Im NRW-Nahverkehr könnte es ruckeln
Der VRR hat die Neuvergabe aller Abellio-Linien an Wettbewerber beschlossen. Die Deutsche Bahn gewinnt an Gewicht, der Fahrgastverband Pro Bahn befürchtet Chaos. Lokführer und Zugpersonal erhalten Wechselprämien.
DÜSSELDORF Nachdem die Verkehrsverbünde von NRW entschieden haben, die Zusammenarbeit mit dem insolventen Anbieter Abellio Ende Januar zu beenden, hat der Vergabeausschuss des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) am Donnerstag die Weichen dafür gestellt, wer die S-Bahnen und Regionalzüge im Zuge einer Notvergabe übernehmen soll: Die bisher von Abellio betriebenen S-Bahnen und Regionalzüge im Ruhrgebiet werden ab 1. Februar von der Deutschen Bahn, also DB Regio NRW, betrieben. Dazu gehören die S-Bahnen S2 (EssenDortmund), S3 (Oberhausen-Hattingen) und S9 (Wuppertal-Essen-Haltern), außerdem der RE 49 von Wesel nach Wuppertal. Zudem übernimmt der Staatskonzern das Ruhr-Sieg-Netz, wozu die RB 91 gehört. National Express übernimmt die RRX-Linien RE 1 (Aachen-EssenHamm) und RE 11. Das ergibt auch deswegen Sinn, weil der britischdeutsche Konzern bereits die RRXVorläuferlinien RE 4 (Aachen-Düsseldorf-Wuppertal) und RE 6 fährt.
Die S-Bahn S7 von Wuppertal über Remscheid nach Solingen wird künftig von der Eisenbahnfirma Vias gefahren, die bislang zwei kleinere Linien in Mönchengladbach und Düsseldorf betreibt. Das deutsch-dänische Unternehmen wird auch die Niederrheinbahn übernehmen, zu der neben dem RE 19 von Düsseldorf über Wesel nach Arnheim auch die RB 35 von Mönchengladbach nach Gelsenkirchen gehört.
Die Entscheidungen des VRR-Vergabeausschusses beruhen auf einem Vorschlag der Verwaltung. Sie wurden Anfang der Woche im Verwaltungsrat des VRR abgenickt. Die zwei anderen Aufgabenträger des Schienennahverkehrs in NRW, der Nahverkehr Westfalen-Lippe und der Nahverkehr Rheinland (NVR), zu dem der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS), gehört, würden sich bis zum 14. Dezember anschließen, berichten Insider.
Der VRR und der Fahrgastverband Pro Bahn befürchten nun, dass es zu einer Reihe an Verspätungen und Zugausfällen kommt, wenn der Betrieb von Abellio an die anderen Firmen übergeht. „Im Nahverkehr von NRW könnte es kräftig ruckeln“, sagt Lothar Ebbers, Pressesprecher von Pro Bahn in NRW. „Die Pendler müssen sich auf Wartezeiten oder ausfallende Züge mitten im Winter einstellen.“
Damit die rund 1000 Abellio-Beschäftigten auch wirklich zu den neuen Arbeitgebern wechseln, soll es ein Monatsgehalt Wechselprämie geben. Das hat die CDU-Fraktion im VRR-Verwaltungsrat angeregt: „Ohne Lokführer und ohne Zugpersonal funktioniert der Übergang nicht“, sagt Frank Heidenreich, Fraktionschef der CDU beim VRR. Der Betriebsratschef von Abellio, Jürgen Lapp, dringt dagegen auf zwei Monatsgehälter, um Kapital aus der Krise zu ziehen.
Die Lage ist brisant. Damit für den Moment der Zugverkehr reibungslos läuft, erhalten die Abellio-Beschäftigten schon in diesem Monat ein halbes Monatsgehalt Prämie, wenn sie nicht kündigen. Das berichtet ein Lokführer. Hinzu kommt eine steuerfreie Corona-Prämie von 800 Euro für jeden Beschäftigten zum Jahresende.
Die Verkehrsverbünde wollen mit der Deutschen Bahn aushandeln, dass Fernverkehrszüge in NRW ab spätestens Ende Januar für einige Zeit lang auch Nahverkehrspassagiere mitnehmen, falls regionale Züge ausfallen. Außerdem soll mit Abellio schnell geklärt werden, wie die Werkstätten übergeben werden, damit Züge gewartet werden können. Die S-Bahnen im Ruhrgebiet werden zwar in einer Werkstatt von Stadler in Herne fitgehalten, während sich Siemens um die Wartung des RRX kümmert, doch bei anderen Zügen müssen Werkstätten von Abellio übernommen werden. „Da ist Zeitdruck“, sagt CDU-Mann Heidenreich. Das sieht auch Norbert Czerwinski so, Fraktionschef der Grünen im VRR-Verwaltungsrat.
380 Millionen Euro hat das Land den Verkehrsverbünden zugesagt, um Zusatzkosten auszugleichen, weil neue, teurere Verträge unterschrieben werden müssen. Knapp zwei Jahre laufen die Notverträge, dann werden langfristige Neuverträge
ausgeschrieben. Die Tarife der Kunden sind aber davon nicht direkt betroffen: Der Staat subventioniert die Verkehrsverbünde.
Auch Roland Lünser, Vorstandssprecher des VRR, warnte davor, es könne zu vielen Verspätungen kommen, wenn die Verkehrsverbünde sich von Abellio trennen würden. Dabei hatte er als früherer Abellio-Manager selbst die Verträge mit dem VRR ausgehandelt, die nun zu der Nahverkehrskrise geführt haben. Abellio hatte sich den Betrieb vieler Strecken mit sehr günstigen Angebotspreisen gesichert. Als nun die Löhne und andere Kosten immer stärker stiegen, ging der Firma die Luft aus. Die Verkehrsverbünde waren zwar bereit, die Überweisungen für das Betreiben von S-Bahnen und Regionalbahnen etwas zu erhöhen, aber nicht in so starkem Maße, wie Abellio es gefordert hatte. Der größte Untergang eines Bahnunternehmens in der Geschichte von NRW steht nun bevor.