Die Krisen-Maschine
Das Management der Corona-Krise in Deutschland läuft weitgehend nach Plan. Noch weitreichendere Entscheidungen lassen auf sich warten.
BERLIN Die Ernüchterung kam Aschermittwoch: Das Coronavirus ist da. Bund und Länder verfügen im Pandemiefall über eine Krisen-Maschine, die schnell hochgefahren werden kann. An einigen entscheidenden Stellen erweist sie sich aber als nicht gut genug geölt.
Der Reihe nach: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), gelobt als Aktivposten im Kabinett, telefoniert sofort mit Innenminister Horst Seehofer (CSU), der wiederum als ehemaliger Landwirtschaftsminister die Großlagen aus Zeiten derVogelgrippe kennt. Ihr gemeinsamer Krisenstab, in dem von Anfang anVertreter aus den Ressorts Außen, Verteidigung, Wirtschaft und Verkehr sowie aus dem Kanzleramt sitzen, tagt am Donnerstag nach Karneval erstmals an einem langen Tisch. Staatssekretäre, Abteilungsleiter und andere Fachleute sitzen dicht gedrängt. Zu dem Zeitpunkt gelten noch keine Abstandsregeln. Im Blick haben sie einen großen Bildschirm mit einer Weltkarte – die roten Flecken als Zeichen für Corona-Krisengebiete noch in sicherem Abstand zu Deutschland.
Spahn, der sein Talent zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit einst vor allem durch Provokationen unter Beweis stellte, weiß, was die Stunde geschlagen hat und macht viel richtig. Er spricht mit seinen Länderkollegen, holt die zentralen Vertreter des Gesundheitswesens aus Ärzteschaft, Kliniken und Krankenkassen an Bord. Es wird sofort vereinbart, dass die Kassen den 59 Euro teuren Test auf das neue Virus übernehmen.
Seit der Schweinegrippe vor gut zehn Jahren schlummern in Schubladen von Bund, Ländern, Kommunen und großen Unternehmen die Pläne, was im Pandemiefall zu tun ist. Öffentlich muss Spahn einräumen, dass der Ernstfall nicht geprobt wurde und es mit dem vorgesehenen Vorrat an Schutzkleidung auch nicht weit her ist. Der Minister greift selbst zum Telefon und redet mit den Lieferanten.
Während die Kanzlerin in der Krise – wie so oft – erst einmal schweigt, geht der Gesundheitsminister, flankiert von seiner obersten Gesundheitsbehörde, dem Robert-Koch-Institut, nahezu im 24-Stunden-Takt an die Öffentlichkeit. Die Bürger klicken, lesen, hören und schauen Nachrichten wie sonst nur im Ausnahmezustand.
Dieser gilt Anfang März in Deutschland aber noch nicht.Während in den Nachbarländern das öffentliche Leben zum Erliegen kommt, versagt das föderale Krisenmanagement in Deutschland in der Frage, ob das Fußballspiel Borussia Mönchengladbach gegen Dortmund am 7. März noch vor Publikum stattfinden darf. Während nur eineWoche später Finanz- undWirtschaftshilfen in dreistelliger Milliardenhöhe auf denWeg gebracht werden müssen, schieben sich Bund, Länder und Liga in diesem Moment gegenseitig den Schwarzen Peter zu, wer das Spiel absagt und finanziell verantwortlich wäre. In der Bundespressekonferenz verschanzen sich die Sprecher hinter den Zuständigkeiten lokaler Behörden und der Liga.
Auch die Experten, die die Bundesregierung beraten, legen eine Lernkurve hin. RKI-Chef Lothar Wieler nennt wenige Tage bevor die Schlagbäume fallen, Grenzschließungen im Kampf gegen Corona noch „naiv“. Der BerlinerVirologe Christian Drosten, der zu den zentralen Beratern der Regierung zählt, lehnt Schulschließungen zunächst ab und ändert später seine Meinung. Alles, was es praktisch zu regeln gilt, läuft derweil: Kurzarbeitergeld ausweiten, die Bestellung 10.000 neuer Beatmungsgeräte, das Verschieben nicht dringender Operationen oder auch die Rekrutierung von Studenten für den Einsatz in Kliniken. Entscheidungen, die Mut erfordern, dauern.
Eine Woche nach dem letzten Bundesligaspiel vor Publikum ist auch Deutschland auf der Weltkarte ein roter Fleck. Die Kanzlerin lädt zum Corona-Kabinett und einigt
sich mit den Regierungschefs der Länder auf eine weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens. Treibende Kraft unter den 16 Länderchefs ist Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Der Süden der Republik ist von Corona besonders betroffen. In dieser Krisenlage wollen die anderen Länder Alleingänge Bayerns vermeiden und geben dem Drängen nach.
Hinter den Kulissen wird pausenlos daran gearbeitet, welches Signal man in der Öffentlichkeit für die Wirtschaft setzen kann, wenn die Geschäftstätigkeit im Land drastisch heruntergefahren wird. In dieser Situation soll keine zusätzliche Ungewissheit entstehen. Um Panik bei den Unternehmern zu vermeiden, die bereits die Untergangsszenarien im Wirtschafts- und im Finanzministerium vorgetragen haben, verkünden Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ihre 550-Milliarden-Euro-Hilfen gleich nach der Ankündigung der Kanzlerin, weite Teile des öffentlichen Lebens still zu legen – alles am Freitag, 13. März. Die Öffentlichkeit akzeptiert die Maßnahmen. Viele nehmen das Virus aber immer noch nicht ernst. Die dazugehörige Ansprache an die Bevölkerung zum Ernst der Lage liefert Merkel erst fünf Tage später. Wertvolle fünf Tage später.