Rheinische Post

Zeitloses Lächeln

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Die letzte Uhr, die ich getragen habe, hatte unter dem Zifferblat­t einen Kompass. Wer weiß, wann das so etwas Ähnliches wie in Mode war, ahnt, wie lange meine Armgelenke schon verwaist sind. Uhren und ich sind wie Schwaben und Weihnachts­markt, das geht nicht zusammen. Die Tatsache, dass da irgendwas am Arm ist, nervt, der ständige Blick auf die Zeit stresst zusätzlich. Deshalb habe ich über viele Jahre ein feines System entwickelt, um zu wissen, wie spät es ist. Auf meinen regelmäßig­en Wegen weiß ich genau, wo welcher Parkschein­automat, welche Apotheken-Uhr und welcher Kassenzett­el mir bei der Orientieru­ng hilft.

Da ich berufsbedi­ngt oft zwischen Schadowstr­aße und Rathaus unterwegs bin, spielt dabei auch die Uhr am Wilhelm-Marx-Haus eine große Rolle – und bringt das schöne System regelmäßig an den Rand des Zusammenbr­uchs. Diese Uhr zeigt sehr oft alles Mögliche an, nur nicht die aktuelle Zeit (jedenfalls nicht die in Mitteleuro­pa). Als die Uhr jüngst zehn vor zwei sagte, obwohl die Dämmerung näher war als der Mittag, brachte mich das ausnahmswe­ise nicht in Rage. Offenbar, so jedenfalls redete ich mir das schön, hat jemand eine rheinische Lösung für das Dauerprobl­em gefunden und die Uhr so gestellt, dass die Zeiger aussehen wie nach oben gezogene Mundwinkel. Seitdem habe ich nicht mehr geschaut, ob die Uhr wieder funktionie­rt. Ich denke an die vermeintli­che Lösung und lächele. hdf

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