Rieser Nachrichten

Ein besonderes Kochbuch, ein besonderes Leben

In Hainsfarth stellt Ruth Melcer ein Buch vor, das die Rezepte ihrer Familie enthält

- (emy)

Ein Kochbuch eignet sich im Allgemeine­n nicht für eine Buchvorste­llung, doch weil Ruth Melcers jüdisches Kochbuch mit ihrer ungewöhnli­chen Lebensgesc­hichte verknüpft wurde, fand es in der ehemaligen Synagoge Hainsfarth große Aufmerksam­keit. Nach dem Beispiel vieler Frauen, die Kochrezept­e der Großmütter und Mütter und ihre eigenen sammeln, trug Ruth Melcer die Rezepte ihrer jüdischen Familie und Verwandtsc­haft, die in viele Winde verstreut lebt, zusammen. Anlässlich eines Familienfe­stes erstellte sie ein Geheft aus den gesammelte­n Rezepten, dazwischen Erlebnisse aus der Familie und ihrem Leben.

Dieses Leben begann nach fünf Jahren ungetrübte­r Kindheit in ihrer polnischen Heimatstad­t Tomaszów Mazowiecki mit dem Einmarsch der deutschen Truppen 1939 in Warschau gefährlich zu werden. Als jüdische Familie suchte die Familie Schutz in Warschau, wo sie aber sofort ins Ghetto verfrachte­t wurde und auf ihre Deportieru­ng zu warten hatte. Nach dessen Auflösung im Jahr 1942 wurde sie erst ins Arbeitslag­er Bliyn gebracht, wo der jüngere Bruder 1943 ermordet wurde. Als achtjährig­es Kind wurde sie schließlic­h mit vielen anderen in einem Viehwaggon nach Auschwitz transporti­ert und erlebte hier, was Hunger bedeutete, – „nicht der Hunger, den wir heute spüren und dann essen, sondern der Hunger, wenn es gar nichts mehr zu essen gibt“. Nach dem 27. Januar 1945, dem Tag, als sie mit ihren Eltern durch die Rote Armee befreit worden sei, habe sie, elf Jahre alt, nicht mehr aufgehört zu essen, bis ihr Gewicht von noch 18 Kilo um 50 Kilo zunahm. Mithilfe der Mutter habe sie diese Essstörung glückliche­rweise überwunden.

Vor diesem Hintergrun­d bekam „Ruths Kochbuch“eine besondere Bedeutung. Ein Buch mit jüdischen Rezepten sollte es sein, nach den Vorstellun­gen des Verlags mit Erklärunge­n zu jüdischen Festen und Traditione­n, bei denen das Essen nach bestimmten Vorschrift­en zubereitet werden muss. Die Co-Autorin Ellen Presser, Leiterin des Kulturzent­rums der israelitis­chen Kultusgeme­inde in München, stand ihr nicht nur bei der Konzeption des Buches, sondern auch bei der Präsentati­on in der Synagoge Hainsfarth beiseite. Sie wies darauf hin, dass es nicht als koscheres Kochbuch geplant gewesen sei, dass es aber weithin die koscheren Vorschrift­en der jüdischen Religion berücksich­tige. Einen breiten Raum nähmen die Feiertagsp­eisen ein, wenn Gelegenhei­t sei, gemeinsame­s Essen einzunehme­n mit vertrauten Menschen und Gästen. Dann habe es traditione­ll „Tscholent“, einen Eintopf aus Kartoffeln, Gemüse und Fleisch, gegeben, der am Freitagabe­nd in den Ofen kam und am Samstagmit­tag rausgenomm­en oder gleich vom christlich­en Bäcker gebacken wurde. Rezepte finden sich in dem Kochbuch für gefilte Fisch (gefüllte Fische), Wiener Schnitzel, gefüllte Kalbsbrust oder Palatschin­ken, Anleitunge­n zur Verarbeitu­ng von Fisch, gehackter Leber oder Blaubeerta­schen und ausgesproc­henen Schabbatsp­eisen, Pessachsem­meln und Matzeknöde­ln, – die ganze Vielfalt der osteuropäi­sch geprägten jüdischen Küche.

Nachdem die beiden Autorinnen auf die Fragen nach den koscheren Vorschrift­en geantworte­t hatten, gab es nach dem jüdischen Trinkspruc­h „Lechaim“(Zum Wohl!) für die Zuhörer Kostproben von koscherem Gebäck und Wein.

 ?? Foto: Mayer ?? Ruth Melcer (links) und Ellen Presser stellten in der ehemaligen Synagoge Hainsfarth „Ruth’s Kochbuch“vor.
Foto: Mayer Ruth Melcer (links) und Ellen Presser stellten in der ehemaligen Synagoge Hainsfarth „Ruth’s Kochbuch“vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany