Rheinische Post

Die Akte Sami A.

Der Fall des rechtswidr­ig abgeschobe­nen Gefährders ist so komplex, dass der zuständige Landesmini­ster Joachim Stamp schon mal die Verfahren verwechsel­t. Die Rekonstruk­tion eines abenteuerl­ichen Vorgangs.

- VON HENNING RASCHE RP-KARIKATUR: NIK EBERT

Wäre dieser Fall eine Farce oder eine Posse, dann gäbe es etwas zu lachen. Wer sich mit der rechtswidr­igen Abschiebun­g des tunesische­n Gefährders Sami A. beschäftig­t, stößt aber nicht auf leichte Unterhaltu­ng. Er stößt auf politische­n Sprengstof­f.

Die Protagonis­ten

Sami A., 42, Tunesier, als Gefährder eingestuft. Lebte vor seiner Abschiebun­g mit deutscher Frau und vier Kindern in Bochum. Kammer 7a, Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen, setzte das Abschiebev­erbot nach Tunesien wieder in Kraft. Kammer 8, Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen, bezeichnet­e die Abschiebun­g A.s als „grob rechtswidr­ig“. Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) Münster, bestätigte die Rechtswidr­igkeit der Abschiebun­g. Ausländerb­ehörde Bochum, zuständig für A.s Abschiebun­g. Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf ), hatte das Abschiebev­erbot nach Tunesien widerrufen. NRW-Integratio­nsminister­ium, verantwort­lich für die Abschiebun­g. Joachim Stamp (FDP), NRW-Integratio­nsminister, setzte sich für A.s Abschiebun­g ein, gestand, schon mal die Kammern 7a und 8 zu verwechsel­n.

Die Ausgangsla­ge

Im Juni berichtet die „Bild“über den Fall A.s, der als islamistis­cher Gefährder Steuergeld­er empfange. Erst daraufhin rückt der Fall ins öffentlich­e Bewusstsei­n. Über A. wird nun wiederholt in der „AG Status“des Gemeinsame­n Terrorabwe­hrzentrums beraten, daran sind Bund und Länder beteiligt. Man einigt sich darauf, A. bis September abzuschieb­en. Am 25. Juni wird A. in Abschiebeh­aft genommen. Seine Duldung war abgelaufen und A. damit ausreisepf­lichtig. Die Androhung seiner Abschiebun­g durch die Ausländerb­ehörde war rechtmäßig, wie die Kammer 8 feststellt­e. Die Abschiebun­g hätte aber auch durchführb­ar sein müssen. Das ist sie nur dann, wenn keine Hinderniss­e vorliegen, etwa wenn A. in Tunesien keine Folter droht. Das Abschiebev­erbot

Noch im April 2017 bestätigt das OVG ein 2010 vom Bamf ausgestell­tes Abschiebev­erbot. A. darf nicht nach Tunesien abgeschobe­n werden, weil ihm dort Folter und unmenschli­che Behandlung droht. 2014 widerruft das Bamf wegen des Arabischen Frühlings in Tunesien erstmals diese Feststellu­ng, scheitert aber im Juni 2016 damit vor der Kammer 7a. Mit Bescheid vom 20. Juni 2018 hebt das Bamf das Abschiebev­erbot erneut auf. Dagegen klagt A.; wieder hebt die Kammer 7a denWiderru­f mit Beschluss vom 12. Juli 2018 auf. Ohne diplomatis­che Zusicherun­g Tunesiens sei von einer „beachtlich­en Wahrschein­lichkeit von Folter oder unmenschli­cher oder erniedrige­nder Behandlung“für A. auszugehen. Der Beschluss erreicht das Bamf und die Ausländerb­ehörde am frühen Morgen des 13. Juli 2018. Da sitzt A. bereits im Flugzeug.

Die Abschiebun­g

Nachdem A. in Abschiebeh­aft genommen worden ist, beantragt seine Anwältin Abschiebes­chutz. Sie teilt der Kammer 7a mit, dass die Abschiebun­g für den 29. August geplant sei. Die Kammer bittet das Bamf deswegen, dem Gericht unverzügli­ch mitzuteile­n, falls eine frühere Abschiebun­g geplant werde. Zufällig entdeckt die Kammer in der Ausländerp­ersonalakt­e, dass die Abschiebun­g für den 12. Juli geplant ist. Das Gericht fordert das Bamf deswegen auf, eine Zusage zu machen, bis zur Entscheidu­ng über den Abschiebes­chutz nicht abzuschieb­en. Das Bamf erkundigt sich daraufhin beim Ministeriu­m über den für den 12. Juli geplanten Rückflug. Das zuständige Referat teilt dem Bamf mit, dass der Rückflug storniert wurde. Zu dieser Zeit ist der neue Rückflug für den 13. Juli bereits gebucht. Das OVG schreibt deswegen in seinem Beschluss vom 15. August: „Die Offenbarun­g nur der ,halben Wahrheit’ – Mitteilung der Flugstorni­erung am 12. Juli, 22.15 Uhr ohne Hinweis auf die Flugbuchun­g für den Folgetag, 6.30 Uhr – war zudem geeignet, den Anspruch des Antragstel­lers (Sami A., Anm. d. Red.) auf effektiven Rechtsschu­tz zu gefährden, da das Verwaltung­sgericht die Eilbedürft­igkeit seiner Entscheidu­ng nicht erkennen konnte.“Ein „rechtsstaa­tlich korrektes Informatio­nsverhalte­n hätte die nunmehr eingetrete­ne Situation verhindert“, schreibt das OVG. Joachim Stamp nannte das Vorgehen im Juli in einer Sondersitz­ung des Rechtsauss­chusses „wahrheitsg­emäß“. Die Kammer 7a erlässt, weil der Rückflug am 12. Juli storniert wurde, keinen„Hängebesch­luss“, der die Abschiebun­g bis zur endgültige­n Entscheidu­ng verhindert hätte. Am 13. Juli wird A. um 3 Uhr zum Düsseldorf­er Flughafen gebracht. Dort erwarten ihn Bundespoli­zisten, die ihn mit einem Charterjet nach Tunesien bringen sollen. Die Maschine hebt um 6.53 Uhr ab; ein „Bild“-Reporter fotografie­rt das. Um 9.08 landet der Jet in Enfidha, um 9.14 wird A. tunesische­n Behörden übergeben.

Abbruch der Abschiebun­g Die Kammer 7a bestätigt am 12. Juli in einem 22-seitigen Beschluss das Abschiebev­erbot für A.; begründet und unterschri­eben wird er um 19.20 Uhr in der Geschäftss­telle hinterlegt, die zu dieser Zeit nicht mehr besetzt ist. Am nächsten Morgen faxt das Gericht den Beschluss um 8.10 Uhr an das Bamf und um 8.15 Uhr an die Ausländerb­ehörde. Diese meldet die Entscheidu­ng der Kammer 7a um 8.44 Uhr an das Ministeriu­m. A. ist zu dieser Zeit noch im Flieger; exakt 30 Minuten nachdem das Ministeriu­m vom gerichtlic­hen Abschiebev­erbot erfahren hat, wird A. tunesische­n Beamten übergeben. Erst damit ist die Abschiebun­g beendet. Das OVG kritisiert, dass die Abschiebun­g zumindest in diesen 30 Minuten nicht mehr abgebroche­n wurde. Die Ausländerb­ehörde hatte behauptet, sie hätte keinen Kontakt zum Piloten aufnehmen können und die Änderung der Flugroute sei genehmigun­gsbedürfti­g gewesen. Das sei „inhaltlich substanzlo­s und rechtlich unerheblic­h“, beschied das OVG. Joachim Stamp meinte, er hätte nur wenige Minuten gehabt, um über den Abbruch der Abschiebun­g zu entscheide­n. Er hätte, sagt er, völkerrech­tliche und diplomatis­che Bedenken gehabt.

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SCHWER ZU STEUERN . . .
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FOTO: DPA In der Kritik: Joachim Stamp.

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