Pragmatismus, ja – aber gleich laut?
Das kleinere Übel gehört zur Demokratie. Offen darüber zu reden, ist trotzdem heikel.
Mit dem Pragmatismus in der politischen Debatte ist das so eine Sache: Als Verhaltensgrundsatz finden ihn alle gut. Wenn aber darüber diskutiert wird, sieht das schon anders aus. Zwei Beispiele: In Herne kaufte vor Monaten ein Gymnasium Burkinis, also Ganzkörper-Schwimmanzüge. So sollten muslimische Schülerinnen mit streng religiösen Eltern am Schwimmunterricht teilnehmen können. Und Anfang August wagte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zu sagen, in Ostdeutschland solle man doch „vernünftige Lösungen“suchen, wenn gegen die Linke keine Regierung gebildet wer- den könne. Beide Male war die politische Kritik massiv. Islamisierung hier, Orientierungsverlust dort, hieß es. Dabei waren beide Vorstöße Musterbeispiele des Pragmatismus: Plädoyers für das kleinere Übel. Auch kleinere Übel sind Übel, gewiss; aber in einer Demokratie geht es ohne Übel nicht. Das Wort dafür heißt Kompromiss. Lieber im Burkini schwimmen als gar nicht; lieber mit der Linken als mit der AfD kooperieren. Weder reaktionäre Eltern noch Wahlpräferenzen der Bürger bekommt man ad hoc geändert; man muss mit ihnen umgehen. Zudem gilt: Vor Ort wird meist viel unaufgeregter gehandelt, als auf der politischen Bühne gestritten wird. Nun hat sich die CDU stets leichter mit pragmatischen Lösungen getan als etwa die SPD mit ihrem Idealismusüberschuss. Dass Günther so abgewatscht wurde, muss daher gar nicht mal verlogen sein; man kann es auch listig nennen, nach dem Motto: Pragmatisch sind wir schon, wenn es sein muss, aber bitte nicht vorher so viel drüber reden. Gut möglich auch, dass das die Deutschen am liebsten hätten. Denn eins hassen sie auf jeden Fall: politische Instabilität. Pragmatismus ist am Ende eben doch eine praktische, keine theoretische Tugend.
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