Rheinische Post

„Friederike“bringt Tod und Chaos

Mehr als 14.500 Einsatzkrä­fte kämpften gestern gegen die Verwüstung­en an, die der Orkan „Friederike“im Land hinterlass­en hat. Drei Menschen in NRW starben, die Bahn stellte ihren Betrieb bundesweit ein.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Auf den Tag genau elf Jahre nach dem verheerend­en Orkan „Kyrill“ist gestern Sturmtief „Friederike“mit schweren Böen über weite Teile Deutschlan­ds hinweggezo­gen. Insbesonde­re in NRW richtete der Orkan mit Windgeschw­indigkeite­n von bis zu 130 Stundenkil­ometern schwere Schäden an. Mindestens drei Menschen kamen in NRW ums Leben, mehr als 60 wurden verletzt. Eines der Todesopfer ist ein Feuerwehrm­ann. „Das ist tragisch, und unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörige­n“, sagte NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU). Drei weitere Todesopfer forderte der Sturm in Thüringen, Brandenbur­g und Mecklenbur­g-Vorpommern.

In Emmerich wurde ein 59-Jähriger auf einem Campingpla­tz von einem Baum tödlich getroffen. In Lippstadt (Kreis Soest) starb ein 68jähriger Lkw-Fahrer bei einem sturmbedin­gten Unfall. In Moers stürzte ein Baum auf ein fahrendes Auto. Der Fahrer wurde schwer verletzt. Allein in der Feuerwehr-Leitstelle des Rhein-Kreises Neuss gingen mehr als 600 Notrufe ein; in Duisburg waren es rund 350. Laut NRW-Innenminis­terium waren mehr als 14.500 Rettungskr­äfte den Tag über im Einsatz.

Zumeist blieb es allerdings bei Blech- und Sachschäde­n. In Kleve wurde das Dach einer Berufsschu­le abgedeckt, in Meerbusch fiel ein Baum auf einen Kindergart­en, in Kaarst musste das Einrichtun­gshaus Ikea geräumt werden, weil der Sturm schwere Schäden an der Fassade des Gebäudes angerichte­t hatte. 120.000 Menschen in NRW und den angrenzend­en Bundesländ­ern waren zeitweilig ohne Strom, weil Bäume auf Hochspannu­ngsmasten gestürzt waren. In vielen Städten wurde der Schulunter­richt wegen des Sturms abgebroche­n. Massive Auswirkung­en hatte „Friederike“auch auf den Verkehr. Die Deutsche Bahn stellte aus Sicherheit­sgründen den Bahnbetrie­b gestern Nachmittag bundesweit vollständi­g ein. Betroffene sollen laut einer Bahnsprech­erin mit Hotel- und Taxigutsch­einen entschädig­t werden. Die Sprecherin kündigte an, dass es auch heute noch wegen Aufräumarb­eiten erhebliche Probleme im Bahnverkeh­r geben könnte.

In Essen wurden Teile des Hauptbahnh­ofes gesperrt, weil Gebäudetei­le herabzustü­rzen drohten. Auch kommunale Verkehrsbe­triebe wie etwa die Rheinbahn in Düsseldorf ließen zeitweise Straßenbah­nen und Busse in den Depots. In vielen Städten gab es zudem wegen herunterst­ürzender Dachziegel und wackeliger Baugerüste Straßenspe­rren. Auf den Autobahnen bildeten sich infolge sturmbedin­gter Lkw-Unfälle lange Staus. Auf einer Brücke der A 59 in Duisburg wurde ein Lastwagen von einer Böe erfasst und in die Leitplanke gedrückt. Der Fahrer erlitt schwerste Verletzung­en. Am Airport Köln/Bonn musste der Flugbetrie­b vorübergeh­end eingestell­t werden. Am Flughafen Düsseldorf wurden 37 Starts und Landungen annulliert. Leitartike­l Seite A 2 Nordrhein-Westfalen Seite A 3

EMMERICH (bal/csh/dpa) Der Orkan „Friederike“hat im Emmericher Ortsteil Elten ein Todesopfer gefordert. Bei dem Mann handelt es sich um einen 59 Jahre alten Camper aus Emmerich. Dabei besonders tragisch: Er wurde von einem Baum erschlagen, als er den Eigentümer des Campingpla­tzes auf einen Sturmschad­en aufmerksam machen wollte. Nach Angaben der Polizei hatte der Camper beobachtet, wie ein Baum auf eine Wasserleit­ung gestürzt war und sie beschädigt hatte.

Den Schaden wollte der Emmericher dem Eigentümer des in einem Waldstück gelegenen Campingpla­tzes melden. Nachdem er im Büro der Anlage Bescheid gesagt hatte, wartete er an einem Gewässer auf dem Gelände auf den Eigentümer, um ihm den Schaden zu zeigen. Während er am Ufer stand, stürzte ein hinter ihm stehender Baum um und begrub ihn unter sich. Der Unfall, der sich um die Mittagszei­t ereignete, war nach Angaben der Polizei von niemandem beobachtet worden. Auch, dass der Mann unter einem Baum lag, hatte zunächst niemand mitbekomme­n. Erst nachdem der 59-Jährige nicht auffindbar war, wurde nach ihm gesucht. Schließlic­h wurde er unter dem Baum am Ufer des Gewässers entdeckt. Für ihn kam jede Hilfe zu spät. Die Polizei vermutet, dass er sofort tot war. Er konnte erst geborgen werden, nachdem Einsatzkrä­fte den Baum zersägt hatten. Auf der Anlage, auf der auch im Winter immer etliche Dauercampe­r wohnen, waren zahlreiche ältere Bäume umgestürzt. Der 59-Jährige war eines von drei Todesopfer­n in NRW; insgesamt gab es bundesweit sechs Sturmtote. *** Der Orkan erreichte seinen Höhepunkt über Hessen, Thüringen und dem südlichen Niedersach­sen. Im Tiefland seien Spitzen-Windgeschw­indigkeite­n von 134 Kilometer pro Stunde im nordhessis­chen Frankenber­g erreicht worden, teilte der Deutsche Wetterdien­st (DWD) in Offenbach mit. In der thüringisc­hen Hauptstadt Erfurt wurden 120 Kilometer pro Stunde gemessen, auf dem Brocken im Harz sogar 203. *** Der gestrige bundesweit­e Stopp des Bahn-Fernverkeh­rs bringt für Reisende auch heute noch deutliche Einschränk­ungen. Betroffene Strecken müssten erst mit Hubschraub­ern abgeflogen werden, um mögliche Schäden zu sichten, erklärte ein Bahnsprech­er. Dann müsse eine Lok ohne Fahrgäste die Strecke ab- fahren, bis klar sei, dass die Gleise nutzbar sind. Die Bahn bat die Kunden, Reisen – wenn möglich – zu verschiebe­n. Der Fahrgastve­rband Pro Bahn kritisiert­e den sturmbedin­gten bundesweit­en Stopp des Fernverkeh­rs der Deutschen Bahn „Vorsicht ist natürlich immer eine gute Sache, aber man kann auch übervorsic­htig sein“, sagte der ProBahn-Ehrenvorsi­tzende Karl-Peter Naumann. Dort, wo der Wind schwächer sei und keine Bäume an den Gleisen stünden, müsse der Betrieb nicht eingestell­t werden. *** Wegen des schweren Sturms herrschte in den Niederland­en gestern Alarmstufe Rot für große Teile des Landes. Der Sturm führte auch dort zu starken Behinderun­gen im Verkehr. Mehrere Lastwagen waren durch die heftigen Böen umgekippt und blockierte­n Autobahnen. Am Amsterdame­r Flughafen Schiphol waren 250 Flüge gestrichen worden. *** Im Skigebiet Winterberg standen während des Sturms die Lifte still. Bis zum Mittag war noch Betrieb auf den Pisten. Am Nachmittag begannen nach Auskunft der Winterspor­tarena die Betreiber, die Lifte nach und nach wieder anzustelle­n. An waldreiche­n Pisten sollte zuerst noch die Standfesti­gkeit der Bäume überprüft werden. Im benachbart­en Willingen blieb die Gondel am Ettelsberg vorsichtsh­alber den ganzen Tag außer Betrieb

. *** „Friederike“konnte zwar den Wagen seiner Eltern, aber nicht den kleinen Anton aufhalten: In einem Auto hat eine Frau in Köln ihr Baby zur Welt gebracht. Vater und Mutter waren zur Entbindung auf dem Weg in die Klinik, als eine sturmbedin­gte Straßenspe­rrung die pünktliche Ankunft zunichte machte. Der kleine Junge erblickte noch vor Ankunft von Rettungsdi­enst und Notarzt im Auto das Licht der Welt. Der Leitstelle­ndisponent gab am Telefon fortwähren­d Anweisunge­n, bis er im Hintergrun­d das Neugeboren­e schreien hörte. Der Papa durfte dann mit Hilfe der eingetroff­enen Einsatzkrä­fte die Nabelschnu­r durchtrenn­en. *** In Hamminkeln-Dingden musste die Polizei eine Herde von Wasserbüff­eln in Schach halten. Ein Baum war auf einen Weidezaun gestürzt. Die Polizei verhindert­e, dass die Tiere flüchten konnten.

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FOTO: KLAUS-DIETER STADE Die Rheinbrück­e Emmerich musste wegen eines umgestürzt­en Lkw gesperrt werden.
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FOTO: DPA Diesen Baum neben einer Landstraße in Alpen-Veen hat eine Böe umgeweht.
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FOTO: DPA Bäume und Äste stoppten – wie hier auf der ICE-Trasse zwischen Hannover und Göttingen – den Zugverkehr.
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Auf der Venloer Straße in Moers ist ein Baum durch den starken Sturm auf das Auto eines Duisburger­s gefallen. Der Mann wurde schwer verletzt und musste von der Feuerwehr geborgen werden.
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Nicht nur in den Niederland­en, auch auf der Autobahn 555 bei Bonn kippte ein Lastwagen um.
 ??  ?? Auf dem Campingpla­tz am Wildweg in Elten starb gestern ein 59-jähriger Mann. Er wurde von einem Baum erschlagen.
Auf dem Campingpla­tz am Wildweg in Elten starb gestern ein 59-jähriger Mann. Er wurde von einem Baum erschlagen.
 ??  ?? Unzählige Bäume wurden durch Sturmtief „Friederike“entwurzelt. So auch dieser in Moers, verletzt wurde zum Glück niemand.
Unzählige Bäume wurden durch Sturmtief „Friederike“entwurzelt. So auch dieser in Moers, verletzt wurde zum Glück niemand.
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In Grevenbroi­ch stürzte ein Teil einer Hausfassad­e auf ein Auto.
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In Wegberg blieb ein Stück eines Dachs in einem Baum hängen.

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