NRW bremst Inklusion an Schulen
Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) belebt die Förderschulen neu und setzt Qualitätsstandards für die Sekundarstufe I. Gymnasien sind weitgehend ausgenommen.
DÜSSELDORF Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) dreht den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern in NRW zurück. „Es wird weiterhin ein flächendeckendes Angebot an Förderschulen geben“, sagte Gebauer. Die noch bestehenden Förderschulen sollen wiederaufgebaut werden, auch die Eröffnung neuer Förderschulen ist wieder möglich. An Förderschulen werden ausschließlich behinderte Kinder unterrichtet. Den Gymnasien soll künftig selbst überlassen sein, inwieweit sie noch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf aufnehmen.
Die Schulministerin reagiert damit auf massive Kritik an der Umsetzung der Inklusion. Die Probleme in den Schulen waren bei der Landtagswahl einer der Hauptgründe für die Abwahl der rot-grünen Landesregierung. Kritisiert wurden vor allem die unzureichende Personalausstattung und das Fehlen von Qualitätsstandards. Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe von Behinderten an der Gesellschaft, ist ein Menschenrecht.
Künftig müssen Schulen, die inklusiven Unterricht anbieten wollen, bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. Sie müssen ein pädagogisches Konzept haben, es müssen dort Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung unterrichten, das Kollegium soll sich fortbilden, und es muss geeignete Räumlichkeiten geben.
An weiterführenden Schulen gilt künftig eine „Inklusionsformel“: Für jede Eingangsklasse mit durchschnittlich 25 Schülern und drei Förderkindern erhält die Schule eine halbe zusätzliche Stelle. Die Neuausrichtung der Inklusion beginnt mit dem Schuljahr 2019/20 und wird in Klasse fünf eingeführt. Sie soll im Schuljahr 2024/25 abgeschlossen sein. An den weiterführenden Schulen soll es dann zusätzlich 5778 Lehrerstellen geben. Die Grundschulen, die in diesem Jahr bereits 600 zusätzliche Stellen bekommen haben, sollen weitere knapp 600 Stellen bekommen. Die Gesamtausgaben für die zusätzlichen Stellen summieren sich in den Jahren 2018 bis 2025 auf 1,9 Milliarden Euro.
Gesenkt hat Gebauer auch die Mindestgröße für Förderschulen, so dass mehr dieser Schulen erhalten bleiben. Erstmals wird es aber auch Förderschulgruppen an weiterführenden Schulen im selben Gebäude geben, in denen Förderkinder getrennt unterrichtet werden.
Die Pläne stießen auf ein geteiltes Echo. Die SPD-Opposition warf der Ministerin vor, neue Hürden zu errichten. Das Förderschulsystem werde zementiert, und damit würden Ressourcen gebunden, die andernorts fehlten. Ähnlich äußerte sich Grünen-Expertin Sigrid Beer: „Das sind keine Eckpunkte zur Förderung der Inklusion, das ist Politik zur Stärkung der Förderschulen.“
Die LehrergewerkschaftVBE kritisierte, dass die Grundschulen kaum in den Blick genommen würden. Zu begrüßen sei aber die Einführung von Qualitätsstandards. Dorothea Schäfer, GEW-Chefin in NRW, bezeichnete die Pläne als Rückschritt: „Es passt nicht zum Gedanken der Inklusion, dass die Gymnasien ausgenommen werden.“Der Inklusionsverband Mittendrin sprach von einer Enttäuschung auf ganzer Linie. Positiv äußerte sich der Philologen-Verband NRW:„Wir begrüßen sehr, dass der Maßstab der Qualität in den Mittelpunkt rückt.“Inklusion sei kein Selbstzweck, sondern solle allen Schülern das Bildungsangebot eröffnen, das sie maximal fördere.
Die bisherige Praxis der Inklusion in Nordrhein-Westfalen ging an den Bedürfnissen von Lehrern, Eltern und Schülern vorbei. Die Klassen waren zu groß, Sonderpädagogen zu knapp und die Folgen entsprechend. Es war eines der zentralen Wahlkampfversprechen von CDU und FDP, dies zu ändern. Es ist gut, dass FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer nun tausende neue Stellen für Lehrer und Sonderpädagogen schafft und verbindliche Qualitätsstandards setzt, die Schulen einhalten müssen, wenn sie inklusiven Unterricht anbieten wollen. Auch dass die Gymnasien künftig frei darüber entscheiden können, ist zu begrüßen: Welchen Sinn macht es, dass Kinder, die niemals ein Abitur schaffen werden, mit hohem Aufwand am Gymnasium unterrichtet werden?
Wenn die Schulministerin nun aber gleichzeitig wieder das Förderschulsystem ausbaut, leitet sie eine Kehrtwende ein, die dem Gedanken der Inklusion widerspricht. Dies gilt um so mehr für die neuen Fördergruppen, die in allgemeinen Schulen erstmals neben den Regelklassen entstehen sollen. Das Risiko, dass hierdurch behinderte Kinder stigmatisiert werden, ist hoch.