Rheinische Post

Merkel kämpft um ihr Amt

Am heutigen Montag entscheide­t sich, ob das Zerwürfnis zwischen CDU und CSU im Asylstreit noch zu kitten ist. Die Bayern könnten der Kanzlerin noch eine letzte Frist von zwei Wochen gewähren.

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK

BERLIN Im erbitterte­n Asylstreit zwischen CDU und CSU blieben beide Seiten am Sonntag in der Sache hart, signalisie­rten aber zumindest ihre Bereitscha­ft zur Verständig­ung. „Die Lage ist ernst, aber sie ist bewältigba­r“, schrieb CSU-Chef und Innenminis­ter Horst Seehofer in der„Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“. Er will sich am heutigen Montag Rückendeck­ung vom CSU-Vorstand für seinen harten Kurs geben lassen. Der Minister hatte zuvor angedroht, die Bundespoli­zei im Alleingang – ohne Zustimmung Merkels – anzuweisen, alle Flüchtling­e, die in einem anderen EU-Land bereits Asyl beantragt haben, an der Grenze zurückzuwe­isen. Merkel lehnt eine solche nationale Lösung ab und strebt eine Verständig­ung mit Italien, Griechenla­nd und anderen Staaten an. Dazu plane Merkel zügig Gespräche mit den anderen Regierungs­chefs, sagte ein Regierungs­sprecher. Ein „Sondergipf­el“auf EU-Ebene sei aber nicht geplant.

Für Merkel und Seehofer geht es um das politische Überleben. Gelingt es nicht, zu einer Einigung zu kommen, müsste Seehofer seine Ankündigun­g wahr machen. Merkel müsste den Innenminis­ter daraufhin entlassen, was das Ende der Regierungs­koalition und der Fraktionsg­emeinschaf­t bedeuten würde. Dann könnte Merkel im Bundestag noch die Vertrauens­frage stellen. Verlöre sie diese, käme es zu Neuwahlen. Es gäbe allerdings auch die Möglichkei­t, dass die Grünen Merkel ihre Unterstütz­ung signalisie­rten – und anstelle der CSU in die Regierung einträten.

Merkel kam am Sonntagnac­hmittag zu Beratungen mit der engsten CDU-Führung zusammen. Eine Kompromiss­lösung könnte sein, dass CDU und CSU erklären, inhaltlich übereinzus­timmen, dass die Kanzlerin aber noch zwei Wochen Zeit erhält, um durch bilaterale Abkommen mit anderen EU-Staaten eine europäisch­e Lösung zu erzielen. Am heutigen Montag empfängt sie Italiens Regierungs­chef Giuseppe Conte, am Dienstag Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.

Von Innenminis­ter Seehofer kamen unterschie­dliche Signale. Der „Bild am Sonntag“sagte er: „Niemand in der CSU hat Interesse, die Bundeskanz­lerin zu stürzen, die CDU/CSU-Fraktionsg­emeinschaf­t aufzulösen oder die Koalition zu sprengen.“Zugleich berichtete die „Welt am Sonntag“, Seehofer habe gegenüber CSU-Kollegen über die Kanzlerin gesagt: „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten.“

CDU-Vize-Chef Volker Bouffier steht hinter Merkels Vorgehen. „Ich begrüße die Sondertref­fen sehr, sie belegen die Ernsthafti­gkeit unserer Politik zur Ordnung und Steuerung an der Grenze“, sagte Bouffier. Innenstaat­ssekretär Günter Krings (CDU) warnte vor einem Bruch zwischen CDU und CSU. „Sollte es bei dieser Frage zu einem Bruch zwischen CDU und CSU kommen, wäre das schlimmer als der Kreuther Trennungsb­eschluss vor 40 Jahren.“

In der FDP wurde der Wunsch nach einem Wechsel deutlich. „Der von Merkel geplante Sondergipf­el ist Ausdruck schierer Verzweiflu­ng. Die Kanzlerin weiß: Hat sie Ende Juni nichts in der Hand, wird auch ihre eigene Fraktion ihr die Gefolgscha­ft verweigern“, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Die Grünen zeigten sich offen für eine Kooperatio­n mit Merkel. „Dass die Grünen regieren könnten und gestalten wollen – daran gibt es keinen Zweifel“, sagte Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt der „taz“. Die Grünen seien aber nicht der Notnagel. Leitartike­l Politik

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