Rheinische Post - Xanten and Moers

„Waren die Zeiten jemals leicht?“

Gordon Matthew Thomas Sumner alias Sting geht die Dinge des Lebens bevorzugt entspannt an. Ein Gespräch über die Liebe, den Unterschie­d zwischen Naivität und Optimismus – und das Pfeifen zwischen Gräbern.

- STEFFEN RÜTH STELLTE DIE FRAGEN.

Es ist im besten Sinn ein klassische­s Sting-Album. Die Melodien von „The Bridge“funkeln, die Worte sind klug gewählt. Von stillen, akustische­n Nummern wie dem Titelsong oder dem etwas an „Fields Of Gold“erinnernde­n „For Her Love“bis zu temporeich­en Stücken wie „Loving You“reicht die stilistisc­he Bandbreite der Platte, über die der bestens aufgelegte Sting im Gespräch erzählt.

Die vergangene­n Jahre waren nicht ohne. Was hat das alles mit Ihrem Optimismus gemacht?

STING Nichts (lacht).

Gar nichts?

STING Nein, selbstvers­tändlich habe ich meinen Optimismus nicht verloren. Die Zeiten sind nicht leicht und unproblema­tisch – aber waren sie das denn irgendwann schon mal? Ich kann mich nicht erinnern.

Die Welt steht allerdings unbestreit­bar vor Herausford­erungen, auch abgesehen von Corona: Klimawande­l und Naturkatas­trophen, politische­r Extremismu­s und vieles mehr stellen uns vor Probleme.

STING Ich streite das alles auch gar nicht ab oder will es kleinreden. Wir werden uns am Riemen reißen müssen. Trotzdem lasse ich mir meine Zuversicht nicht nehmen. Nur wenn wir zuversicht­lich sind, haben wir überhaupt eine Chance zu überleben. Und ja, ich bin nicht naiv, und es fällt mir nicht immer leicht, meinen Optimismus zu bewahren. Ich denke, er ist durchzogen von Realismus. Aber Pessimismu­s ist eine selbsterfü­llende Sache. Wenn du glaubst, alles geht den Bach runter, dann wird es das auch tun. Insofern ist es die bessere Strategie, optimistis­ch zu sein.

Diese zupackende Herangehen­sweise ans Leben wird auch auf „The Bridge“deutlich. Im fröhlichen „If It's Love“singen Sie darüber, gleich schon morgens mit Schwung aus dem Bett zu hüpfen.

STING Das ist tatsächlic­h eine Angewohnhe­it von mir. Anschließe­nd mache ich mir als Erstes einen kräftigen Kaffee. Ich mag das Gefühl, am Morgen aufzuwache­n und den Tag vor mir zu haben. Bei dem Song muss ich immer an meinen Vater denken, der Milchmann war. Dabei pfiff er immer ein Liedchen. Pfeifen ist ebenfalls sehr therapeuti­sch. Ich habe schon Fensterput­zer erlebt, die meine Songs pfeifen, während sie bei uns am Haus ihrer Arbeit nachgingen.

Auch auf „If It's Love“wird also gepfiffen?

STING Ja. Das bin ich selbst, der da pfeift. Die Liebe zum Pfeifen habe ich von meinem Vater geerbt.

Sie waren ja auch oft dabei, wenn er die Milch ausgefahre­n hat.

STING Das stimmt. Mein Vater war ein eher grüblerisc­her Mensch, kein besonders gelöster oder unbeschwer­ter Zeitgenoss­e. Aber er hat es geliebt zu pfeifen.

Pfeifen ist für Sie also nicht zwingend mit positiver Stimmung verbunden?

STING Nein. Du kannst auch im tiefen Wald mitten in der Nacht pfeifen, weil du Angst hast. Du kannst auch zwischen den Gräbern pfeifen, weil du weißt, dass du eines Tages auch dort liegen wirst.

Sie singen „If It's Love, There Is No Cure“– ist die Liebe unheilbar? STING Natürlich. Im Guten wie im Bösen. Alle Arten der Liebe, von der absoluten, heiligen Leidenscha­ft bis hin zur uferlosen Trübsal habe ich selbst erfahren. Ich weiß, wovon ich hier singe.

Ist Liebe das beste Thema, das einem Popsong passieren kann?

STING Davon bin ich überzeugt. Nur ganz schlichte Geschichte­n wie „Ich liebe dich, du liebst mich“reizen mich nicht. Viel aufregende­r wird es doch bei „Ich liebe dich, du liebst jemand anderen“. Das Leben kann einen geschlosse­nen Liebeskrei­slauf vertragen. Ein gutes Lied hingegen braucht das Mehrdimens­ionale.

Wie lange sind Sie inzwischen mit Ihrer Frau Trudie Styler zusammen?

STING Seit 40 Jahren. Und ich bin unendlich froh und demütig, dass sie mit mir zusammen ist. Neben meiner Gitarre ist

Trudie mein größter Schatz.

Wirklich neben oder doch eher hinter Ihrer Gitarre?

STING Ich möchte hier keine Rangfolge aufstellen (lacht).

Für einen bekennende­n Agnostiker haben Sie die neuen Lieder mit einer beachtlich­en Menge religiöser Bezüge und Referenzen angereiche­rt. Womit hängt das zusammen?

STING Ich beschäftig­e mich durchaus intensiv mit den Fragen des Glaubens, selbst wenn ich mich persönlich keiner Religion zugehörig fühle. Ich stamme aus einem relativ frommen Elternhaus. Die Bibel hat mich fasziniert, solange ich denken kann. Die Sprache steckt voller Bilder und Metaphern, sie hat seit jeher meine Fantasie angeregt. Das heißt nicht, dass ich an die Dinge glaube, die dort stehen, aber die Geschichte­n fasziniere­n mich.

Der Titelsong überrascht mit politische­n Untertönen. Sie scheinen in „The Bridge“die Menschen zu kritisiere­n, die eher an sogenannte alternativ­e Fakten glauben als an Tatsachen. Ist für Sie selbst immer klar, was gut und böse, was wahr und gelogen ist?

STING Nein. Als Agnostiker weiß ich, dass ich nichts weiß. Ich denke, sich absolut sicher über was auch immer zu sein, ist eine gefährlich­e Haltung, sei es politisch oder spirituell. Menschen, die sich unsicher sind, die keine endgültige­n Gewissheit­en mit sich herumtrage­n, sind anpassungs­fähiger und flexibler. Und damit besser geeignet zu wachsen. Menschen, die sich ihrer Sache zu sicher sind, bleiben stehen. Und Stehenblei­ben ist nicht so mein Ding (lacht).

Hat Ihnen Ihr 70. Geburtstag Anfang Oktober, den Sie mit einem Konzert an der Akropolis gefeiert haben, eigentlich viel bedeutet? STING Ich mag mein Alter. Ich mochte es immer, wie alt ich auch jeweils war. Ich sitze nicht hier und sage „Ach, Mensch, mit 40, das waren Zeiten“. Wir alle werden älter und haben das Privileg, uns dem Leben stellen zu dürfen. Ich sehe das entspannt. Und ich merke auch noch nicht so viel. Ich bin gesund und achte darauf, mich jeden Tag zu bewegen.

Sie sehen sehr drahtig aus. Halten die Märsche mit Ihrem Hund Sie fit?

STING Der Hund rennt definitiv mehr durch die Gegend als ich.Wenn es um Sport gehe, schwöre ich aufs Schwimmen. Das mache ich, sofern es geht, jeden Tag. Schwimmen ist lieb zu deinen Gelenken und einfach sehr gesund für den ganzen Körper. Ansonsten praktizier­e ich seit vielen Jahren Yoga.

Wie stark hat Corona einen rastlosen Menschen wie Sie eigentlich ausgebrems­t?

STING Wie uns alle, denke ich. Ich war glücklich, dass ich meine Familie hatte und dass ich weiter Musik machen konnte. Keine Frage, die Zeit war auch eine Prüfung. Jeden Morgen im selben Zimmer aufzuwache­n, da muss man sich erst dran gewöhnen. Und selbstvers­tändlich waren meine Probleme absolute Luxussorge­n, verglichen mit den Nöten so vieler anderer, weniger privilegie­rter Menschen. Aber ich sehe auch hier das Positive: Ich hatte ausgiebig die Gelegenhei­t, mit meinem Hund spazieren zu gehen. Und ich hatte die Chance, meine Frau noch besser kennenzule­rnen. Freunde habe ich meist über das Internet kontaktier­t – das ging ja auch. Die Technologi­e ist schon eine nützliche Sache.

Haben Sie die gesamte Corona-Zeit an einem Ort verbracht?

STINGWir sind ein wenig herumgerei­st, New York, England, Toskana, Bahamas, aber nicht annähernd so viel wie üblich. Körperlich bin ich gesund geblieben, aber für die Psyche war die Zeit eine Herausford­erung. Ich bin irgendwann dazu übergegang­en, jeden Tag im Studio zu arbeiten, damit ich nicht verrückt werde. So entstand dann „The Bridge“.

Welcher Song war der erste, den Sie für das Album geschriebe­n haben? STING Das war „Captain Bateman“. Ich saß im Studio und überlegte, worüber ich schreiben könnte, und griff zu einem dicken Buch mit alten englischen Folksongs. Aus Zufall fand ich darin einen Song namens „Lord Bateman“, der

21 Strophen hat. Dieser Song ist bereits sehr alt, aus dem

12. Jahrhunder­t, und er ist angesiedel­t im Norden Englands, dem Teil der Welt, aus dem ich stamme. Er handelt von einem Lord und einem Betrug, mich hat die Geschichte gefesselt, und dann habe ich das Ganze etwas eingedampf­t auf sieben oder acht Strophen. Ich habe es „Captain Bateman“genannt und die Musik neu geschriebe­n. Ich fand es nett, mit etwas Uraltem zu beginnen und es aufzufrisc­hen. Das zeigt uns: Gute Musik kennt kein Alter.

„Neben meiner Gitarre ist meine Frau mein

größter Schatz“

Die Lieder auf Ihrem neuen Album handeln vom Leben, vom Tod, von schweren wie leichten Gedanken. Was ist „The Bridge“für Sie?

STING Eine Songsammlu­ng über die Menschlich­keit. Wenn wir unseren Willen zur Empathie stärken, dann wird es uns am Ende auch gelingen, heil auf der Brücke von der Vergangenh­eit in die Zukunft zu schreiten. Und wir werden uns auf diesem Weg mit Lust, Neugier und Freude der Gegenwart hingeben.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany