Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Gewinner und Verlierer der Pandemie
Gastronomie, Einzelhandel, Kultur und Tourismus — an Berichten über Branchen, die in der Corona-krise viele Arbeitskräfte verloren haben, mangelt es nicht. Doch welche Bereiche konnten Zuwächse verzeichnen?
Das Restaurant um die Ecke schließt, ein traditionsreiches Hotel im Ort muss sich schweren Herzens entscheiden dichtzumachen, ein kleiner Bäckerbetrieb findet keine Angestellten mehr: Die Folgen der Corona-pandemie für Gastronomie, Tourismusgewerbe und Einzelhandel mündeten vielerorts in Geschäftsschließungen. Nicht nur hatten ihnen wirtschaftliche Einbußen schwer zugesetzt, auch das Personal fehlte ihnen. Und neues zu finden, gestaltete sich schwierig, waren doch Hunderttausende Angestellte in andere Branchen abgewandert. Doch wie sieht das im Detail aus?
Eine Studie des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter Berufung von Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigte kürzlich, wohin 216.000 Festangestellte im Jahr 2020 aus dem Gastgewerbe gewechselt sind. Ein enormer Wert, angesichts im Jahresschnitt knapp 800.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern in diesem Bereich. Die meisten Jobwechsler – etwa 35.000 – zog es demnach in den Verkaufsberuf, etwa an der Supermarktkasse. Rund 27.000 ehemalige Arbeitnehmer aus Gastronomie und Tourismus fingen im Bereich Verkehr- und Logistik an. Beliebte Zielberufe waren auch Lebensmittelherstellung, Reinigungsberufe und Erziehung, so die Studie.
Interessant: In allen Branchen wurden insgesamt weniger Arbeitsverhältnisse beendet als vor der Krise. Politische Maßnahmen wie Kurzarbeit hätten viele Menschen letztlich doch in ihren Jobs gehalten, schlussfolgern die Autorinnen der Studie. Dennoch hätten sich eine Vielzahl umorientiert, angesichts schwacher wirtschaftlicher Aussichten in ihrem Beruf und neuen drohenden Lockdowns.
Zahlen der BA zeigen, welche Berufssegmente im ersten Corona-jahr im Vergleich zu den zwölf Monaten davor verloren und welche netto hinzugewonnen haben. Während im Vor-corona-jahr (März 2019 bis Februar 2020) sich für das Lebensmittelund Gastgewerbe ein negativer Saldo von 63.000 Beschäftigten ergibt, liegt diese Zahl im Coronajahr (März 2020 bis Februar 2021) mit 158.000 noch mal weitaus höher. Auf der Haben-seite liegen Berufe wie soziale und kulturelle Dienstleistungen, also etwa Erziehung, Betreuung und Bildung (plus 43.000 im Vor-corona-jahr und ein Plus von 50.000 im Corona-jahr). Auch unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe profitierten (bereits vor Corona gab es hier ein Plus von 37.000 Beschäftigten) und einem Zuwachs im Corona-jahr von 63.000 Neubeschäftigten. Ein vergleichsweise klarer Gewinner des Corona-jahres ist die Verkehrs- und Logistikbranche, die im Vor-coronajahr nur rund 4000 Beschäftigte hinzugewann und 2020 gleich 54.000.
Die BA listet auch Zahlen für das Kalenderjahr 2021. Hier ergeben sich noch etwas andere Werte. Gewinnerbranchen waren 2021 zwar ebenfalls unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe, also etwa Itdienstleister oder Werbeagenturen, mit einem positiven Saldo von 69.000 Beschäftigten. Aber auch der Sektor Recht und Verwaltung gewann stark dazu (plus 47.000). Verlierer, also Branchen, die netto einen negativen Saldo vorweisen, waren wieder die Tourismus- und Hotelbranche (minus 70.000) sowie Lebensmittelund Gaststättengewerbe (minus 105.000).
Hohe Zugewinne bedeuten nicht, dass es in diesen Branchen nicht auch viele offene Stellen gibt, im Juli 2022 waren es laut der BA bundesweit 881.000. Die meisten Arbeitskräfte (71.000) wurden im Bereich Verkehr und Logistik gesucht (Zuwachs von gut 16 Prozent gegenüber 2021). Knapp dahinter folgt die Branche der Verkaufsberufe (65.000, plus 23 Prozent). Das Gastgewerbe liegt hier mit 36.000 Stellen (plus 36 Prozent) nur auf Platz zehn des Rankings.
Die BA beschreibt auch die Fluktuationsraten für die beiden Corona-jahre 2020 und 2021. Diese beschreiben den Anteil der begonnen und beendeten Beschäftigungsverhältnisse an den Gesamtbeschäftigten in einem Beruf innerhalb eines Jahres, also vereinfacht gesagt, wie viel Bewegung in einer Branche herrschte. Die höchste Fluktuationsrate wies 2020 wie 2021 der Bereich der darstellenden und unterhaltenden Berufe auf.
Die Statistiken erklären nicht die einzelnen Gründe für die Arbeitsmarktbewegungen, der Zusammenhang mit den Pandemie-auswirkungen ist also nur indirekt. Bei der BA heißt es dazu: „Es gab keinen Massenexodus im Hotel- und Gastgewerbe. Zwar sind viele in Bereiche wie Logistik gewechselt, aber auch aus diesen Bereichen sind Beschäftigte wiederum in die Gastronomie gewechselt“, so eine Sprecherin auf Anfrage. Allgemein hätten viele Leute, die ihren Job verloren, sich während Corona in anderen Branchen umgesehen, häufig mit Aussicht auf bessere Arbeitsbedingungen. Die Ursachen für die Wechselbewegungen seien also vielschichtig.