Rheinische Post - Xanten and Moers

Türkei übt Vergeltung für syrischen Angriff auf Soldaten

Die Eskalation könnte die türkisch-russischen Beziehunge­n in eine Krise stürzen. In Idlib treten die gegensätzl­ichen Interessen beider Staaten offen zutage.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Im Nordwesten Syriens droht ein neuer Krieg. Bei einem Gefecht zwischen türkischen Truppen und syrischen Regierungs­einheiten in der Grenzprovi­nz Idlib starben in der Nacht zum Montag mindestens 21 Soldaten. Es war der erste größere Zusammenst­oß der Armeen beider Länder seit Beginn des Libyen-Konflikts vor fast neun Jahren. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte an, der Vormarsch seiner Soldaten im Nachbarlan­d werde weitergehe­n. Die Eskalation könnte die türkisch-russischen Beziehunge­n in einer Krise stürzen – und die Türkei in weitere Schwierigk­eiten bringen.

Erdogan hatte am Sonntag mehrere Militärkon­vois nach Idlib geschickt, wo die Türkei nach einer Vereinbaru­ng mit Russland zwölf Militärpos­ten unterhält. Laut Medienberi­chten überquerte­n Hunderte türkische Militärfah­rzeuge die Grenze in die syrische Provinz, darunter Tieflader mit Panzern. Die opposition­snahe Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte teilte mit, türkische und syrische Truppen

seien östlich der Stadt Sarakib aufeinande­r gestoßen. Fünf türkische Soldaten und drei zivile Militärang­estellte starben; die Beobachtun­gsstelle meldete zudem 13 getötete syrische Soldaten; nach Angaben Ankaras kamen 76 syrische Soldaten um.

Mit dem Einmarsch reagierte die Türkei auf militärisc­he Erfolge der syrischen Regierungs­armee in Idlib, der letzten Bastion der Rebellen in Syrien. Zuletzt hatten die syrischen Truppen mit russischer Unterstütz­ung die Stadt Maraat al Numan an der strategisc­h wichtigen Fernstraße

M5 eingenomme­n. In Idlib, das größtentei­ls von islamistis­chen Gruppen beherrscht wird, leben rund drei Millionen Menschen. Mehrere Hunderttau­send von ihnen suchen Schutz an der geschlosse­nen türkischen Grenze, doch die Kämpfe rücken näher: Sarakib liegt etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt.

Erdogan unterstric­h ausdrückli­ch, das Ziel seiner Soldaten seien die syrischen Regierungs­truppen, nicht die russischen Militärs in Syrien. Russland solle sich aus der Konfrontat­ion in Idlib heraushalt­en. Dennoch könnte das Gefecht

in Sarakib schwere Folgen für das Verhältnis zwischen der Türkei und Russland haben. Die beiden Länder arbeiten im Syrien-Konflikt seit Jahren eng zusammen, obwohl die Türkei den Sturz des syrischen Präsidente­n Baschar al Assad anstrebt und Moskau Assad unterstütz­t. Russland tolerierte drei türkische Militärint­erventione­n zur Bekämpfung der syrischen Kurdenmili­z YPG.

In Idlib treten die Interessen­gegensätze der beiden Seiten jedoch offen zutage. Das russische Verteidigu­ngsministe­rium erklärte, es sei nicht vorab über den Einmarsch türkischer Truppen in Idlib informiert gewesen. Die türkische Armee wiederum sagte laut Medienberi­chten in einem anderen Landesteil von Syrien eine geplante gemeinsame Patrouille mit russischen Soldaten ab. Ein wichtiger Pfeiler der bisherigen türkisch-russischen Zusammenar­beit ist das gute persönlich­e Verhältnis zwischen Erdogan und dem russischen Staatspräs­ident Wladimir Putin. Die beiden haben sich in den vergangene­n Jahren mehr als ein Dutzend Mal getroffen.

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