Rheinische Post - Xanten and Moers
Léa Seydoux ist in dem Liebesfilm „An einem schönen Morgen“eine alleinerziehende Mutter, die sich um ihren kranken Vater kümmert. Die Produktion ist heiter und läuft auf ein wunderbares Ende zu.
Wir sind in Paris, und als Sandra an diesem Vormittag Clément nach einigen Jahren wiederbegegnet, ahnt man schon, dass das jenes außerordentliche Ereignis sein könnte, das bereits im scheinbar beiläufigen Filmtitel anklingt. Wie es mit seiner Frau laufe, fragt Sandra. Er antwortet: „Mittelmäßig. Wir haben uns auseinandergelebt.“
„An einem schönen Morgen“heißt die Produktion der französischen Regisseurin Mia HansenLøve. Es ist ein bisschen, als öffnete sie die Tür in ein Leben, damit das Publikum still zusehen und Anteil nehmen kann. Alles ist wahrhaftig an dieser Geschichte, jede Geste ist wahr, und obwohl doch bloß Alltag erzählt wird, ist man so nah an diesen Figuren, dass man ihren Atem zu spüren meint.
Sandra, die von Léa Seydoux auf klischeefreie und aufrichtige Art gespielt wird, arbeitet als Übersetzerin aus dem Deutschen. Sie zieht ihre achtjährige Tochter ohne Partner groß und kümmert sich um ihren Vater, einen früheren GermanistikProfessor, dessen Persönlichkeit von der neurodegenerativen BensonKrankheit angegriffen wird. Er halluziniert, muss ins Heim, und wegen Zimmermangels zieht er weiter von Haus zu Haus.
An manchen Stellen erinnert das Verfahren von Mia Hansen-Løve an Eric Rohmer. Es wirkt, als halte sie die Kamera einfach hin, während Menschen ihr Leben leben. Im Unterschied zu Rohmers Produktionen wird hier jedoch nicht hauptsächlich im Sprechen Menschlichkeit vermittelt, sondern über Gesten, Mimik und das Alleinsein. Obwohl es keine ausgefeilten Szenerien gibt, keine technischen Finessen oder so etwas, ist das ein Film mit enormen Schauwerten. Man wird fürs genaue Hinsehen belohnt.
Sandra und Clément kommen einander näher, das war sofort klar, aber Clément mag seine Ehefrau nicht verlassen. Und er begreift zunächst nicht, wie ernst die seit dem Tod ihres Mannes beziehungslose Sandra den vermeintlichen Flirt nimmt. Man begreift durch diesen Film, wie wichtig Räume sind, die man bewohnen und mit seinem Geist erfüllen kann. Welche Bedeutung Dinge haben können: „Die Bücher sind seine Seele“, sagt Sandra über die Bibliothek ihres Vaters. „Aber er hat sie nicht geschrieben“, entgegnet jemand. „Aber ausgesucht“, sagt Sandra. Und man überdenkt neuerlich, was eigentlich die
Definition von Familie ist. Bei den großen Ereignissen wie dem Umzug ins Pflegeheim kommen Sandra und ihre Mutter, Sandras Tochter, der Vater sowie dessen Lebensgefährtin zusammen. Sie haben einander nicht ausgesucht, aber sie sind eine Gemeinschaft.
Wie präzise die einzelnen Szenen gebaut sind, erkennt man schon an der Eröffnung. Da steht Sandra vor der Wohnungstür ihres Vaters und klingelt. „Ich komme“, sagt er, und dann: „Aber wo ist der...?“– „Der Schlüssel?“– „Ja, der Schlüssel.“– „Der Schlüssel steckt in der Tür, du lässt ihn immer dort.“Nach einer Pause hört man den Vater erneut: „Aber wo ist die Tür?“Es ist schon alles darin angelegt, man weiß Bescheid, das ist das Drama des Flüchtigen.