„Uns fehlen die Zwischentöne“
Marc Battenstein ist Chef eines Übersetzungsbüros. Mit ihm über Sprache zu sprechen, ist buchstäblich gute Unterhaltung.
Am Anfang war die Eule. Die prangte auf einem fein in blau-rot gedruckten Prospekt, mit dem Gudrun Battenstein damals, 1984, für ihr neu gegründetes Übersetzungsbüro Reklame machte. Der berühmte Nachtvogel und das Symbol der Weisheit. Ein paar hundert Stück dieses offenbar sehr überzeugenden Flyers kamen unter die Leute, und die Auftragslage war umgehend gesichert. Gudrun Battenstein, bekennende Verehrerin von Heinrich Heine, hatte Englisch und Deutsch studiert und wollte eigentlich Lehrerin werden. Da es aber damals keine Stellen gab, gründete sie eine Firma für Übersetzungen – und die führt ihr Sohn Marc (52) noch heute. Auch sonst hat er von der Mutter viel geerbt. Vor allem sein Liebe zum Wort – gedruckt oder gesprochen. Schon vor der Schule konnte Marc Battenstein lesen und erinnert sich gern an die Stunden, die er in einer Buchhandlung an der Luegallee schmökernd verbrachte. Trotz seinem Hang zum Literarischen hat er in Köln Betriebswirtschaftlehre studiert.
Nun, zig Jahre später, prägt das Wort immer noch sein Leben, und der überaus korrekte Umgang damit finanziert es. Seine Firma übersetzt Texte in alle Sprachen aus allen Sprachen. Vor allem geht es dabei um sehr spezielle Fachgebiete – Medizin, Technik Juristerei, Pharma: das Übersetzungsbüro sorgt dafür, dass die Beteiligten sich verstehen, und zwar nicht nur ungefähr, sondern sehr präzise. „Wir bauen Brücken zwischen den Parteien“, sagt der Chef. Wer nun denkt, Battenstein sei ein Mann mit hoher Affinität für die feine Kommunikation, der liegt richtig. Mit dem Fachmann für Sprache über Sprache zu sprechen, ist Unterhaltung auf höchstem Niveau, durchaus anspruchsvoll, also manchmal anstrengend. Schnell wird klar: Er macht sich reichlich Gedanken über das komplizierte Regelwerk der zwischenmenschlichen Verbalität, und vor allem über deren Qualität. Zumal sie nach seiner Beobachtung zuletzt immer mehr den Bach runter geht. Fatal für die Menschen, wie er findet – will er doch gehört haben, dass mit der immer simpler werdenden Kommunikation die Zahl der Ehescheidungen nach oben gehe. Woran das liegen könnte? Battenstein hat eine einleuchtende Erklärung: Es fehlen die Zwischentöne, die Feinheiten einer Idiomatik, die bis vor wenigen Jahren noch durchaus üblich war und wie ein Schmiermittel das verbale Miteinander flüssig hielten. Den Sprachpuristen macht das hörbar traurig. Zumal er weiß: Schlechte Sprache, schnelle Gewalt. Letzteres hat er, durch und durch Düsseldorfer Gewächs, oft genug in der Altstadt beobachtet, wo aus einem kurzen, heftigen Streit schnell die Prügelei wird. Wie gesagt – es würde der Zwischentöne bedürfen.
Und Schlampereien der kommunikativen Art setzen sich durch, wie er findet. Bombenstimmung findet der Mann, obwohl eifriger Karnevalist in einer Prinzengarde, nicht witzig, sämtliche heutzutage so leichtfertig genutzten Begriffe aus dem Krieg findet er grundsätzlich unangebracht, wenn auch längst in den üblichen Gebrauch eingegangen. Beim Begriff „gesunder Menschenverstand“kann er nicht fassen, dass diese Formulierung gängig ist und für etwas Positives steht. Dabei erinnert der Ausdruck Battenstein an die Nazis und ihr „gesundes Volksempfinden“, das sie seinerzeit auch als Argument für ihr Euthanasie-Programm nutzten, mit dem sie Menschen töteten, die aufgrund einer Behinderung genau das angeblich nicht hatten.
Mit Amüsement verfolgt er die Diskussion um allzu viel politische Korrektheit – wie der Übersetzung eines Textes von Martin Luther King, in dem der schwarze Führer der Afroamerikaner, typisch für seine Zeit, von „negroes“sprach, also Negern – und eine renommierte deutsche Zeitung sich an diesem Begriff stieß, weil eine Übersetzerin ihn eins-zueins übernehmen wollte. Neger? Im Jahr 2020? Geht nicht. Auch wenn es im Original-Text so steht. Das, findet der sonst so sprach-korrekte, ist falsch verstandenen Korrektheit. Ein weiteres Beispiel für kommunikative Fehlentwicklungen, die ihn, den Experten für gewählte Sprache, manchmal – nun ja: sprachlos machen.
„Aus schlechter Sprache wird schnell Gewalt.“
Marc Battenstein Übersetzer und Sprachexperte