Ärzte hoffen auf „Liquid Biopsy“
Werden sich wichtige Informationen über Tumoren künftig aus dem Blut gewinnen lassen?
36-mal muss sich Andreas M. in die Prostata stechen lassen. Seit ein paar Monaten signalisieren steigende PSA-Werte in seinem Blut, dass sich in der Drüse womöglich Unheil zusammenbraut. Ist das vermehrte Eiweiß Anzeichen für einen Tumor? Beantworten kann das nur eine Gewebeprobe. Denn erst wenn die Biopsienadel auf entartete Zellen stößt, gilt die Diagnose Krebs als gesichert. Allerdings stechen auch geübte Mediziner mal daneben. Oder sie kommen an einen versteckten Tumor gar nicht heran. Kein Wunder also, dass gerade ein Verfahren Furore macht, das all diese Probleme aus dem Weg räumen könnte – wenn sich die Hoffnungen erfüllen: Bei der flüssigen Biopsie suchen Ärzte die verräterischen Spuren nicht mehr im Gewebe, sondern im Blut der Patienten.
Die Idee zur „Liquid Biopsy“, wie sie Experten nennen, kommt aus der Geburtsmedizin. Vor einigen Jahren stellten die Ärzte fest, dass im Kreislauf der Mutter Erbgutstückchen des Embryos schwimmen und dass diese sogar Hinweise auf genetische Störungen geben. Inzwischen weiß man: Nicht nur im ungeborenen Kind, auch an anderer Stelle geben sich vermehrende Zellen DNA-Schnipsel ins Blut ab – zum Beispiel in Tumoren.
Im Prinzip stecken in diesem Erbgut, so die Idee, bereits die meisten Informationen, die die Mediziner momentan noch recht mühevoll gewinnen: Hat der Tumor genetische Achillesfersen, auf die man mit Medikamenten zielen könnte? Oder haben sich diese Schwachstellen während der Behandlung verändert, sodass die bisherige Therapie durch eine neue ersetzt werden müsste? Weil jeder Tumor zudem sein ganz individuelles Mutations-Muster besitzt, könnte man mithilfe dieses genetischen Barcodes auch gezielt im Blut nach dessen Erbgut fischen: „Findet man dabei größere Mengen Krebs-DNA, könnte das dafür sprechen, dass der Tumor sehr aktiv ist oder dass er trotz Therapie wieder wächst“, erklärt Prof. Christof von Kalle, Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Verschwinden die Spuren, spräche das wiederum dafür, dass eine Behandlung erfolgreich ist. Aber die Visionen gehen noch weiter: Denn im Blut finden sich auch ganze Krebszellen, Eiweiße, Immun-Botenstoffe und RNA-Sequenzen – von Kalle möchte irgendwann auch sie als Informationsquellen nutzen, „um zum Beispiel auch etwas über die Reaktion des Immunsystems auf den Tumor zu erfahren“. Und dies alles ohne großen Aufwand, ohne Operation oder schmerzvolle Stiche. Bei Brust-, Eierstock- und Darmkrebspatienten konnten Studien schon zeigen, dass es tatsächlich ein schlechtes Omen ist, wenn nach einer Therapie noch TumorDNA durch den Kreislauf zirkuliert. Ähnliches gilt für manche Lymphompatienten, bei denen sich per Liquid Biopsy ebenfalls Rezidive recht sicher vorhersagen ließen. Inzwischen wurde sogar ein erster Liquid-Biopsy-Test zugelassen, um nach einer bestimmten Medikamenten-Resistenz zu fahnden. „Der Proof of concept, der Beweis der Machbarkeit, ist bei dem Verfahren erbracht“, fasst Christof von Kalle zusammen. „Was wir noch prüfen müssen: Was genau können wir alles messen und wie fehleranfällig sind diese Ergebnisse?“
Denn es gibt auch Probleme: Bei jedem siebten Krebspatienten finden sich überhaupt keine Tumorspuren im Blut. Gerade im Frühstadium geben die Krebszellen offensichtlich nur sehr unzuverlässig verräterische DNA in den Kreislauf ab. Zudem verrät ein positiver Fund vielleicht, dass im Körper etwas Bösartiges wächst – aber nicht, an welcher Stelle und um welche Krebsart es sich handelt. Hinzu kommt: Das Tumor-Erbgut macht gerade mal ein Hundertstel der gesamten DNA im Blut aus – deshalb muss man oft sehr genau wissen, wonach man sucht, um derart kleine Mengen nicht zu übersehen. Das heißt, man kommt auch bei der Liquid Biopsy um die Gewebeprobe nicht herum – nur sie liefert den genetischen Tumor-Barcode, nach dem dann im Blut gefahndet werden kann. Außerdem ist schon nach ein paar Stunden die Krebs-DNA wieder abgebaut und aus dem Blut verschwunden. „Es gibt noch zahlreiche ungeklärte Fragen. Vor allem muss das Verfahren aber in Studien erst noch beweisen, dass es dem Patienten tatsächlich nutzt“, sagt Prof. Martin Werner, der Chef der Pathologie der Uniklinik Freiburg.
Derartige Unwägbarkeiten lassen gerade in den Augen von Pathologen den Plan des Unternehmens Illumnia tollkühn erscheinen. Zusammen mit Bill Gates und Amazon-Erfinder Jeff Bezos gründeten die Gen-Sequenzier-Experten in Kalifornien die Firma Grail. Sie soll einen Früherkennungs-Test entwickeln, der schon bei scheinbar Gesunden per Blutprobe versteckte Krebsgeschwüre aufstöbern kann. „Science Fiction“nennt das der Leiter der Molekularpathologie der Berliner Charité, Prof. Michael Hummel. „Hier werden Erwartungen geschürt, die bislang nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse gedeckt sind.“Zudem sei eine Blutprobe allein eine sehr wacklige Basis, um einen Patienten einer Therapie oder gar Operation auszusetzen. Von Kalle teilt trotzdem den Traum der US-Kollegen: „Wenn wir die Dinge nicht ausprobieren, werden wir nie herausfinden, was alles möglich ist.“