Die Anwälte der Fans
Maximilian Pesch und weitere Anhänger haben 2019 die Fanhilfe Fortuna gegründet. Sie soll Anhängern helfen, die im Rahmen von Fußballspielen Probleme mit der Polizei oder der Justiz bekommen haben.
DÜSSELDORF Derzeit ist es ruhig in und um die Stadien in Deutschland. Corona legt das Fandasein lahm – kein Jubel, kein Gesang, keine Randale. Bereits vor der Pandemie allerdings waren die Zahlen, was Verletzte und Straftaten rund um Fußballspiele in den vergangenen Jahren angeht, rückläufig. Polizei und Innenministerien führen das auf ihr konsequentes Handeln zurück. Das gefällt nicht allen – und führt auch zu Kollateralschäden. „Unsere Beobachtung ist, dass es einen Corpsgeist innerhalb der Polizei gibt, der es Fußballfans schwer macht“, sagt Fortuna-Anhänger Maximilian Pesch. „Die Unschuldsvermutung gilt in vielen Fällen nur noch in abgeschwächter Form. Sobald du bei einer vermeintlichen Straftat anwesend bist, bist du auch verantwortlich.“Deshalb hat sich der Jurist im öffentlichen Dienst mit anderen Düsseldorfer Fans zusammengetan und im September 2019 die Fanhilfe Fortuna gegründet. Sie soll Fans helfen, die im Rahmen von Fußballspielen Probleme mit der Polizei oder der Justiz bekommen haben.
Pesch hat – wie viele andere aktive Fans auch – beobachtet, dass sich in den vergangenen 15 Jahren die Tonlage gegenüber Fußballfans geändert hat. „Es betrifft mittlerweile jeden Fußballfan“, sagt er. „Die Verhaltensfreiheitsrechte als Bürger werden eingeschränkt. Es ist eine Art Ersatzstrafrecht für Fußballthemen erschaffen worden. Der eine oder andere Fußballfan hat dann auch nicht die finanziellen Mittel, um seine Rechte durchzusetzen. Deshalb haben wir diese Solidargemeinschaft gebildet.“
Dabei geht es in den meisten Fällen um eine anwaltliche Beratung oder auch eine Kostenhilfe für einen Prozess. Jeder Einzelfall wird neu bewertet. Eines will Pesch deutlich festgehalten wissen: „Wir sind ganz klar keine Strafkasse für Leute, die nur zum Fußball gehen, um sich zu kloppen.Wir zahlen keine Geldstrafen und Geldauflagen. Die Solidargemeinschaft badet nicht den Schwachsinn einzelner Leute aus.“Die Fanhilfe ist kein Auffangfonds für Randalierer, sie soll vielmehr bei vermeintlich überzogenen Polizeimaßnahmen unterstützend wirken.
„Die Leute kommen zu uns, schildern den Sachverhalt und benennen eventuell Zeugen“, erklärt der 32-Jährige. Die Fanhilfe schaut sich dann den genauen Fall an und fordert gegebenenfalls die Akten an, nachdem die Ermittlungen abgeschlossen sind. Die elektronische Ablichtung der Akte kostet rund zwölf Euro, das streckt die Fanhilfe vor. Dann wird der Fall zur Beratung im Fanhilfe-Gremium, der sich Treuhänderrat nennt, besprochen. „Wir sind prinzipiell für jeden Fortuna-Fan da. Wir besprechen den Fall und bewerten, ob der förderungswürdig sein kann“, sagt Pesch.
Kriterien, die zur Bewertung herangezogen werden: Wurde die Person vorher schon auffällig?Wie groß ist die Erfolgsaussicht? Wie schwer ist der Vorwurf und die mögliche Strafe? Wie prominent ist der Fall? Ein Beispiel wäre der – auch vom Verein Fortuna als überzogen kritisierte – Polizeieinsatz beim Spiel in Duisburg 2016, der durch Videos auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregte.„Da würden wir natürlich unterstützen“, sagt Pesch. Dann werden die Gerichtsgebühr, Prozesskosten und die erste Anwaltsgebühr gezahlt. Das sind etwa 400 bis 800 Euro im ersten Durchgang. TypischeVorwürfe, mit denen sich die Fanhilfe auseinandersetzt, sind Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder versuchter Landfriedensbruch.
Ein hypothetisches Beispiel: Eine Gruppe Fans trifft am Bahnhof auf eine andere Gruppe Fans. Es kommt zu verbalen Auseinandersetzungen, dann fliegt aus einer Gruppe eine Flasche in Richtung der anderen Fans – ohne jemanden zu treffen oder zu verletzen. Alle Fans aus beiden Gruppen werden dann polizeilichen Maßnahmen zugeführt, es kommt zur Identitätsfeststellung. Zudem werden Betretungsverbote ausgesprochen, so dass alle Fans dieser Gruppen an diesem Tag nicht ins Stadion dürfen und das Spiel trotz gültiger Eintrittskarte verpassen. „Rechtlich ist das vielleicht gerade noch vertretbar. Aber es ist schon über die Grenze desVerhältnismäßigkeits-Prinzips hinaus“, sagt Pesch. „Es werden eben alle direkt als Chaoten abgestempelt. Das passiert mehr und mehr.“Er berichtet von immer mehr Fällen der so genannten Sippenhaft. „Das sieht das Strafrecht so nicht vor. Der Staatsapparat muss die Schuld des Einzelnen mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit darlegen und beweisen. So funktioniert unser Rechtssystem.“
In der Fanhilfe sind fünf Rechtsanwälte, die als erfahrene Strafverteidiger tätig sind, aktiv. Alle sind selbst Fortuna-Fans.„Sie kennen die Rahmenbedingungen rund um Fußballspiele. Da können wir uns glücklich schätzen“, sagt Pesch. Fortuna ist in dieser Hinsicht aber in keiner Vorreiterrolle. Es gibt bereits einen deutschlandweiten Dachverband, in dem sich Fanhilfen von Klubs von der Bundesliga bis zur Regionalliga vernetzt haben. „Es gibt einen guten Austausch. Die Fanhilfe in Dortmund ist zum Beispiel schon ein paar Schritte weiter, da können wir uns etwas abgucken. Da gilt der abgedroschene Grundsatz: Getrennt in den Farben, in der Sache vereint.“