„Männerbünde haben lange Traditionen“
Die Soziologin erklärt den Unterschied zwischen Jonges und Soroptimistinnen und sagt, was sie von der Kritik von Stephan Keller hält.
DÜSSELDORF In diesem Jahr wollen die Jonges die Frauenfrage nicht mehr entscheiden – die Debatte darum, dass der Heimatverein keine Frauen aufnimmt, schwelt aber weiter. In Gang gebracht hatte sie Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU), der einen Sitz im erweiterten Vorstand mit der Begründung abgelehnt hatte, die Jonges diskriminierten Frauen. Anna Gaßner ist Soziologin an der Heine-Uni und forscht unter anderem zu Gender Studies und politischem Verhalten.
Reine Männervereine wie die Jonges haben auch im Jahr 2022 Hochkonjunktur. Warum?
ANNA GASSNER Geschlecht ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein sehr dominantes Differenzkriterium. Wir erleben zudem durch die Pandemie eine enorme gesellschaftliche und politische Krise. Krisen können zu Orientierungslosigkeit und Unsicherheit in der Gesellschaft bei Bürgerinnen und Bürgern führen. Ein Festhalten an veralteten Normen und traditionell-konservativen Werten kann in einer sich rasch ändernden Welt Halt geben, beispielsweise auch im Rahmen von Kollektiven wie Vereinen. Grundsätzlich überrascht es mich also nicht, dass reine Männervereine auch im Jahr 2022 weiterhin Beliebtheit erfahren. Solche Vereinsstrukturen bieten ja häufig auch Vorteile, wie soziale Kontakte durch Netzwerke – man kennt sich, und man hilft sich.
Wo liegen die historischen Wurzeln reiner Männervereine?
GASSNER Viele dieser Männerbünde haben lange Traditionen und sind bereits sehr alt. Historisch gesehen wurden öffentliche Bereiche einfach sehr lange Zeit durch Männer dominiert. Das gilt für Politik, Erwerbsarbeit und Bildung, aber auch für das gesellschaftliche Leben. So haben sich Zusammenschlüsse mit unterschiedlichen Zwecken gebildet, die eben nur aus Männern bestanden. Ein anderes Beispiel sind Burschenschaften. Die Frau war hier gar
nicht mitgedacht. Sie war der Privatheit verwiesen, wo sie sich um Heim und Kinder kümmerte. Diese geschlechtliche Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft haben wir bis heute noch nicht vollständig überwunden.
Am Ausschluss von Frauen bei den Jonges gibt es viel Kritik. Zu Recht? GASSNER Ich denke, dass diese Kritik gerechtfertigt ist und sehe keinen Grund, warum Frauen nicht
auch im Rahmen eines Heimatvereins mitwirken sollten. Ganz im Gegenteil: Ich würde es für äußerst wünschenswert halten, wenn die Jonges auch Frauen aktiv in ihren Verein integrieren würden. Durch den gezielten Ausschluss zeigen die Jonges, dass sie rückschrittlich sind. Das Ziel des Vereins ist es unter anderem, Düsseldorfer Brauchtümer und die Geschichte der Stadt zu pflegen. Frauen sind und waren immer Bestandteil der Düsseldorfer
Geschichte – ebenso wie Männer. Ein Heimatverein sollte also keine rein männliche Angelegenheit sein. Frauen sind bis heute nicht vollständig und gleichwertig in Bereichen wie Politik und Erwerbsarbeit integriert, von einer realen Gleichstellung der Geschlechter sind wir weit entfernt. Die Jonges sind hier ein aktuelles Negativbeispiel.
Aber es gibt doch auch Vereine, die nur Frauen aufnehmen – etwa die Soroptimistinnen?
GASSNER Bei einem Vergleich mit Frauenvereinen muss man auch die jeweiligen Entstehungsgeschichten berücksichtigen. So sind Frauenvereine häufig aus der reinen Notwendigkeit heraus entstanden, dass Frauen in bestehenden Männervereinen nicht erwünscht waren. Frauen wurde lange Zeit das Mitspracherecht in politischen und gesellschaftlichen Bereichen einfach nicht eingeräumt – und Frauen müssen sich bis heute diese Mitspracherechte erkämpfen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich Frauen als Konsequenz dieses Ausschlusses in eigenen Verbänden organisiert haben. So setzten sich die Soroptimistinnen ja auch konkret für die Gleichberechtigung der Frau ein. Für Männer bestand diese Notwendigkeit nie, denn ihr Geschlecht war immer die Norm, das weibliche
Geschlecht immer das andere oder zweite und somit nachrangige Geschlecht. Die Jonges in Düsseldorf sind zudem daran interessiert, Düsseldorf aktiv mitzugestalten und engagieren sich für die Gemeinschaft. Wenn ein Verein dies anstrebt, dann sollten auch Bürgerinnen der Stadt die Möglichkeit haben, sich an diesem gemeinnützigen Zweck zu beteiligen.
Was halten Sie vor diesem Hintergrund von der Entscheidung von Oberbürgermeister Keller, den Platz im erweiterten Vorstand abzulehnen?
GASSNER Ich halte die Entscheidung von Oberbürgermeister Keller für vollkommen richtig. Und ich möchte hier zudem an das Projekt „Frauenwege in Düsseldorf“des Düsseldorfer Gleichstellungsbüros vor ein paar Jahren erinnern. Hier wurden Frauen, die die Düsseldorfer Stadtgeschichte beeinflusst haben im Rahmen einer Stadtkarte thematisiert.
Gibt es soziologisch gesehen unter den beiden Geschlechtern das Bedürfnis, auch mal nur „unter sich“zu sein – oder ist das eher gesellschaftlich tradiert?
GASSNER Ich denke, hier trifft beides zu. Außerdem spielen soziale Erwartungshaltungen eine Rolle, die bewusst oder unbewusst wirken können und an denen sich die Menschen orientieren. Das mag bei Traditionen wie Junggesellenund Junggesellinnen-Abschieden der Fall sein. Soziologisch gesehen stellen wir durch solche Aktivitäten und Interaktionen Geschlecht immer wieder neu her. Geschlecht ist das, was wir tun. Sozialpsychologisch kann ich mir vorstellen, dass es das menschliche Bedürfnis gibt, sich von etwas anderem abzugrenzen, auch um sich selbst zu definieren. Geschlecht scheint hier aufgrund seiner Dominanz als zugängliches und einfaches Unterscheidungsmerkmal. Das heißt, es spielen hier sowohl gesellschaftliche Erwartungen eine Rolle als auch Bedürfnisse, die sich je nach Geschlecht unterschiedlich ausgestalten können.
Als wie bedeutend würden Sie Vereine wie die Jonges für eine Stadt wie Düsseldorf insgesamt einstufen?
GASSNER Allgemein gesprochen halte ich Zusammenschlüsse von Bürgerinnen und Bürgern in Vereinen für sinnvoll und für eine Bereicherung für die Zivilgesellschaft. Soziale Partizipation ist wichtig für den sozialen Zusammenhalt und die Gestaltung eines Zusammenlebens in einer Stadt. Ich empfinde Düsseldorf als eine sehr moderne Stadt, geprägt durch ihre aktiven Bürgerinnen und Bürger. Der Austausch unter den Mitmenschen hat sicherlich in den letzten Jahren durch die pandemischen Einschränkungen gelitten. Deshalb finde ich es umso wichtiger, dass die Menschen auch weiterhin im Rahmen von Vereinsaktivitäten zusammenkommen und in den Austausch gehen – gerne auch geschlechtergerecht.
Warum ist eine Debatte wie die um die Jonges im Jahr 2022 noch wichtig?
GASSNER Die Kritik zwingt die Menschen dazu, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sie kann Missstände aufdecken. Ich würde mir mehr solcher Debatten wünschen. Geschlechterverhältnisse sind auch immer Machtverhältnisse, und diese sollten fortwährend hinterfragt werden. Die ablehnende Haltung der Jonges gegenüber Frauen in Düsseldorf ist nur ein Beispiel für das weitaus größere Problem der Geschlechterungerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
Würden Sie, wenn Sie könnten, Mitglied bei den Jonges werden? GASSNER Für mich persönlich sind Heimatvereine nichts. Privat bin ich Mitfrau bei einem Verein, der sich weltweit für die Menschenrechte von Mädchen und Frauen einsetzt.