Lawinengefahr: Lage entspannt sich
Immer mehr Wintersportler sind abseits der Pisten unterwegs. Warum der Aufbau der Schneedecke in diesem Jahr vielerorts gefährlich ist
Gestern war das wieder so ein typischer Spätwinter-Tag in den Allgäuer Alpen: strahlender Sonnenschein und makellose, nordseitige Pulverschnee-Hänge. Für Tiefschnee-Freunde – oder „PowderFreaks“– ist das der Stoff, aus dem die Träume sind. „Man muss das einfach erlebt haben, wie das ist, in einen solchen Hang hinein zu fahren. Das ist unbeschreiblich“, sagt Thomas Bucher, Pressesprecher des Deutschen Alpenvereins (DAV) und selbst passionierter Alpinist.
Die Kehrseite des TiefschneeVergnügens: Mehrere Schneebrettunfälle hatten sich in den vergangenen zwei Wochen im Allgäu und in Vorarlberg ereignet. Drei Männer im Alter von 63, 71 und 73 Jahren kamen dabei ums Leben. Alle galten als extrem erfahren – zwei von ihnen waren Berg- und Skiführer, einer Bergwachtler.
Alpenvereins-Sprecher Bucher kennt die Gefahren: Teilweise sei der Schneedeckenaufbau „superheikel“. Das klingt zumindest für Laien erstaunlich. Denn im gesamten Alpenraum liegt in diesem Winter bekanntlich unterdurchschnittlich wenig Schnee. Der aber war zumindest in den Nordalpen immer bei viel Wind oder gar Sturm gefallen. Entsprechend haben sich in Rinnen und Mulden sogenannte Triebschnee-Ansammlungen gebildet.
Viel gefährlicher als beispielsweise im Allgäu sei derzeit jedoch die Situation in den Zentralalpen am Alpenhauptkamm, bestätigt der Bad Hindelanger Skibergsteiger und Lawinenexperte Christian Rath. Südlich des Inns liege überall zwar noch weit weniger Schnee als an der Alpennordseite. Doch der im Spätherbst gefallenen Schnee hat sich dort gehalten und darauf ist eine gefährliche Gleitschicht entstanden, als es im Dezember wochenlang sonnig und relativ mild war. Diese Schicht ist von frischem Schnee überdeckt. „Einen störanfälligen Schneedeckenaufbau“nennen das die Lawinenexperten. Wenn Skifahrer oder Snowboarder in einen solchen Hang einfahren, können sie ein Schneebrett auslösen.
Was vielen nicht klar ist: Auch Schneeschuhgeher sind gefährdet. Auch sie verändern die Verhältnisse in Hängen und können Lawinen auslösen. Während ein Skitourengeher bei der Abfahrt möglicherweise aus den rutschenden Schneemassen noch entkommen kann, haben die langsameren Schneeschuhgeher praktisch keine Fluchtmöglichkeit.
Nach den Worten Buchers sterben in den Alpen im Schnitt pro Winter etwa 100 Menschen bei Lawinenunfällen, in den bayerischen Alpen sind es fünf. Diese Zahlen sind seit Jahren relativ stabil. Obwohl sich die Zahl der Schneesportler abseits der Pisten in den beiden vergangenen Jahrzehnten vervielfacht hat, haben sich nicht mehr schwere Unfälle ereignet. Alpenvereinsmann Bucher führt das auf die bessere Sicherheitsausrüstung zurück – „und die Leute sind wohl auch besser ausgebildet“. Zur besseren Ausrüstung zählen mittlerweile die sogenannten ABS-Rucksäcke. Wird ein Sportler von einer Lawine erfasst, löst er den Airbag aus. Zwei aufgeblasene Ballons sollen helfen, ihn in den Schneemassen oben zu halten, sodass er nicht verschüttet wird. Mittlerweile hat sich die Schneebrett-Gefahr in den Allgäuer und Bayerischen Alpen entspannt. Gestern wurde sie mit Stufe zwei („mäßig“) angegeben.