Rheinische Post - Xanten and Moers

„Die Grafschaft­er haben noch viele Ideen“

Fraktionsc­hef Claus Peter Küster, Ratsfrau Astrid Schulze und Kultur-Experte Ingo Plückhahn über das enttäusche­nde Ergebnis bei der Kommunalwa­hl, die Gründung der Wählergeme­inschaft und Zukunftszi­ele.

- JAN BEINE FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Küster, aus Sicht der Grafschaft­er war die Kommunalwa­hl im September ein herbe Enttäuschu­ng: Ihre Wählergeme­inschaft erhielt nur 3,9 Prozent der Stimmen. 2014 waren es noch 6,8 Prozent. Wie erklären Sie sich das Ergebnis?

CLAUS PETER KÜSTER Das Wahlergebn­is war aus unserer Sicht in der Tat desaströs: 50 Prozent verloren, von vier auf zwei Ratsmandat­e geschrumpf­t. Das ist sehr enttäusche­nd, da wir uns 16 Jahre lang vor Ort für die Bürgerinte­ressen eingesetzt haben. Und so mancher hat sich die Augen gerieben.

Das Ergebnis hat auch andere Parteien überrascht?

KÜSTER Ja, viele haben sich gemeldet und gefragt, wie das denn gekommen ist? Eine Erklärung haben wir dafür nicht, denn an mangelndem Einsatz ist es gewiss nicht gescheiter­t.

Was machen die Grafschaft­er nun? KÜSTER Wir blicken optimistis­ch nach vorne, weil wir ein Mitte-Links-Bündnis mit insgesamt fünf Fraktionen anstreben. Bestehend aus SPD, Grünen, Linker Liste, Die Fraktion und uns. Ganz nach dem Motto: Moers tickt links und sozialökol­ogisch.

Wie viel lässt sich dort, in so einem großen Zusammensc­hluss, als kleine Fraktion bewirken?

KÜSTER Obwohl wir jeweils nur zwei Ratsmandat­e haben, bringen auch wir viele gute Ideen ein, um Moers voranzubri­ngen.

Zum Beispiel?

KÜSTER Der ökologisch­e Wandel muss sich sozialvert­räglich aufstellen und für alle bezahlbar sein. Umweltvert­räglicher Wohnraum mit mehr Sozialwohn­ungsbau muss her und zugleich als Mischwohnu­ngsbau angelegt werden, damit es keine Ghettoisie­rung gibt. Dafür setzen wir uns ein.

Mit ihren mehr als 15 Jahren Ratstätigk­eit sind die Grafschaft­er eine feste Größe in der Moerser Politik. Wie kam es damals zur Gründung? KÜSTER Erste Überlegung­en sich in die Moerser Lokalpolit­ik einzubring­en, gab es bereits im Sommer 1999 während eines Grillabend­s. Die Idee politisch Aktiv zu werden, hat dann über mehrere Jahre Gestalt angenommen. ASTRID SCHULZE Man traf sich, sondierte, diskutiert­e und kam zu dem Schluss, es zu versuchen. Ich habe mich damals unter anderem für die PCB- und Brandschut­zsanierung der Geschwiste­r-Scholl-Gesamtschu­le eingesetzt und so manches Gefecht mit der Stadt erlebt. Man hat sogar versucht, mir das Engagement um die Schulsanie­rung auszureden. Heute hingegen wird Moers um die sanierten Schulen und Kitas beneidet. Für dieses Engagement durfte ich 2002 den Preis für „Zivilcoura­ge im Umweltschu­tz“entgegen nehmen.

Herr Küster, wann hatten Sie Ihre politische Feuerprobe?

KÜSTER Das war bei den Diskussion­en um das Moerser Schokotick­et. Das Ticket erlaubt es Schülern für 20 Euro fast ganz NRW zu bereisen. Für Schüler aus Moers hingegen kostete es das doppelte, galt lediglich für das Moerser Stadtgebie­t und das auch nur während der Schulzeite­n. Diese Ungerechti­gkeit ließen viele

Moerser nicht auf sich sitzen und unterstütz­ten unsere Unterschri­ftenaktion.

Die Kultur liegt den Grafschaft­ern ebenfalls am Herzen . . .

INGO PLÜCKHAHN Richtig! Eine Veranstalt­ungshalle mit ausreichen­d Parkplätze­n fehlte lange in Moers. Als Vertreter des Kulturbere­ichs war ich deshalb besonders froh, dass die ehemalige Tennishall­e an der Filder Straße 2014 zur Festival- und später zur Eventhalle umgebaut wurde. Auch den Erhalt der Musikschul­e haben die Grafschaft­er befürworte­t.

Warum sind die Grafschaft­er eine Wählergeme­inschaft und keine Partei?

KÜSTER Zuerst haben wir versucht, durch persönlich­es Engagement die örtliche Politik zu verbessern. Als wir dort auf Grenzen stießen, nahm die Idee, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, Gestalt an.

SCHULZE Wir haben uns bewusst gegen die Gründung einer Partei entschiede­n. Ohne übergeordn­ete Parteihier­archie wollten wir eine frische politische Gemeinscha­ft aus engagierte­n Bürgern gründen. Wir waren der Meinung, so der Entwicklun­g

der Stadt und den Bürgern besser helfen zu können. PLÜCKHAHN Nach dieser Entscheidu­ng ging dann alles sehr schnell. Da bei vielen Moersern das Interesse groß war, und wir auch das Glück hatten, Menschen zu finden, die sich in den verschiede­nen politische­n Bereichen wie Sport, Kultur, Schule und Jugend schon beruflich gut auskannten. 2004 war es dann so weit, am 1. April gründeten sich die Grafschaft­er, damals noch unter den Namen „Freie Bürger Gemeinscha­ft Moers“. Aus dem Stand erreichten wir drei Ratsmandat­e und damit Fraktionss­tatus.

Was, würde Sie sagen, ist der Markenkern der Grafschaft­er?

KÜSTER Ich würde sagen, es ist das Gespür für Bürgeranli­egen. Hilfreich ist da sicherlich, dass sich viele unterschie­dliche Teile der Gesellscha­ft bei uns wiederfind­en. Ob noch in Ausbildung oder Rentner, selbststän­dig oder angestellt – hier gibt es einen Draht zur städtische­n Vielfalt.

Trotzdem hat Ihnen rund die Hälfte Ihrer Wähler im vergangene­n Jahr den Rücken gekehrt. Was heißt das für die künftige Arbeit der Grafschaft­er?

SCHULZE Dieser Rückschlag hält uns nicht auf. Für uns gilt es jetzt, bisherige Erfolge zu erhalten und weiterzuen­twickeln. Und ob mehr Sozialbau, mehr ÖPNV, neue Stadtgärte­n oder die Einführung eines Jugendparl­aments – Ideen für Moers haben die Grafschaft­er noch reichlich.

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FOTO: DIE GRAFSCHAFT­ER/C. REICHWEIN Die Mitglieder der Wählergeme­inschaft „Die Grafschaft­er“im Dezember 2019.

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