Rheinische Post

Zukunft der Tanzstadt Düsseldorf

Wie geht es weiter mit dem Ballett, wenn Martin Schläpfer geht? Choreograf Ben J. Riepe plädiert für eine Öffnung etablierte­r Häuser.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Düsseldorf ist eine Tanzstadt. Hier haben das vielfach ausgezeich­nete Ballett am Rhein, eine Institutio­n wie das Tanzhaus NRW und erfolgreic­he freie Gruppen ihren Sitz. Zwar hat die Stadt das bisher wenig zur Identitäts­bildung nach innen wie außen genutzt, doch in der Tanzszene ist Düsseldorf längst eine feste Größe. Umso brisanter ist die Frage nach der Zukunft dieser Tanzstadt – vor allem, seit bekannt ist, dass der Chef des Balletts am Rhein, Martin Schläpfer, Düsseldorf 2020 verlassen wird.

Es gibt Stimmen, die nun eine Rückbesinn­ung auf den klassische­n Tanz fordern, wie er etwa unter Schläpfers Vorgänger Youri Vamos gepflegt wurde. Doch hat sich die Kompanie mit starken Tänzerpers­önlichkeit­en unter Schläpfer in eine andere Richtung entwickelt und gerade dafür höchste Anerkennun­g bekommen. Unter anderem haben Kritiker das Ballett am Rhein vier Mal zur Kompanie des Jahres gewählt. Wie könnte dieser Weg also weitergehe­n?

Der Düsseldorf­er Choreograf Ben J. Riepe hat zuletzt mit seiner bildmächti­gen Arbeit „Environmen­t“auf Schläpfers Einladung an der Rheinoper gastiert. Seine Tanzsprach­e nimmt Bewegung, Kostüm, Bühnenbild und Sprache gleich wichtig, versteht Tanz als eine Art Skulptur im gestaltete­n Raum mit zeitlicher Dimension. Riepe stammt aus der freien Szene, gelangte mehrfach in die Spitzenför­derung von Stadt und Land und gehört zu jenen Künstlern, die internatio­nal bestens vernetzt ihre Arbeiten bei Festivals in der ganzen Welt zeigen. Allerdings fehlt diesen Künstlern die Verortung in einer Stadt und der Austausch mit einem beständige­n Publikum. „Es gibt eine Zwischenwe­lt zwischen Stadttheat­ern und Häu- sern der freien Szene, in dieser Zwischenwe­lt sind Künstler unterwegs, die internatio­nal gefragt sind, aber ohne feste Strukturen auskommen müssen“, sagt Riepe. Darin sieht er eine Chance für Düsseldorf – wenn sich etablierte Häuser wie die Rheinoper für internatio­nal vernetzte freie Künstler öffneten.

Riepe glaubt, dass die Zeit der Abschottun­g zwischen den Szenen ohnehin zu Ende gehen muss. Die Stadttheat­er seien auf ein neues, jüngeres Publikum angewiesen, die global agierenden Künstler auf der Suche nach konstanten Communitie­s. „Auch die strikten Grenzen zwischen den Sparten der städtische­n Häuser könnten überwunden werden“, sagt Riepe. Er selbst bewegt sich mit seinen Arbeiten stets zwischen Musik, bildender Kunst, Sprechthea­ter und Tanz, hat sowohl am Schauspiel­haus, dem Tanzhaus NRW sowie allen großen Museen der Stadt gearbeitet. Das Publikum, so meint Riepe, sei bereit für neue Formate. „Schläpfer hat viel getan, um die Zuschauer zu öffnen“, so Riepe, „nun kann man weitergehe­n.“Ein Risiko sei das immer, auch bei Pina Bausch habe das Publikum anfangs verstört reagiert, doch liege darin nur die Aufforderu­ng, mit dem Publikum in Dialog zu treten, seine Kunst zu vermitteln. „Natürlich haben mir Zuschauer nach ,Environmen­t’ gesagt, das sei kein Ballett“, sagt Riepe. „Ich habe gesagt: Stimmt, aber es ist Tanz.“

Riepes Vorschläge für das Ballett am Rhein sind konkret. So würde er die Kompanie mit 45 Tänzern für Produktion­en, die parallel geprobt werden, aufteilen. „Bisher sind einige Solotänzer im Dauereinsa­tz, andere kommen kaum zum Zug, zugleich ist das Probegefüg­e so komplex, dass kontinuier­liche Arbeit an einem Stück kaum möglich ist“, sagt Riepe. „Ich würde Künstler einladen, mit Teilen der Kompanie zu arbeiten, dafür wäre jeder Tänzer als Mitautor der Produktion gefordert.“Weniger Tänzer pro Produktion, dafür längere Arbeitspro­zesse. Die Zeit, eine Kompanie als Masse zu behandeln, seien vorbei, es gehe um individuel­le Künstlerpe­rsönlichke­iten. „Mich interessie­rt jeder einzelne Mensch in der Kompanie“, sagt Riepe, „natürlich ist technische Exzellenz Voraussetz­ung, aber vor allem geht es um den künstleris­chen Prozess.“ Riepe würde an vier bis fünf Premieren pro Spielzeit festhalten, aber keine geteilten Abende mehr anbieten wie Martin Schläpfer, sondern mit jeder Premiere unterschie­dliche Schwerpunk­te setzen. Ein bis zwei Abende würde er selbst entwickeln, für die anderen Choreograf­en und Künstler einladen.

Sinnvoll fände er auch, neue Spielorte für das Ballett zu erproben, das Balletthau­s für Publikum zu öffnen, mit anderen Häusern, auch aus der freien Szene, zu kooperiere­n. „Künstler müssen wandern, dann mischen sich auch die unterschie­dlichen Zuschauers­chaften, das ist gut für jedes Haus“, sagt Riepe. Er glaubt, dass das alles spannende Künstler anziehen werde und Düsseldorf sei-

INFO

nen Ruf als Tanzstadt weiter ausbauen könnte.

Schläpfers Schaffen für die Kompanie könnte ein fester Platz eingeräumt werden und auch Werken anderer großer Choreograf­en. „Ich finde Repertoire-Pflege wichtig“, sagt Riepe, „Wiederaufn­ahmen müssen zum Programm gehören, der Betrieb ist so schnellleb­ig geworden, Stücke müssen aber reifen, die Zeit dafür müssen wir uns wieder erobern.“Allerdings sei das ohne den Kreateur schwierig. Darum sei es wichtig, dass Schläpfer zur Wiederaufn­ahme seiner Stücke weiter nach Düsseldorf komme oder auch nochmal eine neue Kreation für Düsseldorf entwirft. „Warum muss es immer Brüche geben, wenn Direktoren wechseln“, fragt Riepe. Er selbst glaubt, dass Düsseldorf reif ist für eine Avantgarde, die das Gewesene achtet.

 ??  ?? Szene aus Ben J. Riepes Arbeit „Environmen­t“das beim Ballettabe­nd „b.35“an der Rheinoper zu sehen ist.
Szene aus Ben J. Riepes Arbeit „Environmen­t“das beim Ballettabe­nd „b.35“an der Rheinoper zu sehen ist.
 ?? FOTO: ANNE ORTHEN ?? Choreograp­h Ben J. Riepe.
FOTO: ANNE ORTHEN Choreograp­h Ben J. Riepe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany