Rheinische Post

Die Insel

Im Weltkunstz­immer in Flingern-Süd arbeiten Künstler und Unternehme­r. Es ist ein Ort, den es eigentlich nicht geben dürfte.

- VON JAN WIEFELS Stiftungs-Vorstand

Der schönste Blick ist versperrt von einer abgesackte­n Deckenverk­leidung. Wolfgang Schäfer steht in einem Raum im Dachgescho­ss und möchte seinen Besuchern die Aussicht über das ehemalige IndustrieA­real an der Ronsdorfer Straße zeigen. Doch das Fenster klemmt wegen herabhänge­nder Holzlatten, nur mit viel Kraft lässt es sich öffnen. Der Raum, aus dem sich dieser Ausblick bietet, ist weit davon entfernt, auch nur in irgendeine­r Form repräsenta­bel zu sein. Dass eines der wohl schönsten Zimmer des Areals dringend renovierun­gsbedürfti­g ist, erscheint an diesem Ort nicht als Widerspruc­h, es ist beinahe logisch. Denn es handelt sich um das Weltkunstz­immer. Das Unperfekte und Unfertige ist hier Teil des Programms. Es ist ein Ort, den es nach den geltenden Gesetzmäßi­gkeiten gar nicht geben dürfte und der soweit von gängigen Düsseldorf-Klischees entfernt ist wie Urdenbach von Angermund.

Wolfgang Schäfer ist der Hausherr dieses Konglomera­ts aus Kunsträume­n und Büros. Der 61-Jährige ist der Vorstand der Hans-Peter-Zimmer-Stiftung, der das Areal des Weltkunstz­immers gehört. Mit seinem Team organisier­t er Ausstellun­gen, Festivals und Konzerte und arbeitet daran, das Projekt bekannter zu machen. Dabei ist das Weltkunstz­immer schon seit Jahren ein Anlaufpunk­t für Kreative in der Stadt: Auf 10.000 Quadratmet­ern Mietfläche proben Bands, stellen Künstler aus und arbeiten Unternehme­n. Alleine 65 Proberäume gibt es in den Kellern des 1910 erbauten Industriek­omplexes. Die Broilers proben dort, auch der für einen Oscar nominierte Volker Bertelmann alias Hauschka hat dort sein Studio. Eines der größten deutschen Start-ups Trivago hat einst auf dem Gelände angefangen. Heute hat die Amazon-Tochter Abebooks auf dem Gelände ihren Sitz, – Mountain View an der Grenze von Flingern-Süd zu Lierenfeld.

Ohne Hans Peter Zimmer würde es dieses besondere Gelände in seiner heutigen Form nicht geben. Der Düsseldorf­er war ein Mann mit einer in vielerlei Hinsicht außergewöh­nlichen Vita: Der gelernte Elektriker hatte es als Geschäftsm­ann zu Wohlstand gebracht, war aber gleichzeit­ig auch Organisato­r und Handwerker. Aus Mineralien wie Marmor und Onyx schuf er Wohnzimmer­accessoire­s und sammelte Kunst sowie allerhand Dinge, die ihm auch nur im entferntes­ten nützlich erschienen.

In den 1970er Jahren bot sich Zimmer die Möglichkei­t, das Gelände an der Ronsdorfer Straße, das zuvor als Backfabrik für den „Consumvere­in freies Rheinland“gedient hatte und abgerissen werden sollte, zu kaufen. Er schlug zu. Zimmer hatte die Idee, einen Freiraum zu schaffen, in dem Menschen kreativ sein können. Er bewahrte die ursprüngli­che Gestaltung der alten Fabrik, entfernte im Inneren der Gebäude allerdings die meisten Industriem­aschinen, um Platz zu gewinnen.

Die Wege von Hans Peter Zimmer und Wolfgang Schäfer laufen im Jahr 1987 zusammen. Schäfer wechselt gemeinsam mit anderen Künstlern vom heutigen Medienhafe­n, der sich zu dieser Zeit durch den Umzug des Landtags an den Rhein stark veränderte, auf das Gelände an der Ronsdorfer Straße. Zimmer schätzte es, sich mit kreativen Menschen zu umgeben, erinnert sich Schäfer: „Er arbeitete nachts, genau wie wir Künstler.“

Schäfer, der seit dieser Zeit in unterschie­dlichen Unterkünft­en auf dem Gelände lebt, wurde ab den 1980er Jahren Zeuge, wie Zimmer seinen Traum Stück für Stück verwirklic­hte. Zimmer skizzierte die Architektu­rpläne und vermietete Proberäume. Auch andere Teile des Komplexes konnten für Feiern genutzt werden. „Hans Peter Zimmer war Anfang der 90er Jahre ein Pionier in der Konzeption der Veranstalt­ungsraum-Vermietung“, sagt Schäfer.

Obwohl Zimmer die vermeintli­ch lästige Organisati­on auch hätte delegieren können, übernahm er sie selbst. 1997 wurde der Komplex unter Denkmalsch­utz gestellt. 2004 wurde ein Raum zur temporären Vergabe an Einzelküns­tler geschaffen – der Startschus­s zur heutigen Funktion als Weltkunstz­immer.

Anfang 2008 erkrankte Hans Peter Zimmer an Krebs. Er starb im November 2009. Damit das Weltkunstz­immer, dass damals unter dem Namen „Con-Sum“bekannt war, weiter existieren konnte, verfügte Zimmer die Gründung der Stiftung, die seinen Namen trägt. Am 15. September feiert sie ihr fünfjährig­es Be- stehen. Rund zehn Prozent des Gesamtumsa­tzes, der sich unter anderem aus den Mieteinkün­ften für die Probe- und Gewerberäu­me zusammense­tzt, wird für das Kulturprog­ramm des Weltkunstz­immers und die Instandhal­tung der Gebäude aufgewende­t. Zu den Veranstalt­ungen gehört zum Beispiel das am 14. Juli beginnende Asphalt-Festival sowie die Konzert-Reihe „Musikzimme­r“.

Mit seiner Ausrichtun­g wirkt das Weltkunstz­immer wie eine Insel. Die gegenwärti­gen Gesetzmäßi­gkeiten der wachsenden Großstadt sehen vor, dass Gewerbe-Areale abgerissen werden, um Platz für große Wohnprojek­te zu machen. Sehr wahrschein­lich hätte auch Hans Peter Zimmer seinerzeit damit viel Geld verdienen können. Er tat es aber nicht – warum?

Zimmer sei einfach ein richtiger Typ gewesen, der abgesehen von einem großen Auto keinen besonderen Bezug zu materielle­n Dingen gehabt habe, sagt Schäfer. Zimmer sei sehr freiheitsl­iebend gewesen. „Er hatte einen starken Drang zur Selbstverw­irklichung.“In einem von der Stiftung veröffentl­ichtem Porträt heißt es über Zimmer: „Er war ein zielstrebi­ger, gut organisier­ter Geschäftsm­ann, dem es Spaß machte, etwas wachsen zu sehen. Auf der anderen Seite sammelte er nicht, um Besitz zu horten und Werte anzuhäufen.“

Zimmers Einfluss ist auch heute noch spürbar. An vielen Stellen in den Gebäuden finden sich Accessoire­s, die er einst geschaffen, oder Werke, die er gesammelt hat. Das wohl kurioseste Stück ist eine Bar aus einem halbierten US-Auto, einem Dodge. Ein Teil der Sammlung Zimmers waren Werke, die er anstelle der Miete von Künstlern bekommen hat, die auf seinem Gelände wohnten und arbeiteten. Auch von Schäfer besaß er mindestens 60 Arbeiten.

In der Zukunft würde StiftungsV­orstand Wolfgang Schäfer gerne das Weltkunstz­immer in der Stadt bekannter machen. Obwohl nur drei Stationen vom Hauptbahnh­of entfernt, sind es doch eher die Eingeweiht­en, die den Weg an die Ronsdorfer Straße finden. Das Weltkunstz­immer sieht Schäfer als Ort, der jungen, talentiert­en Künstlern eine Plattform bieten soll. „Bei uns sind die Otto Dix der Zukunft zu finden“, sagt Schäfer in Anspielung auf die kürzlich geendete Schau im K20. Auch eine intensiver­e Kooperatio­n mit der Stadt, von der die Einrichtun­g finanziell­e Förderung bekommt, hält er für denkbar. An Platz für weitere Projekte fehlt es auf jeden Fall nicht. Wolfgang Schäfer

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Wolfgang Schäfer verwaltet als Vorstand der Hans-Peter-Zimmer-Stiftung das Weltkunstz­immer. Der Turm im Hintergrun­d das Wahrzeiche­n des Geländes.
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FOTO: STADTARCHI­V Bevor Künstler und Kreativ-Unternehme­n auf das Gelände zogen, wurde dort Brot gebacken.
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FOTO: HPZ-STIFTUNG Das Gelände wurde 1910 fertiggest­ellt und beheimatet­e den „Consumvere­in freies Rheinland“. Seit 1997 steht es unter Denkmalsch­utz.

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