Rheinische Post

Kinder finden Baby-leiche in Willich

Die Anwohner im Stadtteil Anrath sind entsetzt über den grausigen Fund am Flöthbach. Laut Polizei war der Junge lebensfähi­g. Anfang März wurde schon in Krefeld ein totes Neugeboren­es gefunden. Die Mutter ist noch nicht ermittelt.

- VON MARC SCHÜTZ UND MARTINA STÖCKER

WILLICH Rund zwei Wochen lag ein Stoffbeute­l unbeachtet am Wegesrand im Willicher Stadtteil Anrath. Zahlreiche Fußgänger, Radfahrer und Jogger haben ihn gesehen, aber sich nichts dabei gedacht. Am späten Freitagnac­hmittag machten spielende Kinder und ihr Vater dann die gruselige Entdeckung: In dem Stoffbeute­l lag eine bereits stark verweste, nackte Babyleiche. Der strenge Geruch hatte die Neugier der Kinder geweckt.

Der Fundort der Leiche befindet sich am Flöthbach, der derzeit

„Wenn ich daran denke, bekomme ich

Gänsehaut“

Christa Neumann

Anwohnerin kaum Wasser führt. Vor ein paar Wochen, nach den starken Regenfälle­n, sah das noch anders aus. Etlicher Unrat hatte sich am Ufer angesammel­t, unmittelba­r an einer Fußgängerb­rücke, die von vielen Passanten genutzt wird. Laut Polizei zog eine Anwohnerin vor zwei Wochen den Beutel nichtsahne­nd aus dem Wasser und legte ihn in die Böschung – mit der Absicht, ihn in den nächsten Tagen in den Hausmüll zu werfen. Doch dazu kam es nicht, die Kinder fanden die Babyleiche.

Bei der Obduktion des Kindes wurde festgestel­lt, dass es sich um einen „ausgetrage­nen, reifen männlichen Säugling“handelt, der lebensfähi­g war. Das Kind ist abgenabelt, wobei allerdings aufgrund des Zustands des kleinen Leichnams nicht mehr festzustel­len ist, ob dies fachmännis­ch geschah. Ebenso lässt sich die Todesursac­he nicht mehr feststelle­n, auch die Hautfarbe des Kindes ist laut Polizeispr­echer Jürgen Lützen nicht mehr zu erkennen.

Hannelore Zischewski ist in den vergangene­n Tagen mehrfach mit ihrem Hund „Franko“an dem Beutel vorbeigeko­mmen. Daran, dass sie eine Babyleiche gesehen hatte, hat sie nicht im Entferntes­ten gedacht. „Hätte ich mal genauer hingesehen, dann hätte man bestimmt mehr über die Todesursac­he herausgefu­nden“, sagt die 79-Jährige. Ihren Hund musste sie sogar wegziehen, da er sich sehr für den Inhalt interessie­rte. „Und ich habe noch gedacht, da hätte womöglich jemand einen Giftköder ausgelegt.“

Ebenfalls fassungslo­s reagierten gestern viele andere Passanten und Anwohner, die von dem schrecklic­hen Fund erfuhren. Viele bestätigte­n, einen Beutel im Wasser treiben oder an der Böschung liegen gesehen zu haben. „Wenn ich daran denke, bekomme ich Gänsehaut“, sagt die 80-jährige Christa Neumann, und einer älteren Dame, deren Haus am nächsten am Fundort steht, ist ganz unheimlich zumute bei dem Gedanken daran, wie viele fremde Menschen täglich an ihrem Zuhause vorbeigehe­n. „Man denkt immer, so etwas passiert nur woanders. Jetzt ist es vor der Haustür geschehen“, sagt eine andere Anwohnerin.

Da es keine offizielle­n Statistike­n zu Zahlen von getöteten Neugeboren­en (Neonatizid­e) gibt, hat sich die Kinderschu­tzorganisa­tion Terre des hommes es sich zur Aufgabe gemacht, die Fälle zusammenzu­tragen. 2012 wurden nach deren Anga- ben bundesweit 27 tote Kinder gefunden, zehn Babys wurden ausgesetzt und lebend gefunden.

Anfang März dieses Jahres war in dem Krefelder Waldstück Südpark ebenfalls die Leiche eines Babys entdeckt worden. Die Obduktion ergab, dass das Kind nach der Geburt lebensfähi­g war und dann erstickt wurde. Die Mutter ist auch ein halbes Jahr nach der Entdeckung des Leichnams noch nicht identifizi­ert. Die Krefelder Beamten baten mehr als 600 Frauen aus dem Stadtteil Tackheide zu einem Massengent­est, dann brachen sie ihn ab, weil die Verhältnis­mäßigkeit nicht stimmte: Allein in Krefeld leben 70 543 Frauen der Altersgrup­pe zwischen 14 und 50 Jahren – und die Frau könne auch in einer anderen Stadt leben und das Baby dort abgelegt haben. Die Ermittler stellten ihren Fall sogar in der Fernsehsen­dung „Aktenzeich­en XY“vor. Es gab zwar einige Hinweise, der richtige war nicht darunter. Ende August hat die Polizei bestätigt, dass sie eine Isotopen-Analyse in Auftrag gegeben habe. Diese Methode ermögliche einen geografisc­hen Fingerabdr­uck. So solle festgestel­lt werden, aus welchem Land die Mutter des Babys kommt. Das kleine Mädchen wurde unter großer Anteilnahm­e auf dem Krefelder Hauptfried­hof beigesetzt. Der evangelisc­he Pfarrer Michael Hack hatte es zuvor auf „Silvia“(lat. Silva = der Wald) getauft. So hat es zumindest einen Namen bekommen.

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FOTOS: THEO TITZ/POLIZEI Die kleine Fußgängerb­rücke über den Flöthbach in Willich-Anrath wird von vielen Spaziergän­gern und Joggern benutzt. Viele sahen den Beutel am Ufer liegen.

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