Europas Logistik-Könige aus Erkrath
Timocom hat eine Art schwarzes Brett für die Transportbranche entwickelt – und dominiert mit seiner Plattform heute den europäischen Markt.
gibt hier Billardtisch und Bällebad – sogar Liegeräume können die Mitarbeiter nutzen, wenn sie zwischendurch eine kurze Auszeit von der Arbeit brauchen. In der Kantine, die hier„Speisezimmer“genannt wird, sitzen junge Leute. Selbst die beiden Geschäftsführer sind noch keine 40 Jahre alt. Alles hier erinnert an eines dieser jungen Start-ups aus Berlin-Mitte.
Doch das Gebäude am Timocom-Platz 1 steht nicht in Berlin, sondern in Erkrath, einer 46.000-Einwohner-Stadt im Kreis Mettmann. Timocom ist kein Start-up, sondern ein in zweiter Generation geführtes Familienunternehmen – dem allerdings etwas gelungen ist, was bislang fast kein europäisches Unternehmen geschafft ist: Die Erkrather sind in ihrem Segment zur dominierenden Plattform in Europa aufgestiegen. An Timocom, das hört man in der Logistikbranche immer wieder, kommt man nicht mehr vorbei.
Die Geschichte von Timocom beginnt 1997, knapp drei Jahre nach der Gründung der Handelsplattform Amazon und ein Jahr vor der Gründung der Suchmaschine Google. Nach seiner Ausbildung zum Speditionskaufmann beim Logistiker Schenker hatte sich Jens Thiermann zunächst mit einer eigenen Spedition selbstständig gemacht, bevor er Timocom gründete, das eine Art schwarzes Brett für die Transportbranche entwickelte.
Über die Frachtenbörse können Unternehmen passende Lkw-Transporteure finden, diese wiederum können über Timocom ihre Fahrten besser auslasten. Ein Meilenstein für die Speditionsbranche, in der Jahrzehnte Telefon und Fax dominierten. Begonnen hatte das Unternehmen einst mit dem Verschicken von Disketten, heute läuft alles über Rechenzentren. Bis zu 750.000 Angebote werden heute über die Plattform abgewickelt – pro Tag.
Gleichzeitig hat Timocom damit begonnen, rund um das schwarze
Brett weitere Dienstleistungen anzubieten. Das Unternehmen betreibt sogar ein eigenes Inkassobüro. „Wir schauen uns natürlich alle Schritte im Logistikprozess an – und gucken dann, wie wir unsere Kunden noch stärker unterstützen können“, sagt Tim Thiermann, der die Leitung des
Unternehmens im vergangenen Jahr von seinemVater Jens übernommen hat. Mit 31 Jahren ist er nun gemeinsam mit dem ebenfalls erst 38-jährigen Sebastian Lehnen für rund 500 Mitarbeiter verantwortlich.
„Tims Vater hat uns geschliffen – und das meine ich absolut positiv.
Er hat viel gefordert von uns“, sagt Lehnen. Und nun wollen die beiden Timocom auf das nächste Level bringen, denn es greifen auch immer mehr Start-ups wie Uber oder Sennder im Logistikbereich an und treiben die Digitalisierung der Branche voran. Finanziert werden sie mit Millionensummen von Wagniskapitalgebern. Doch diesen Schritt will Timocom nicht gehen. Das Unternehmen möchte weiter aus eigener Kraft wachsen. 100 Millionen Euro sollen bis 2030 in Forschung und Entwicklung fließen, möglich machen das auch die satten Gewinne der vergangenen Jahre. Allein 2018 blieb ein Ergebnis nach Steuern von mehr als 22 Millionen Euro, obwohl die Logistikbranche generell als margenschwach gilt.„Sie haben zur richtigen Zeit das Richtige gemacht“, sagt ein Spediteur, der lieber anonym bleiben möchte: „Die Spediteure brauchen diese Plattform.“Er spricht angesichts der Übermacht vonTimocom von einer Hassliebe. Man profitiert von der Plattform, kann aber auch nicht mehr ohne. Zähneknirschend beobachtet er, wie manche Unternehmen direkt über die Plattform Leistungen günstig einkaufen, die sie vorher mit einem Spediteur abgewickelt hätten.
Die Timocom-ID, die das Unternehmen an Kunden vergibt, ist zu einer Art Qualitätssiegel in der Branche geworden. Je niedriger die Zahl, desto länger ist ein Unternehmen bereits gelistet – ohne Zwischenfälle, denn diese würden registriert und geahndet. Im Unternehmen erzählen sie, dass manche Kunden ihre Timocom-Nummer sogar in ihre Signatur bei E-Mails aufgenommen hätten.
Vor Uber-Freight und Co. haben sie in Erkrath jedenfalls keine Angst. Und auch Jens Thiermann kann seinen Ruhestand genießen – und sich um andere Projekte kümmern. Im Juli übergab er gemeinsam mit seiner Frau die Schlüssel für „Timos Fuchsbau“an Bürgermeister Christoph Schultz. Die Unternehmerfamilie hatte der Stadt Erkrath eine Kindertagesstätte gestiftet.