesen Tag freihalten muss.“Der Rest bleibt eine Überraschung.
Geschenke will Lena Lachenmair nicht. Sie bekommt sie trotzdem. „Denn jetzt kommt der Gipfel“, sagt sie. Die Frauen hören gespannt zu. „Mein Papa bringt mir jedes Jahr Blumen vorbei. Und er ist 89.“Vielleicht, sagt sie, ist das die alte Schule. Vielleicht, weil er das auch früher bei ihrer Mutter gemacht hat. „Auch deswegen ist der Muttertag für mich so ein schöner Tag.“