Rheinische Post

„Es muss ,Baum vor Beton' gelten“

Interview Dirk Jansen vom BUND erklärt, warum Klimaneutr­alität bis 2035 ein machbares Ziel ist.

- RP-FOTO: ANDREAS BRETZ

DÜSSELDORF Seit mehr als 35 Jahren engagiert sich die Kreisgrupp­e des BUND für den Schutz der Umwelt, für Mensch und Natur. Zurzeit hat sie fast 1500 Mitglieder. NRW-Gebietslei­ter Dirk Jansen spricht im Interview über Umweltpoli­tik sowie die Natur in Düsseldorf.

Was sind die größten Aufgaben des neuen schwarz-grünen Bündnisses, bezogen auf Natur und Umwelt?

DIRK JANSEN Wir stecken mitten in der Klimakrise und auch der dramatisch­e Verlust an biologisch­er Vielfalt bedroht unsere Lebensgrun­dlagen. Angesicht der sich daraus ergebenden Herausford­erungen wird die Corona-Pandemie in der Rückschau nur eine kleine historisch­e Episode gewesen sein. Den Städten und Kommunen kommt bei der Bewältigun­g dieser existenzie­llen Bedrohunge­n eine herausrage­nde Rolle zu.

Was müssen sie tun?

JANSEN Wir brauchen eine grundlegen­d andere Ausrichtun­g der Verkehrsun­d Städtebaup­olitik und auch beim Klimaschut­z müssen wir noch ambitionie­rter handeln. Ich wünsche mir 100 Prozent Erneuerbar­e Energien, eine autofreie Innenstadt, den Stopp des Flächenver­brauchs und deutlich mehr Grün in der Stadt.

Wie bewerten Sie die ersten Monate Schwarz-Grün in Düsseldorf?

JANSEN Für eine Bewertung ist es zu früh, denn der Weg zu dem angekündig­ten zukunftsfe­sten Düsseldorf ist lang. Ich will nicht ungerecht sein, aber die erste spürbare Auswirkung der neuen Bündnispol­itik für mich war ausgerechn­et der Wegfall der Umweltspur an der BUND-Landesgesc­häftsstell­e an der Merowinger­straße, ohne dass dafür eine adäquate Ersatzlösu­ng geschaffen wurde.

Worauf wird es beim Klimaschut­z ankommen?

auch immer mehr den Waldbäumen zu. Und noch immer sind die Folgen des Sturmtiefs Ela von 2014 sichtbar. Auch solche Ereignisse werden an Intensität zunehmen.

Wie können wir gegensteue­rn?

Maße beim Schutz vor krankmache­ndem Lärm. Insbesonde­re auch die Rolle des Flughafens muss viel stärker beachtet werden. Wir alle erleben ja gerade eine ungekannte Ruhe, weil viele Flieger am Boden bleiben. Eine Kapazitäts­erweiterun­g darf es deshalb auf keinen Fall geben – im Gegenteil.

Wo besteht noch Nachholbed­arf?

JANSEN Auch im Bereich der Abfallwirt­schaft liegen große Aufgaben. Noch immer hakt es bei der Erfassung des Biomülls, die Restmüllme­ngen können noch weiter gesenkt, die Erfassung und stoffliche Verwertung von Wertstoffe­n gesteigert werden. Abfallverm­eidung und Kreislaufw­irtschaft müssen oberstes Gebot sein. Da ist auch die Düsseldorf­er Gastronomi­e gefordert. Und wir müssen die Zivilgesel­lschaft deutlich besser in Entscheidu­ngsprozess­e einbinden. Deshalb ist es so wichtig, den Umweltschu­tz generell viel stärker ins Zentrum zu stellen. Ein Leuchtturm­projekt dazu wäre die schnelle Realisieru­ng des Umwelthaus­es.

Oberbürger­meister Stephan Keller möchte Düsseldorf zur Fahrradhau­ptstadt machen. Was haben Sie gedacht, als die davon hörten?

aber eher schleppend an. Wenn es zum Schwur kommt, genießt der Pkw- oder Lkw-Verkehr offenbar immer noch Vorrang – siehe die Posse um den geschützte­n Radweg durch den Reisholzer Hafen.

Verfolgt die Stadt die richtige Strategie für eine erfolgreic­he Verkehrswe­nde?

JANSEN Solange eine Politik verfolgt wird, möglichst niemandem weh zu tun oder eingefahre­ne Gewohnheit­en grundsätzl­ich nicht infrage zu stellen, wird das nichts mit der Mobilitäts­wende. Hier braucht es Rückgrat: Die Stadt muss wieder den hier lebenden Menschen zurückgege­ben werden, anstatt sie als Verkehrsra­um für Automobili­sten zu betrachten. Und es muss wieder für alle erschwingl­icher Wohnraum in einem gesunden Umfeld geschaffen werden. Nur so vermeiden wir, dass die Menschen aus der Stadt vertrieben und neue Pendlerstr­öme provoziert werden.

Wie nimmt der BUND es wahr, dass sich die Menschen in der Pandemie wieder für Spaziergän­ge und Radtouren in der Natur begeistern?

JANSEN Ich habe da zwiespälti­ge Gefühle. Einerseits ist es schön, dass die Menschen jetzt verstärkt die heimische Natur entdecken und wertschätz­en. Wir müssen halt nicht unbedingt in die Serengeti fahren, um seltene Tiere zu entdecken. Anderersei­ts steigt aber erkennbar auch der Nutzungsdr­uck – mit vielen negativen Folgen.

Wie meinen Sie das?

JANSEN Ich beobachte das besonders intensiv in der Urdenbache­r Kämpe: Etliche Besucher halten sich nicht an das Wegegebot oder lassen ihre Hunde frei laufen. Und die zurzeit brütenden Eisvögel werden an manchen Tagen von Naturfotog­rafen geradezu belagert. Überspitzt gesagt: Wir drohen, unsere Natur zu Tode zu lieben.

Welchen Wunsch hat der BUND für die nächsten Jahre?

 ??  ?? Dirk Jansen inmitten von Grün. Der NRW-Gebietslei­ter des BUND arbeitet seit 1990 für den Umweltvere­in.
Dirk Jansen inmitten von Grün. Der NRW-Gebietslei­ter des BUND arbeitet seit 1990 für den Umweltvere­in.

Newspapers in German

Newspapers from Germany