Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Handball muss sich drastisch verändern“
Am Samstag startet die Bundesliga mit dem Supercup in Düsseldorf. Wir konfrontieren Liga-chef Frank Bohmann mit sieben Thesen zur Lage der Liga. Es wird eine wichtige Saison nach den Einbußen durch die Pandemie.
DÜSSELDORF Fast auf den Tag genau einen Monat nach dem ViertelfinalAus der deutschen Handballer bei Olympia richtet sich der Blick endgültig wieder auf den Ligaalltag. Die neue Spielzeit der HBL steht vor der Tür, am Wochenende steht der Supercup in Düsseldorf an, in der Woche danach startet die Saison. Ein guter Zeitpunkt also, um HBL-GEschäftsführer Frank Bohmann mal mit Thesen zur Lage der Liga zu konfrontieren
1. Der Ruf der Handball-bundesliga hat gelitten unter dem zuletzt schwachen Abschneiden der Nationalmannschaft.
Bohmann: Die Auftritte der Nationalmannschaft sind für die HBL tatsächlich von großer Bedeutung. Bei Olympia hat eigentlich nur die Viertelfinalpartie gegen Ägypten enttäuscht. Davor hat das Team ein starkes Turnier gespielt. Die WM im Januar mit einem ersatzgeschwächten Team war klar hinter den Erwartungen, die EM 2020 in Österreich und die WM 2019 im eigenen Land waren stark.
Für die HBL ist wichtig, dass wir bei der EM 2024 im eigenen Land, bei den Spielen in Paris im selben Jahr und bei der Heim-wm 2027 ein Teamhaben, das begeistert und um die Titel mitspielen kann. Die HBL ist allerdings nach fast jeder Veranstaltung ein Gewinner, weil die meisten Topstars der Handballwelt hier zu Hause sind.
2. Juri Knorr hat das Zeug dazu, zum neuen Gesicht der HBL und der Nationalmannschaft zu werden. Bohmann: Juri hat ohne jeden Zweifel das Zeug dazu, sich zu einem Weltklassespieler zu entwickeln. Sein Wechsel zum Spitzenklub Rhein Neckar Löwen ist ein systematischer Schritt in diese Richtung. Ob er dann wirklich einmal der Unterschiedsspieler wie etwa Mikkel Hansen in Dänemark, Sander Sagosen in Norwegen oder Jim Gottfridsson in Schweden ist, kann ich nicht vorhersehen.
3. Die HBL braucht in den kommenden Jahren zwingend einen Überraschungsmeister, um mal eine neue
Geschichte erzählen zu können. Bohmann: In den vergangenen fünf Jahren hatten wir drei verschiedene Meister und immer wieder Herzschlagentscheidungen am letzten Spieltag oder wie in der vergangenen Saison sogar in der letzten Sekunde. Das hätte ein Drehbuchautor wohl kaum besser hinbekommen. Solche Saisons würde man sich, glaube ich, in der Fußball-bundesliga sehr wünschen.
Dennoch, die Dominanz der beiden Nordklubs aus Flensburg und Kiel in den beiden letzten Jahren sollte für die Verfolger Ansporn sein, den Rückstand aufzuholen. Viel fehlt insbesondere bei den Füchsen Berlin und dem SC Magdeburg nicht.
4. Die HBL hätte nichts dagegen, wenn der Bergische HC seine Spiele dauerhaft in Düsseldorf austragen würde, weil sie dann einen prominenteren Nrw-standort hätte. Bohmann: Düsseldorf ist eine Stadt, die für den Sport und insbesondere den Spitzensport sehr viel tut und eine hervorragende Infrastruktur hat. Das zeigt sich auch beim Saisonstart, dem Pixum-supercup, am 4. September im PSD Bank Dome. Ich begrüße in jedem Fall, dass der BHC auch einen Teil seiner Heimspiele hier austrägt. Die Entscheidung, wo die Homebase des BHC ist, tragen aber ganz allein der Verein und sein erfahrener und erfolgreicher Geschäftsführer Jörg Föste, dem ich seine eigene Strategie nicht zu erklären brauche.
5. Die Altersstruktur der HandballZuschauer wird zum Problem. Bohmann: Das glaube ich nicht. Wir sind zunächst mal froh, wenn wir wieder eine hohe Anzahl von Zuschauerinnen und Zuschauern – und zwar egal welchen Alters – wieder in die Halle lassen dürfen. Die unabhängige Marktforschung sieht einen großen Interessenzuwachs und den Ausbau der Position Nummer Eins hinter demfußball für den Sport Handball in fast allen Alterskategorien.
Wir investieren massiv in den Ausbau unser digitalen Kanäle, um neuen Seh- und Sportgewohnheiten gerecht zu werden und auch um neue Zielgruppen anzusprechen. Nach meiner Einschätzung sind wir hier vielen Wettbewerbern ein ganzes Stück voraus.
6. Noch eine Spielzeit wie die vorangegangene unter den Pandemie-bedingungen übersteht die HBL nicht ohne Insolvenzen unter den Klubs. Bohmann: Eindeutig ja. Das letzte Jahr hat funktioniert, weil Partner und Fans uns sehr entgegen gekommen sind, Spieler massiv auf Gehalt verzichtet haben, Eigenkapital aufgezehrt wurde und Staatshilfen den Ausfall von Ticketeinnahmen abgemildert haben. Es wird Zeit, sehr bald zu unserem etablierten Geschäft zurückzukommen. Alles andere würde zu bedrohlichen wirtschaftlichen Schieflagen führen.
7. Neue Sportarten wie etwa Skateboarden und BMX werden bei Olympischen Spielen zur großen Konkurrenz der etablierten Sportarten und einige aus dem Programm drängen. Bohmann: Diesem Wettbewerb werden sich alle Sportarten stellen müssen. Es ist sonnenklar, dass auch der Handball seine Hausaufgaben machen muss. Hierzu gehört vor allem die Entwicklung von Formaten für die sozialen Medien, Anpassungen im Regelwerk und die Entwicklung des Handballs in reichweitenstarken Märkten in Nord- und Südamerika und in Südostasien.
Hier brauchen wir von Seiten des Weltverbandes einen echten Innovations- und Modernisierungsschub, der mit den bisherigen Programmen wenig zu tun hat. Der Wettbewerb ist sehr stark und hier werden sich die großen Handballverbände drastisch verändern müssen, damit uns die Entwicklung nicht irgendwann abhängt.