Ringe, in denen sich todbringender Inhalt verstecken ließ, schmückten die Finger tückischer Trinknachbarn
Mord ist eine scheußliche Sache. Einmal abgesehen von der Schwere der Schuld sind die Begleitumstände meist schockierend. Häufig fließt Blut. Das macht den Anblick der Opfer noch schrecklicher. Zum Gruseln auch das Arsenal der todbringenden Werkzeuge, mit denen Menschen andere ins Jenseits befördern. Tatortreiniger wollte man deshalb nie werden. „Tatort“gucken schon eher. Ein Krimi kommt selten ohne die genannten Zutaten des Grauens aus.
Wie unspektakulär erscheint dagegen ein Verbrechen, bei dem der Tod durch Gift eintritt. Die Waffen: weder Messer, Schlagstock oder Schießeisen, vielmehr weißes Pulver, farblose Flüssigkeit, unsichtbares Gas. Der Einsatz: Anstelle eine Stichs eine harmlose Handbewegung, bei der wie zufällig eine winzige Substanz in eine Tasse fällt, statt eines knochenbrechenden Schlags ein flüchtiges Streifen der Haut, kein krachender Feuer- sondern ein lautloser Sprühstoß im Vorübergehen. Mitunter reicht der Kontakt zu kontaminierten Gegenständen des Alltags. Und erst die Wirkung: Nicht selten passiert zunächst einmal – gar nichts.
Nach ein paar Stunden, ein paar Tagen, einer Woche bekommt das Opfer vielleicht Husten. Oder andere Symptome, die auf eine der vielen schlimmen Krankheiten hindeuten, die auf dieser Welt so wüten. Nur, dass sie einen immer schwereren Verlauf nimmt, die Ärzte ratlos sind und der Patient am Ende stirbt. Vom Täter fehlt jede Spur. Gab es überhaupt einen?
Es ist wahr: Nichts kann so unspektakulär töten wie Gift. Aber nichts tötet zugleich so perfide. Daher greifen dunkle Mächte, oder sagen wir ruhig: im Geheimen operierende, ihren Auftraggeber ungern preisgebende Organisationen, vorzugsweise zu Gift, wenn es darum geht, Gegner, die meist politisch engagiert sind, zumindest mundtot zu machen. So geschehen zuletzt bei Alexej Nawalny, dem russischen Oppositionspolitiker, der während einer
Reise in Sibirien vergiftet und am Ende einer dramatischen Rettungsaktion von Ärzten der Berliner Charité gerettet wurde.
Nun offenbart ein Blick in die Vergangenheit, dass mit Gift schon des Öfteren Geschichte geschrieben wurde. Extrem toxische Stoffe waren schon immer ein Mittel der Wahl, Leute, die im Weg standen, unter ungeklärten Umständen dahinscheiden zu lassen. Im 4. vorchristlichen Jahrhundert, in der Endphase des altpersischen Großreichs, schwang sich etwa der Eunuch und Erste Hofminister Bagoas zum Königsmacher auf, indem er zuerst Artaxerxex III. und fast alle seine Söhne vergiftete. Nur einen ließ er am Leben und machte ihn zu seiner Marionette.
Nero soll deshalb auf den römischen Kaiserthron gelangt sein, weil seine Mutter Agrippina ihren Mann Claudius zuvor vergiftet hatte, vermutlich mit blauem Eisenhut. Auch der mächtige Borgia-Clan, aus dem Ende des 15. Jahrhunderts zwei Päpste hervorgingen, genießt den zweifelhaften Ruf, die Gesundheit seiner Feinde gnadenlos durch Gift ruiniert zu haben. Nicht nur in der Renaissance schmückten spezielle Ringe, in deren Hohlräumen sich todbringender Inhalt verstecken ließ, die Finger heimtückischer Trinknachbarn.
Entsprechend groß war in den gehobenen Ständen die Angst, vergiftet zu werden. Sogar der Brauch, bei Tisch die Gläser klingen zu lassen, soll ursprünglich eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen sein: Gefüllte Kelche wurden nicht unbedingt herzlich, in jedem Fall aber so hart aneinandergestoßen, dass etwas vom Inhalt in das Gefäß des jeweils anderen schwappte. Zögerte sodann einer zu trinken, war das wie das Bimmeln eines Alarmglöckchens.
Einen Vorkoster kann sich schließlich nicht jeder leisten. Schon gar nicht die zahllosen Ehemänner und -frauen, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts durch das leicht zu beschaffende Arsen dahingerafft wurden, heimlich verabreicht vom angetrauten Partner, der darin die einzige Möglichkeit sah, den heiligen Bund zu lösen. Doch bereits 1836 entwickelte der britische Chemiker James Marsh ein Verfahren, mit dem sich selbst winzigste Mengen der tödlichen Substanz zweifelsfrei nachweisen ließen. Damit neigte sich die mörderische Karriere des auch als „Poudre de succession“(Erbschaftspulver) berüchtigten Gifts dem Ende zu. Dennoch gehen Experten davon aus, dass es sich bei einem erheblichen Teil der geschätzt 1200 bis 2000 Tötungsdelikte, die jedes Jahr in Deutschland unerkannt bleiben, um Giftmorde handelt.
Heutzutage sind die Nachweismethoden so präzise, dass sich der Verdacht, es könnte Gift im Spiel gewesen sein, fast immer bestätigt – wenn es denn einen gibt. Natürlich rechnen die Drahtzieher eines politischen Verbrechens damit, zügig in den Fokus zu geraten. Denn wo ein Regimegegner dahinscheidet, existiert schließlich auch ein Regime. Mitunter sogar ein ebenso skrupelloser Rechtsstaat. Auch der US-Geheimdienst CIA plante zur Zeit des Kalten Krieges einen Giftanschlag auf den kubanischen Diktator Fidel Castro, der jedoch nicht ausgeführt wurde. Und zwei Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad ließen sich erwischen, als sie Chalid Maschal, einem Führer der Terrororganisation Hamas, 1997 in Jordanien Gift ins Ohr sprühten. Der Jordanische König intervenierte, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu musste ein Gegengift herausrücken, Maschal überlebte. Warum wird dennoch kaltblü