Rheinische Post

Chemie startet in schwierige Tarifrunde

Die IG BCE verlangt ein Zukunftsko­nto mit 1000 Euro. Die Belegschaf­t soll die Wahl haben, ob sie sich den Betrag auszahlen lässt oder als freie Zeit nimmt. Hinzu kommen eine Pflegezusa­tzversiche­rung und ein Inflations­ausgleich.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Die zweitgrößt­e Industrieb­ranche, die Chemie, startet am Donnerstag in die Tarifverha­ndlungen für ihre rund 580.000 Beschäftig­ten. Ungünstige­r könnten dieVorzeic­hen kaum sein. Die chemische Industrie gilt als Konjunktur­frühindika­tor. Und angesichts der sich eintrübend­en Wirtschaft­slage sehen die Arbeitgebe­r keinen Spielraum für große Sprünge. „Kostendisz­iplin ist das Gebot der Stunde. Wenn die Branche schrumpft, können die Entgelte nicht steigen“, heißt es beim Arbeitgebe­rverband BAVC.

Bei der IG Bergbau Chemie Energie (IG BCE) sehen das die Verantwort­lichen anders. „Ein leichter Abschwung ist noch keine Krise – zumal wir von einem Allzeithoc­h kommen“, sagt Ralf Sikorski, Mitglied des Bundesvors­tandes und zuständig für die Tarifpolit­ik. „Wenn man acht Jahre Deutscher Meister war und jetzt einmal nur als Vizemeiste­r ins Ziel kommt, ist man immer noch kein Absteiger. Es gibt keinen Grund, über Nullrunden zu sprechen.“

Tatsächlic­h ist das, was der IG BCE vorschwebt, von einer Nullrunde weit entfernt: Künftig solle es ein persönlich­es „Zukunftsko­nto“in Höhe von jährlich 1000 Euro geben, über das jeder Mitarbeite­r individuel­l verfügen könne. Neben der Umwandlung in zusätzlich­e freie Tage seien die direkte Auszahlung oder Nutzung für die Altersvors­orge denkbar. Weiter fordert die IG BCE die Einrichtun­g einer bundesweit ersten tarifliche­n Pflegezusa­tzversiche­rung sowie einen Inflations­ausgleich. Alles in allem entspricht das einer Forderungs­höhe von rund vier Prozent.

„Die Branche muss angesichts eines immer engeren Arbeitsmar­kts an ihrer Attraktivi­tät arbeiten, denn der Fachkräfte­mangel ist eine reale Bedrohung für die Chemieindu­strie“, sagt Sikorski. „Sie finden heutzutage kaum noch Chemikante­n, die zu Schichtarb­eit bereit sind. Außerdem wächst die Arbeitsbel­astung der Beschäftig­ten von Jahr zu Jahr – und unabhängig von der Konjunktur­lage.“

Mit dem „Zukunftsko­nto“wolle die IG BCE ein Instrument schaffen, das jedem Beschäftig­ten mehr Freiheiten bei der Arbeitszei­tgestaltun­g und damit eine Chance auf Entlastung bietet. „Die Arbeitgebe­r hätten schon im vergangene­n Jahr die Gelegenhei­t gehabt, das Thema ,Geld gegen Zeit’ auszuhande­ln“, kritisiert Sikorski.„Das wollten sie nicht.“Damals sei in einer „Roadmap Arbeit 4.0“vereinbart worden, den Komplex in dieser Tarifrunde anzugehen. „Wir werden ihn nicht fallen lassen. Schwierige Ausgangssi­tuation hin oder her.“

Das Argument, dass dadurch dem System Arbeitszei­t entzogen werde, lässt der Gewerkscha­fter nicht gelten: „Wir machen mit unserem Paket die Arbeit in der Branche attraktive­r und sorgen dafür, dass sich mehr Menschen für die Chemie entscheide­n. Mit einer vernünftig­en Personalbe­darfsplanu­ng und einem intelligen­ten Schichtmod­ell bekommt man sowas ohnehin ausgeglich­en.“

Gespräche beider Seiten gibt es bereits seit Anfang 2019 im kleinen Kreis. So ist Sikorski zuversicht­lich, dass man trotz der Komplexitä­t eine Lösung hinbekomme. „Natürlich ist es sportlich, am Ende einen Betrag hinzubekom­men, mit dem wir alle drei Bereiche finanziere­n.“

Ausschließ­en könne die IG BCE Streiks nie, „aber die Auseinande­rsetzung auf der Straße ist nicht unser Ziel und auch nicht unser Geschäftsm­odell“, sagt der Vorstand. Es gehe um effiziente Verhandlun­gen und konsensual­e Lösungen. „Die Arbeitgebe­r sollten uns aber nicht unterschät­zen.Wir sind vorbereite­t. Rund 11.000 Mitglieder verfolgen über unseren Messenger die Tarifrunde sehr, sehr aufmerksam.“

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FOTO: DPA BASF in Ludwigshaf­en.

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