Rieser Nachrichten

Boris Johnson als Außenminis­ter: Ein smarter Schachzug

Die neue Premiermin­isterin Theresa May hat alle überrascht. Was hinter der Entscheidu­ng für den umstritten­en Polit-Clown steckt

- Redaktion@augsburger-allgemeine.de

Noch rätseln die Beobachter auf der Insel, welche Station seines Lebenslauf­s Boris Johnson für das Amt des Außenminis­ters empfahl. Man kann dem Ex-Bürgermeis­ter Londons nämlich viele Attribute zusprechen. Unterhalts­am ist er, rhetorisch brillant und volksnah ebenfalls. Nur als großer Diplomat ist der ehemalige Journalist tatsächlic­h noch nie in Erscheinun­g getreten. Im Gegenteil.

Kaum einen Fehltritt, kaum ein Fettnäpfch­en ließ der Sprücheklo­pfer aus, wenn es um außenpolit­ische Angelegenh­eiten ging oder er zu Spitzenpol­itikern fernab der Insel Stellung bezog. Die Beleidigun­gen reichten zuweilen so weit, dass sie kleine diplomatis­che Krisen auslösten. Peinlich waren sie allemal. Doch dem zerzausten Konservati­ven wurde irgendwie immer verziehen – leider.

Er sorgte für das Komödienha­fte im ernsten Westminste­r-Betrieb. Sogar im Ausland lachte man über den Schauspiel­er. Jetzt lacht keiner mehr. Das fällt derzeit sogar Boris Johnson sichtlich schwer, für den die letzten Wochen zu einem Spielchen verkamen, an dem der Egomane großen Spaß fand und das ihn ohne Rücksicht auf das Wohlergehe­n des Landes als Premiermin­ister in die Downing Street katapultie­ren sollte.

Zwischendu­rch schien er verloren zu haben – nur um nun in einem spektakulä­ren Comeback wieder aufzutauch­en. Jetzt aber zählt es. Johnson muss sich in seinem neuen Amt dringend ändern, denn es reicht nicht mehr, für billige Lacher zu sorgen. Zurückhalt­ung, Sachkenntn­is und Ernsthafti­gkeit sind auf dem diplomatis­chen Parkett gefragt. Doch dass der Opportunis­t wandelfähi­g ist, hat die Vergangenh­eit gezeigt. Und er hat viel zu verlieren.

Scheitert Johnson in seinem Amt, ist seine politische Karriere endgültig vorbei. Feiert er Erfolge, freut das vor allem die neue Premiermin­isterin. Theresa May agiert in der Regel pragmatisc­h, überlegt und auf die Sache fokussiert. Sie weiß, wen sie sich da ins Kabinett geholt hat. Dass Johnson und der Brexit-Minister David Davis, die nun die schwierige­n Verhandlun­gen mit der EU sowie mit dem Rest der Welt führen müssen, aus dem Brexit-Lager stammen, ist geschickt. Sie haben monatelang mit absurden Verspreche­n, Halbwahrhe­iten und einem Schmierent­heater das halbe britische Volk gegen die EU aufgehetzt und ein Paradies außerhalb der Gemeinscha­ft ausgemalt. Jetzt hat May ihnen die Verantwort­ung übergeben, den Scherbenha­ufen abzutragen, den sie nach der ausgeartet­en Party hinterlass­en haben.

Auch wenn auf dem Kontinent derzeit viele Menschen empört über den Ärmelkanal schielen: May hat recht damit, die Brexiteers in die Pflicht zu nehmen. Denn viele ihrer Zusagen werden nicht einzuhalte­n sein und noch mehr Enttäuschu­ngen dürften die Briten zu verdauen haben.

May hat nun mit Johnson und Davis Minister im Kabinett, denen sie als Prügelknab­en die Schuld zuschieben kann, sollte Brüssel eben nicht mit einem britenfreu­ndlichen Angebot angekroche­n kommen, wie manche aus dem Leave-Lager überheblic­h meinten. Hat das Trio Erfolg, färbt dieser auch auf die Premiermin­isterin ab. Gleichwohl ließ May mit ihrer Ministerau­swahl keinen Zweifel aufkommen, dass sie alte Seilschaft­en aufbrechen will und keine Skrupel kennt, illoyale Kollegen auszusorti­eren.

Mit der Bildung eines in der EUFrage ausgeglich­enen Kabinetts versucht sie, die Sorge der BrexitWähl­er zu zerstreuen, ihr Votum könnte übergangen werden. Manche betrachten die Ernennung Johnsons zum Außenminis­ter als missratene­n Ausdruck des britischen Humors. Doch ist sie vor allem eines: Ein smarter Schachzug von Theresa May.

May hat gezeigt, dass sie im Notfall keine Skrupel kennt

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