Garzweiler-Anlieger gewinnen Zeit
Überraschend zwingt das Land den RWE-Konzern, Garzweiler anders als geplant auszubaggern. Das gibt den fünf Erkelenzer Dörfern Zeit. Am Ende könnte sogar eine Bleibeperspektive für die betroffenen Bewohner stehen.
DÜSSELDORF Der Kohleausstieg 2038 ist beschlossen, nun gibt die Landesregierung in der Leitentscheidung konkrete Schritte für das rheinische Revier vor. Danach wird die umstrittene Umsiedlung der fünf Erkelenzer Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Berverath, Unter- und Oberwestrich zwar grundsätzlich fortgesetzt. Doch zugleich zwingt das Land den RWE-Konzern überraschend, das Garzweiler-Gelände anders als geplant abzubaggern. „Wir geben vor, dass im Tagebau Garzweiler zunächst im Süden der Abbau unter den fast vollständig umgesiedelten Dörfern Immerath und Lützerath fortzusetzen ist“, sagte Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP). „Eine Inanspruchnahme unter den nördlichen Dörfern steht so erst in einigen Jahren an und gibt die erforderliche Zeit für gute Lösungen im Interesse der Betroffenen.“
„Gute Lösung“kann am Ende sogar heißen, dass die Dörfer bleiben. Eigentlich sollten sie ab 2023 dem Bagger weichen. Nun kann es durch die neue Anweisung des Landes an RWE bis 2028 dauern. Der Clou daran: 2026 steht die erste politische Revision des Kohleausstiegs an. Dann wird geprüft, ob man ihn beschleunigen will – und die Kohle unter den Dörfern am Ende womöglich nicht mehr braucht. DaVerschmutzungszertifikate immer teurer werden, wird die Braunkohle-Verstromung für RWE ohnehin unattraktiver. Allerdings wurde RWE die Ausbaggerung von Garzweiler per Bundesgesetz garantiert. Bei einem noch früheren Kohleausstieg könnten dann weitere Entschädigungen fällig werden.
„Die Aufforderung an RWE, die bewohnten Dörfer so lange wie möglich zu verschonen, lässt vermuten, dass sich die Landesregierung inzwischen auch nicht mehr sicher ist, dass die Kohle unter den Dörfern tatsächlich gebraucht wird“, sagte Wibke Brems, energiepolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. Damit wälze das Land schwierige Entscheidungen auf künftige Regierungen ab. Mit „windelweichen Formulierungen“scheue SchwarzGelb klare Entschlüsse zur Zukunft der Garzweiler-Dörfer. Das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“kündigte für die nächsten Wochen und Monate Proteste gegen Land und RWE an: „Wir werden weiter um unser Zuhause kämpfen.“
Der Konzern äußerte sich zurückhaltend: „Den Entwurf der Leitentscheidung, der in Teilen über die Planung hinausgeht, die RWE im Februar vorgelegt hatte, wird das Unternehmen intensiv prüfen und sich konstruktiv in das Beteiligungsverfahren einbringen“, hieß es. RWE begrüße, dass es nun verlässliche Rahmenbedingungen gebe. Die Tagebaue Inden und Hambach würden wie geplant bis Ende 2029 eingestellt. Ab 2030 stehe nur noch Garzweiler zur Verfügung.
Pinkwart betonte, dass die Leitentscheidung den Beschluss der Kohlekommission umsetze. Dazu gehört, dass der umkämpfte Hambacher Forst erhalten bleibt. Das hat RWE auch längst zugesagt, dennoch gibt es wieder zahlreiche Baumhäuser von Aktivisten im Forst. Erhalten bleibt auch der Ort Morschenich, auch wenn dieser weitgehend leergezogen ist. Zudem soll der Forst mit Waldstücken wie dem Merzenicher Erbwald und Steinheide vernetzt werden, um die Wasserversorgung zu sichern.
Eigentlich wollte RWE bis 2050 Braunkohle abbauen. Nun bleiben 1,2 Milliarden Tonnen in der Erde. Durch die Leitentscheidung der rot-grünen Vorgängerregierung 2016 lagen die Einsparungen erst bei 400 Millionen Tonnen. Damit rückt der Tagebau auch nicht mehr so nah an die verbleibenden Ortschaften heran. Der Mindestabstand, der zuletzt bei 100 bis zu 300 Metern lag, soll nun auf 400 Meter vergrößert werden. Würde der Kohleausstieg auf das Jahr 2035 vorgezogen werden, vergrößert sich der Mindestabstand lautWirtschaftsminister auf 500 Meter.
Auch das Straßennetz ist betroffen. Wegen der Unterbrechung der
Autobahn A 61 soll nun eine „leistungsfähige Verbindung zwischen den Anschlussstellen Mönchengladbach-Wanlo und Titz-Jackerath“geschaffen werden.
„Nordrhein-Westfalen wird zum Vorreiter beim Kohleausstieg in Deutschland“, betonte Pinkwart im Landtag, als er die Leitentscheidung mit dem Namen„Neue Perspektiven für das rheinische Revier“vorstellte. Auf der einen Seite bedeutet das hohe Lasten: Bis in das Jahr 2028 hinein erfolgen alle endgültigen Stilllegungen von Braunkohleblöcken ausschließlich im Rheinischen Revier. Das hatten die ostdeutschen Länder in den Verhandlungen zum Kohleausstieg erzwungen. Auf der anderen Seite soll das rheinische Revier aber auch eine Vorzeigeregion für moderne Energie werden: Auf Tagebau-Seen und Böschungen sollen riesige Solaranlagen entstehen, große Speicher sollen die Energie konservieren. „Wir setzen alles daran, dass der Wandel im rheinischen Revier gelingt“, so Pinkwart.
Zugleich kritisierte der Minister im Landtag, dass Umweltschützer sich nach Kohle- und Atomausstieg nun die Gaskraft vornehmen. Man brauche Gas zur Sicherung der Stromversorgung. „Es ist grob fahrlässig, wenn nun von Gruppierungen bereits die nächste Ausstiegsdebatte eröffnet und mit Düsseldorf-Lausward das weltweit sauberste Gas- und Dampf-Kraftwerk bestreikt wird.“Der Kampf um die richtige Energie geht also weiter.