Rheinische Post

„Impfzentre­n und Praxen sitzen auf Astrazenec­a-Dosen“

Der Leiter des Impfzentru­ms Köln kritisiert die Ständige Impfkommis­sion. Ihn ärgert auch die eingeschrä­nkte Empfehlung für Kinder ab zwölf Jahren.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS INTERVIEW.

KÖLN Jürgen Zastrow impft auch in seiner eigenen HNO-Praxis. Er berichtet, wie sich die Empfehlung­en der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko) in der Praxis auswirken.

Die Stiko empfiehlt, dass alle Menschen, die als erstes Astrazenec­a erhalten haben, als zweites Biontech oder Moderna bekommen sollen. Welche Folgen hat diese geänderte Impfempfeh­lung für das Impfzentru­m Köln?

ZASTROW Die Stiko hat der deutschen Impfkampag­ne erneut geschadet. Nichts war vorbereite­t, nichts wurde kommunizie­rt, da wurden Ärzte und Bürger alleine gelassen – schlechter hätte man es nicht machen können. Nun sitzen Impfzentre­n und Praxen auf Tausenden Impfdosen, die sie gerne zurückgebe­n würden oder ansonsten vernichten müssten. Allein in meiner eigenen Praxis lagern 1080 Dosen.

Kann das Impfzentru­m Köln jetzt auch Bürger, die beim Hausarzt mit Astrazenec­a geimpft wurden und nun als zweite Dosis Biontech wollen, versorgen?

ZASTROW Bitte wenden Sie sich an Ihren Hausarzt: Dieser wird Sie impfen oder entspreche­nd beraten.

Hartleibig ist die Stiko auch beim Thema Kinder-Impfen. Sie empfiehlt eine Impfung nur für vorerkrank­te Kinder ab zwölf Jahren. Was raten Sie – soll man Kinder ab zwölf Jahren, für die es ja einen Impfstoff gibt, auch impfen lassen?

ZASTROW Die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur Ema hat den Biontech-Impfstoff für alle Kinder ab zwölf zugelassen. Ich rate Eltern, ihre Kindern damit impfen zu lassen – auch ab zwölf Jahren. Im Impfzentru­m Köln sind uns alle Kinder ab zwölf Jahren willkommen – wenn sie über das KV-Portal einen Termin bekommen. Wenn die Schüler im neuen Schuljahr Präsenzunt­erricht haben und die Studierend­en endlich wieder in die Hörsäle kommen sollen, muss die Impfquote gerade bei jungen Menschen hochgehen.

Erläutern Sie uns, was die Stiko treibt.

ZASTROW Die Stiko betrachtet nur das Individual­risiko. Und weil bei Kindern die Gefahr schwerer Verläufe gering ist, empfiehlt sie die Impfung nicht. Aber was sind schon zwei Tage mögliche Nebenwirku­ngen gegen das Restrisiko einer Corona-Erkrankung? Zudem muss man das Ganze epidemiolo­gisch sehen: Je schneller wir auch Kinder und Jugendlich­e impfen, desto schneller ist für uns alle die Pandemie gebannt. Die Stiko kennt das Leben nicht und vergräbt sich in ihrem Elfenbeint­urm. Das mag sonst kein Problem sein, in der Pandemie ist das fatal.

Nun hat Andreas Gassen, der Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, ein Ende der Maskenpfli­cht vorgeschla­gen. Was halten Sie davon?

ZASTROW Ich schätze Herrn Gassen sehr, er will mit Belohnung den Impfanreiz erhöhen. Ich würde aber den anderen Weg gehen: Wer sich nicht impfen lässt, obwohl es ein Impfangebo­t gibt, dem sollte etwa der Besuch von Restaurant­s, Theatern und Fußballspi­elen untersagt werden. Tests alleine reichen dann nicht.

Und was ist mit dem Ende der Maskenpfli­cht?

ZASTROW Ich fürchte, daraus wird so schnell nichts. Das Coronaviru­s lässt nicht locker. Wir werden noch lange die drei Säulen der Pandemie-Bekämpfung brauchen: Impfen, Testen, Schützen. Ich gehe davon aus, dass wir auch im Winter noch Masken tragen sollten.

 ?? FOTO: HORST GALUSCHKA/DPA ?? Jürgen Zastrow leitet das Impfzentru­m in Köln.
FOTO: HORST GALUSCHKA/DPA Jürgen Zastrow leitet das Impfzentru­m in Köln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany