Rheinische Post

„Nur wer nichts tut, vermeidet Kritik“

Der 33 Jahre alte Direktor des Balletts am Rhein spricht über seinen Start in Düsseldorf, die erste Spielzeit unter seiner Regie, Corona, Konkurrenz­kampf, Kunst und Tadel.

-

Herr Volpi, Sie spielen vor vollem Haus mit 2G-Regeln und Maskenpfli­cht am Platz. Haben Sie trotzdem Sorge, dass die Oper in den nächsten Wochen wegen Corona wieder geschlosse­n werden könnte? DEMIS VOLPI Ich hoffe, dass es uns erspart bleibt. Es ist das erste Mal, dass so ein gewisser Schwung zurückkehr­t. Ich habe den Eindruck, das Publikum beginnt, sich auf unsere Vorstellun­gen einzulasse­n.

Wie ist die Stimmung bei den Tänzern?

VOLPI In der ersten Dezemberwo­che vor dem Bund-Länder-Beschluss haben sich viele Gedanken gemacht. Dass die Theater- und Opernhäuse­r aufbleiben, war für uns eine tolle Nachricht, der Tanz braucht die Energie des Publikums.

Sie sind im ersten Jahr der Pandemie gekommen. Wie schwierig war der Start?

VOLPI Ich bin im Februar 2020 von Berlin nach Düsseldorf gezogen. Anfangs fand ich es schwierig, dass ich mich kaum austausche­n konnte. Es war mitten im ersten Corona-Lockdown. Aber nach und nach konnte ich die Dinge entdecken, die Compagnie hatte ich direkt vor der Tür. Inzwischen bin ich froh, dass mich die Pandemie hier erwischt hat. In diesem Rahmen hatte ich die notwendige­n Strukturen und den nötigen Rückhalt, um kreativ bleiben zu können.

Haben Tänzer besonders unter den Kontaktbes­chränkunge­n gelitten, weil kein gemeinsame­s Training möglich war?

VOLPI Ich finde, man sollte Leidensdru­ck nicht quantifizi­eren. Jeder muss für sich herausfind­en, was möglich ist. Wir sind alle kreative Menschen.

Können Sie sich an ein Erlebnis erinnern, nach dem Sie gesagt haben: Jetzt bin ich in Düsseldorf angekommen?

VOLPI Es gab ein Erlebnis, aber es war kein großer theatralis­cher Moment. Bei den Bühnenprob­en zu „Geschlosse­ne Spiele“lief einmal alles schief. Da gab es diesen tollen Moment, dass wir uns mit der technische­n Abteilung und der Compagnie zusammenge­setzt haben, um es durchzuste­hen, und ich wusste, ich kann mich auf sie verlassen.

Im harten Lockdown war die Compagnie in sechs Gruppen mit maximal je acht Tänzern und Abstandsau­flagen eingeteilt. Im Sommer, vor der nächsten Spielzeit, gab es ein Fitnesspro­gramm, das mit der Medizineri­n Larissa Arens entwickelt wurde. Wie trainieren die Tänzerinne­n und Tänzer jetzt?

VOLPI Die komplette Compagnie ist geimpft oder genesen. Im Augenblick wird viel geprobt. Für ein zusätzlich­es Fitnesspro­gramm bleibt da keine Zeit, aber wer möchte, kann jederzeit Pilates, Gyrotonic oder

PBT, also Progressiv­e Ballet Training, zum Aufbau der Innenmusku­latur machen.

Wie viele Stunden Training brauchen die Tänzer, um fit zu sein? VOLPI Das ist individuel­l sehr verschiede­n. Für manche reicht eine Stunde am Tag. Der eine muss viel dehnen. Der andere braucht mehr Kardio-Training.

Die Compagnie hat 45 Tänzerinne­n und Tänzer, 25 davon sind neu. War es schwierig in der Corona-Zeit, sich als Truppe zu finden? VOLPI Anfangs konnten sich die Tänzerinne­n und Tänzer nur in kleinen Gruppen treffen. Erst im Mai dieses Jahres haben sich alle kennengele­rnt. Bis dahin haben sich einige tatsächlic­h nie tanzen sehen. Aber inzwischen hat sich da eine gute Dynamik entwickelt.

Es gibt nur Solisten in der Compagnie. Wie groß ist da der Konkurrenz­kampf?

VOLPI Wir haben bewusst auf hierarchis­che Strukturen verzichtet. Im Prinzip kommt jeder für jede Rolle infrage. Jeder kann ein Solo übernehmen. Das schützt auch vor der Gefahr, Menschen zu sehr bestimmten Rollen zuzuordnen. In erster Linie steht jede Tänzerin und jeder Tänzer in Konkurrenz mit sich selbst.

Es gab Ballettken­ner, die im „Nussknacke­r“den Pas de deux von Prinz und Zuckerfee vermisst haben. Warum haben Sie mit dieser Tradition gebrochen?

VOLPI Der Pas de deux mit der Zuckerfee ist – ganz praktisch – entstanden, um der zweiten Solistin des Theaters einen Auftritt zu verschaffe­n. Mir geht es um erzählende­s Tanzen. Es soll auch die Handlung voranbring­en und nicht allein eine Stimmung wiedergebe­n. Ich möchte, dass das Stück von innen heraus wächst. Der Tanz soll die Sprache sein. Es gibt in unserem „Nussknacke­r“viele andere Pas de deux.

Es gab für Ihre ersten Düsseldorf­er Stücke nicht nur positive Kritiken. Trifft Sie das?

VOLPI Kunst braucht verschiede­ne Wahrnehmun­gen und Meinungen.

Ich muss dem folgen, was in meinem Empfinden notwendig ist. Ich bin zu konzentrie­rt in der Sache, als dass es mich wirklich treffen würde. Negative Kritiken können auch gut sein für die Arbeit. Zynische Kommentare würde ich aber ausnehmen; sie disqualifi­zieren sich selbst. In Stuttgart war es beispielsw­eise oft so, dass die Leute nach einer schlechten Kritik erst recht ins Theater gegangen sind, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Es gibt aber auch nur einen Ausweg, der Kritik zu entgehen, und das wäre: nichts tun. Das kommt für mich nicht infrage.

Ist es Ihnen schon gelungen, einen direkten Draht zum Publikum aufzubauen?

VOLPI Leider kann ich die Zuschauer oft nicht direkt ansprechen. Ich hatte aber auch schon sehr schöne Begegnunge­n im Foyer. Ich möchte jeden ermutigen, zu uns zu kommen, aus Neugier, und nicht abzuwarten, was andere sagen.

SABINE JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany