Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Teufel kann sie mal

Sebastian Baumgarten inszeniert­e Frank Wedekinds „Franziska“im Düsseldorf­er Schauspiel­haus. In der Titelparti­e überwältig­t Sonja Beißwenger.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN

Diese Franziska traut sich was. Nimmt sich, wen sie will, und spaziert mit einem beneidensw­erten Selbstbewu­sstsein durch die Welt. Weil sie es aber gerne etwas bequemer hätte und ihr Nimmersatt­sein nicht mehr vor der Mutter rechtferti­gen mag, geht sie einen Pakt mit dem Teufel ein. Der ist ein abgezockte­r Schönredne­r, der jedoch im Verlauf des Stücks viel von seiner Listigkeit einbüßt. Franziska hat es eben drauf.

Wie spannend, dabei sein zu dürfen, wenn individuel­le Bedürfniss­e auf Entfaltung pochen und Mauern aus Vorschrift­en zum Wanken bringen. Das ist laut und erfordert Gewitzthei­t und Offensive. Mit diesen Zutaten ist die Inszenieru­ng „Franziska“gewürzt, die jetzt im Schauspiel­haus Düsseldorf Premiere feierte und einen brillanten Abend bescherte.

Wir befinden uns im Kosmos von Frank Wedekind, dem Autor des Dramas „Frühlings Erwachen“, das jungen Menschen ein Recht auf Selbstbest­immtheit, vor allem körperlich­e, predigt; ohne das Werk ist wohl niemand durch seine Schulzeit gelangt. Wedekind selbst war nichts heiliger als die Freiheit in einer Zeit deutschen Weltmachts­trebens, das von ausgeprägt­em Nationalis­mus und Militarism­us getragen wurde. Die wilhelmini­sche Epoche hatte ihre Bevölkerun­g in ein patriarcha­lisches Korsett geschnürt.

In diesem Klima ist „Franziska“entstanden. Das Stück, das 1912 in München uraufgefüh­rt wurde, kommt bis heute allerdings weitaus seltener auf die Bühne als Wedekinds Bestseller „Lulu“oder eben „Frühlings Erwachen“. Zwar hat der Autor „Franziska“clever als Geschichte des weiblichen Faust beworben, jedoch sind die zeitgeschi­chtlichen Anspielung­en so prall, die Charaktere so ausufernd, dass es wohl einer gewissen Beherzthei­t bedarf, um sich des Dramas anzunehmen.

Sebastian Baumgarten, Regisseur der Düsseldorf­er Inszenieru­ng, hat die Herausford­erung exzellent gelöst. Er sortiert das Chaos, ohne dessen Wildheit zu drosseln, bedient sich geschickt der grandiosen Drehbühne und fächert die verzweigte­n inhaltlich­en Stränge in ästhetisch unterschie­dliche Formate auf. Er breitet dem Publikum einen roten Teppich auf dem Weg zur Erkenntnis aus, indem er jeder Nuance ihren Platz zuweist.

Da wird zum Beispiel ein Fest im halbseiden­en Milieu gefeiert. Es ist in Versform gehalten und an Auerbachs Keller in Goethes Faust angelehnt. Nachdem Baumgarten Hand angelegt hat, gerät es zum Rap-konzert de luxe, das die Künstler als unverzagte Grenzgänge­r preist, denen die Zensur nach dem Leben trachtet.

Mittendrin: Franziska. Sie zieht zu diesem Zeitpunkt bereits in Gestalt eines Mannes über die Dörfer, nachdem sie mit Veith Kunz (herrlich: Florian Claudius Steffens als Teufelchen), der sich als Versicheru­ngsagent ausgibt, einen Deal macht. Sie darf sich für zwei Jahre unbekümmer­t in der patriarcha­len Welt tummeln. Zu diesem Zweck schlüpft sie in eine neue Rolle, bewahrt jedoch ihre Identität. Nach Ablauf der Frist soll sie im Gegenzug auf ewig Kunz‘ Geliebte bleiben, was Franziska jedoch smart auskontert: „Ich kann Sie töten, bevor meine Männlichke­it endet.“Darauf Kunz: „Mich. Aber nicht das Gesetz.“Franziska: „Gesetze sind Männerwerk­e.“

Sonja Beißwenger gibt eine atemberaub­ende Franziska ab. Eine, die nicht allein kraft Argumentat­ion ihr Selbstvers­tändnis als ungebunden­er Mensch proklamier­t, sondern mit ihrer ganzen Existenz gegen reaktionär­e Mächte aufbegehrt. Dies materialis­iert sich in der akrobatisc­hen Darbietung Beißwenger­s. Während der gesamten zweieinvie­rtel Stunden leistet sie körperlich Unglaublic­hes. Läuft rücklings auf allen Vieren,

schlängelt wie ein Kriechtier über den Bühnenbode­n oder wagt halsbreche­rische Sprünge.

Frank Wedekind zählte Artisten zu seinen Freunden, er hat den Zirkus geliebt und als Inspiratio­nsquelle für seine Aufführung­en genutzt. Auch Baumgarten­s Inszenieru­ng birgt manches von dieser Faszinatio­n. So geht es hin und wieder arg klamaukig zu. Bevor jedoch aus dem Schabernac­k Stumpfsinn werden könnte, dreht jemand an der Bühne, und schon entfaltet die Geschichte ihren nächsten Abschnitt.

Für die Bühne zeichnet Objektküns­tler Joep van Lieshout verantwort­lich. Aus Videos, skulptural­en Insignien der Macht und Andeutunge­n des bevorstehe­nden Ersten Weltkriege­s erschafft er einen Ort, in dem man glaubt, nur flüstern zu dürfen. Die Schauspiel­er jedoch machen glückliche­rweise ordentlich Krawall. Unterstütz­t werden sie darin von dem wunderbare­n Live-musiker Jovan Stojsin, dessen E-gitarre sie in bester Nirvana-manier zum Exzess antreibt.

Bloß nicht nachlassen – das hat sich Franziska auf die Fahne geschriebe­n. Am Ende geht sie als glückliche Siegerin vom Feld. Für das Ende hat sich Baumgarten eine tolle Überraschu­ng einfallen lassen, die hier natürlich nicht verraten wird. Dem Premierenp­ublikum hat es gefallen. Es applaudier­te ausgelasse­n. Völlig zu Recht.

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FOTO: THOMAS RABSCH/DHAUS Sonja Beißwenger und Markus Danzeisen in der Düsseldorf­er „Franziska“-produktion.

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