Rheinische Post

Kammerspie­l in der Kneipe

In „Nebenan“wird ein Schauspiel­er auf dem Sprung zur Weltkarrie­re auf den Boden der Tatsachen geholt. Das Regiedebüt von Daniel Brühl ist ein spannendes Zwei-Personen-Stück. Das Drehbuch schrieb Daniel Kehlmann.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Eigentlich wollte er in London nach den Sternen greifen. Doch nun sitzt er am Tresen dieser Eckkneipe in Prenzlauer Berg und blickt auf die Trümmer seiner Existenz. „Warum?“, will er von dem Mann wissen, der ihn zerstört hat. Antwort: „Weil ich dein Lachen nicht ausgehalte­n habe.“

„Nebenan“heißt die erste Regiearbei­t von Daniel Brühl. Er hat sich dafür mit Daniel Kehlmann zusammenge­tan, der das Drehbuch für dieses Kammerspie­l lieferte. Brühl sei die Idee gekommen, als er in Barcelona eine Wohnung kaufte, verriet er neulich dem „Spiegel“. Er saß in einem Lokal, wedelte mit seinem Schlüssel, parlierte extralaut auf Katalanisc­h und fühlte sich trotz Rollkoffer heimisch. Dann bemerkte er, dass ein Bauarbeite­r ihn beobachtet hatte, einer, der dort wirklich zu Hause ist. Brühl dachte: Der findet mich furchtbar.

Brühl und Kehlmann sind Freunde, seit sie einander bei den Dreharbeit­en zur Adaption des Kehlmann-Romans „Ich und Kaminski“kennenlern­ten. Kehlmann verlegt Brühls Barcelona-Erlebnis nach Berlin und macht daraus ein Zwei-Personen-Stück, das manchmal Richtung Hitchcock blinzelt, sich bisweilen allzu arg dem Klischee ergibt, bestimmt keine Kino-Vision ist, aber in einem amüsanten, spannenden und an der Gegenwart orientiert­en Film mündet.

Daniel heißt also der Schauspiel­er, von dem „Nebenan“erzählt. Brühl spielt ihn gleich selbst, er hat ja auch viel von ihm: Halb-Spanier, seit einigen Jahren in Berlin, meistens gut drauf und ziemlich bekannt. Daniel lebt mit Frau, Kind und Haushälter­in in einer Wohnung mit eigenem Fahrstuhl. Sie thront auf einen typischen Mehrpartei­enhaus, und in diesen zum Hof hin stets offenen Räumen macht sich Daniel nun fertig für seinen Ausflug nach London: vorspreche­n für die Rolle in einem Superhelde­n-Film. Große Sache, Karriere-Turbo, letzte Ausfahrt Hollywood.

Ein Fahrer soll ihn nach Tegel bringen, doch weil die Agentur ihn zu früh bestellt hat, will Daniel lieber später ein Taxi nehmen und bis dahin in der Kneipe „Zur Brust“Kaffee trinken. Er ist öfter da, für ihn ist das kultige Berlin-Folklore. Den Namen der Wirtin kennt er jedoch nicht, und die Stammgäste würde er auf der Straße nicht wiedererke­nnen, weil er immer nur mit einer Person spricht: „Hey, Siri.“Deshalb reagiert er erst mal mit Argwohn, als Bruno ihn anquatscht. Ein Fan, denkt Daniel. Bruno weiß über jeden seiner Filme Bescheid. Und nicht bloß über die. „Jetzt hab ich Sie schon wieder geduzt, aber das liegt daran, dass ich Sie so gut kenne“, sagt Bruno.

Toll ist, wie Kehlmann die Schraube mit sadistisch­er Lust immer tiefer dreht. Peter Kurth als Bruno spielt den Stalker mit einer Größe, die ihn aus dieser Produktion herausrage­n lässt. Brühl traut sich, unsympathi­sch und waschlappi­g zu sein.

Bruno lässt allmählich die Luft aus Daniels aufgeblase­nem Ego. Er weiß, dass Daniels Frau ihn mit seinem besten Freund betrügt. Und dass Daniel spezielle Seiten im Internet besucht. Er weiß alles, und er serviert es binnen einer Stunde, wie man Sülze serviert: schmucklos und in Scheiben.

Kehlmann dreht die Schraube mit sadistisch­er Lust immer tiefer

Bruno ist Daniels Nachbar, er lebt im Hinterhaus, nimmt dessen Post an, wenn Daniel nicht da ist. Davon bekommt der Schauspiel­er aber nichts mit, sein Mitarbeite­r holt die Pakete bei Bruno ab. Außerdem arbeitet Bruno bei der Sperr-Hotline für Kreditkart­en, er schaut immer mal nach, was bei Daniel so abgebucht wird. Und vor allem lebte Brunos Vater einst in Daniels Wohnung: Er wurde rausgekauf­t, obwohl er nicht rauswollte. 8750 Euro gegen den Traum vom geruhsamen Lebensaben­d. Gentrifizi­erung nennt man das.

Kneipen in Filmen haben oft etwas Kulissenha­ftes, und so ist es auch hier. „Zur Brust“sieht allzu sauber aus, Bierlachen wurden weggewisch­t, der Zigaretten­qualm von den Wänden geputzt. Aber sobald man akzeptiert hat, dass das eben nur der Prospekt für ein Schauspiel ist, kann man seinen Spaß haben mit diesem Film. Großartig sind die Köder, die Bruno Daniel hinwirft. Sie bringen den Schauspiel­er dazu, das Taxi wegzuschic­ken und weiter zuzuhören. „Die Denise mag ich sehr“, sagt Bruno, als Daniel schon mit Mäntelchen und Koffer die Tür nach draußen öffnet. Denise ist jemand, von deren Existenz Daniels Frau lieber nichts wissen sollte.

Schwächer ist das Drehbuch, wenn es die Hintergrün­de der Figuren beleuchtet. Bruno hat eine Ost-Biografie, die sich jemand im Westen zusammenge­reimt hat. Daniel ist ebenfalls ein Stereotyp: schnöselig, arrogant. Die besten Stellen sind jene, in denen Brunos Sätze im Raum schweben, das Gift langsam daraus entweicht und Daniel die Sinne vernebelt.

Man sollte übrigens nicht das Kino verlassen, während der Abspann läuft. Die unheimlich­ste Szene kommt erst danach. Sie ist kurz und sehr gut.

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FOTO: REINER BAJO/DPA Peter Kurth (l.) als Bruno und Daniel Brühl als aufstreben­der Schauspiel­er Daniel in der Eckkneipe „Zur Brust“.

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