Das Mädchen mit zwei Müttern
Baby Zephany verschwindet spurlos aus dem Krankenhaus. Die Eltern haben keine Hoffnung auf ein Wiedersehen. Dabei lebt das Kind nur ein paar Kilometer entfernt
Kapstadt Celeste Nurse ist damals nur kurz aufgewacht. Die Schmerzmittel des Kaiserschnitts, bei dem sie drei Tage zuvor ihr Baby Zephany auf die Welt gebracht hatte, wirkten noch nach. Verschwommen sah sie in ihrem Krankenhauszimmer eine Frau, die Zephany im Arm hielt. „Sie arbeitet wohl hier“, dachte die Mutter und schlief wieder ein – bis sie zu den besorgten Worten einer Krankenschwester aufschreckte. „Wo ist Ihr Baby?“Vater, Mutter und Angestellte suchten panisch das Gelände ab. Keine Spur.
Über 19 Jahre ist die Entführung in Südafrikas Metropole Kapstadt her, sie geschah im Jahr 1997. Hinweise auf die Täterin gab es damals einige. Im Groote-Schuur-Krankenhaus sprachen die Ermittler mit Zeugen. Sie berichteten von einer Frau, die schon in den Stunden zuvor versucht hatte, ein Baby zu stehlen. Ausfindig machen konnten sie die Täterin trotz Personenbeschreibung aber nicht.
Jedes Jahr am 28. April zündete die Nurse-Familie am Geburtstag ihrer vermissten Tochter eine Kerze an – ohne zu ahnen, dass Zephany keine zwei Kilometer entfernt im verarmten Stadtteil Lavender Hill aufwuchs. Die Hoffnung auf ein Leben mit Kindern schwand, doch dann wurde Celeste Nurse noch einmal schwanger, es war wieder eine Tochter. Als diese auf eine weiterführende Schule kam, fiel schnell ihre frappierende Ähnlichkeit mit einer älteren Mitschülerin auf. Begeistert erzählte die Tochter von ihrer neuen Freundin, die Eltern luden sie zum Essen in ein Fast-FoodRestaurant ein. Die Mädchen glichen sich tatsächlich wie Zwillinge. Familie Nurse verständigte die Polizei. Ein Gentest brachte vor knapp zwei Jahren Gewissheit: Die beiden Mädchen sind Schwestern.
Am Montag endete der tragische Fall vor einem Gericht in Kapstadt. Die Frau, die Zephany 19 Jahre lang für ihre Mutter hielt, muss wegen Entführung, Betrug und Verstößen gegen Kinderrechte zehn Jahre ins Gefängnis. Die gelernte Schneiderin hatte dem Gericht erklärt, eine weitere Frau habe ihr an einer Bushaltestelle ein angeblich verstoßenes Baby für 3000 Rand (aktueller Gegenwert: 201 Euro) übergeben. „Ein Märchen“, befand der zuständige Richter John Hlophe.
Südafrika erlebte im Laufe des 18 Monate dauernden Prozesses ein erschreckendes Drama, das nicht in einer glücklichen Familienzusammenführung zu enden scheint. Zephany wohnt weiter in dem Haus, in dem sie aufwuchs, zusammen mit dem Ehemann der Verurteilten. Er versicherte glaubhaft, an der Entführung nicht beteiligt gewesen zu sein. „Sie ist am Boden zerstört, weil sie ihre Mutter verloren hat“, sagte er am Rande des Prozesses. Südafrikanische Medien berichten übereinstimmend, dass es den leiblichen Eltern bislang nicht gelungen sei, eine Beziehung zu Zephany aufzubauen: „Ich habe keine Bindung mit meiner Tochter, und das tut weh“, sagte ihr Vater Morne Nurse. Die Hoffnung wolle er aber nicht aufgeben. Zephany selbst äußerte sich über ihren Anwalt und ließ keinen Zweifel daran, wen sie für ihre Mutter hält: die Entführerin.
Bei einer polizeilichen Gegenüberstellung wurde die Verurteilte von einer Frau identifiziert, deren Baby am selben Tag wie Zephany im Groote-Schuur-Krankenhaus zur Welt gekommen war. Dieses Kind hatte sie ebenfalls versucht zu stehlen, war aber ertappt worden. Richter Hlophe sah die Beweislage als „überwältigend“an.
Die Täterin hatte Zephany erst sechs Jahre nach der Geburt bei den Behörden registriert. Sie wählte dafür die Provinzstadt Malmesbury, die eine Stunde Autofahrt von Kapstadt entfernt ist. Hier ließ sich offenbar eher verschleiern, dass in dem als Geburtsort angegebenen Krankenhaus keine Aufzeichnungen über das Mädchen vorlagen. „Sie haben Zephany so viel Schaden zugefügt“, sagte Hlophe. Die Staatsanwaltschaft hatte 15 Jahre Haft gefordert, der Richter wertete es jedoch als mildernden Umstand, dass die Angeklagte ohne Vorstrafen war. Auch die beiden Großmütter von Zephany waren bei der Strafmaßverkündung im Gerichtssaal. Zephra Nurse sagte, sie hoffe, die Strafe sei streng genug, um Leute künftig von solchen Taten abzuhalten. Und Marilyn Francis, ihre Großmutter mütterlicherseits, hofft weiter, dass Zephany zu ihrer wahren Familie zurückkehrt. Denn die 19-Jährige ist heute selbst schwanger. „Nach der Geburt wird sie den Schmerz erahnen können, den ihre Mutter beim Verlust ihres Kindes durchstehen musste.“