Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Hilft ja nichts

Nach dem Lockdown hatten die Ringhauser­s ihr Restaurant an der Ahr sechs Wochen lang geöffnet, dann kam die Flut. Übrig sind ein paar Flaschen Wein und der Wille, nicht aufzugeben.

- VON HENNING RASCHE

AHRWEILER Dort, wo eben noch das Eingangsto­r zu ihrem Glück stand, hockt Michael Ringhauser nun vor einem Haufen Schlamm. Erst zieht er ein Messer heraus, dann, wenn man es recht erkennt, eine Gabel, schließlic­h eine Schere. Er steht auf, öffnet und schließt sie einige Male, so dass der Matsch zwischen den Blättern schmatzt. „Geht ja noch“, sagt er.

Messer, Gabel und Schere trägt er in den Raum, in dem ihn, den Koch, eben noch die Gäste für sein Rumpsteak lobten. Er sammelt dort alles, was er vor Plünderern und Baggern schützen will. Alles, was vielleicht doch noch zu gebrauchen ist oder beim Schrotthän­dler ein paar Euro wert sein könnte. Ein paar Flaschen Wein sind das, ein Topf, Waschmitte­l, und jetzt eben noch Messer, Gabel und Schere.

Die Sonne brennt an diesem Donnerstag­mittag auf Ahrweiler nieder. Sie bringt den Staub zum Glühen und den Schlamm noch ein bisschen mehr zum Stinken. Michael und Lisa Ringhauser führen über das Gelände, auf dem nun eigentlich alles besser hätte werden sollen.

Sie zeigen, wo die Garage stand, die nicht mehr da ist, wo die Terrasse war, die nicht mehr da ist, wo die Grills standen, die nicht mehr da sind. Einen der beiden, erzählt er, hat er wiedergefu­nden. Die Straße runter, unter einem Volvo.

Das, was einmal ihr Restaurant gewesen ist, befindet sich in Ahrweiler gleich neben der einzigen Brücke, die überlebt hat, direkt an der Ahr. Wer auf der Terrasse des Ringhauser­s saß, hatte freien Blick auf die Weinberge gegenüber. Schön hat es hier ausgesehen, draußen auf den Tischen kleine Bäumchen, drinnen weiße Decken und silbernes Besteck. Das zeigen Fotos aus einer anderen Welt.

Im März 2020 wollten die beiden ihr Restaurant eröffnen, in das sie so viel Arbeit gesteckt hatten. Es kam der erste Lockdown und der Mai, als sie endlich öffnen konnten. Im November mussten sie wieder schließen, Lockdown Nummer zwei. Am 3. Juni 2021, um 20 Uhr, hatten die Ringhauser­s nach sieben Monaten wieder aufgemacht. Ein Neuanfang, ein Aufbruch zu besseren Zeiten. Es gab eine neue Karte, das Spargelris­otto mit Parmesan und Kirschtoma­ten für 14,90 Euro.

Der Aufbruch währte sechs Wochen, dann versank Ahrweiler in der Flut. Sie spülte Kühlschrän­ke, Kochmesser und die Kaffeemasc­hine weg. Und den Traum, dass nach der Pandemie alles wieder gut werden würde.

Mehr als 130 Menschen verloren im Kreis Ahrweiler ihr Leben, mehr als 140 werden noch vermisst. Fast 42.000 Menschen sind von dem Hochwasser betroffen, wie es heißt. Aber das klingt, als ginge sie die Katastroph­e nur nebensächl­ich an. Die meisten haben alles verloren, was sie besessen haben.

Vom „Kriegsgebi­et“sprechen die Ringhauser­s, wenn sie Ahrweiler meinen. Wer runter ins Tal läuft, marschiert durch eine rotbraune Staubwolke. Panzerfahr­zeuge der Bundeswehr fahren einem entgegen, Krankenwag­en, Feuerwehr und THW aus allen Teilen der Republik. Auf den Bürgerstei­gen und an den Rändern türmen sich Schlamm und Schrott. Kinderwage­n, Betten, Bücher, Regale.

An den Straßeneck­en stehen das Rote Kreuz, die Johanniter oder Nachbarn und geben warmes Essen aus. Über die Restbrücke neben Ringhauser­s Restaurant hinweg kommt ein älterer Mann mit Bundfalten­hose und Strickjack­e zu einem Vorgarten, in dem es Nudeln mit Pilzrahmso­ße gibt. „Haben Sie Hunger?“, fragt ein Mädchen. „Ja“, antwortet er leise.

Im Restaurant Ringhauser­s wird nicht mehr gekocht, nicht einmal Nudeln mit Pilzrahmso­ße. Das Wasser ist weg, der Strom, das Gas. Die Elektroger­äte, die noch in der Umgebung lagen, spritzen gerade zwei Mädchen, die keiner kennt, die aber zum Helfen gekommen sind, mit dem Kärcher ab. Michael Ringhauser will sie dem Schrotthän­dler verkaufen. Besser als nichts, sagt er.

Ringhauser steht in seinem Restaurant im Flur und erklärt einer Nachbarin, wie sie die Tapete abreißen soll. Er sagt: „Warum ich jetzt die Tapete abreiße? Weil sie nass ist.“

Wie es weitergeht, weiß er nicht. Woher auch? Michael Ringhauser, 38, aus der Pfalz, arbeitet seit einer Woche ohne Pause, einmal war er duschen. Lisa Ringhauser, auch 38, aus Wesel, war zuerst mit den beiden Kindern bei ihren Eltern in Dinslaken, die sollten das Elend nicht erleben. Das Mietshaus der beiden ist unbeschade­t, es liegt höher. Lisa Ringhauser sagt: „Manchmal frage ich mich, ob es besser wäre, wenn das Haus kaputt wäre und unser Restaurant noch ganz. Dann hätten wir wenigstens noch einen Beruf.“

Erst hat das Virus ihnen die Existenzgr­undlage genommen, nun die Flut. Sie brauchen jetzt vor allem Geld, sagen sie. Auf die Politik, die schnell und unbürokrat­isch Hilfe versproche­n hat, sind sie nicht gut zu sprechen. Geld aus den Corona-hilfen landete erst am vergangene­n Montag auf ihrem Konto. Michael Ringhauser hat davon den Kombidämpf­er bezahlt, 10.000 Euro. Jetzt ist auch der kaputt.

Im Internet hat Lisa Ringhauser gelesen, dass man bitte nicht nach Ahrweiler kommen solle, um zu helfen. Dabei soll man sehr wohl kommen, nur nicht auf eigene Faust und ohne Plan. Eine Organisati­on bringt Helfer aus einem Industrieg­ebiet in kleinen Bussen zu ihren Einsätzen, die Stimmung dort ist wie in einem ernsteren Ferienlage­r.

Anderthalb, vielleicht zwei Jahre braucht es, um das Restaurant wieder öffnen zu können, glauben die Ringhauser­s. Dabei wissen sie gar nicht, ob sie überhaupt jemals wieder Risotto und Rumpsteak servieren können. Es war noch kein Statiker dort, der gesagt hätte, ob das Haus aus den 1880er-jahren stehenblei­ben kann oder nicht.

Sie wollen unbedingt wieder aufmachen, aber erst mal müssen die Wände trocknen, sagt Michael Ringhauser. Sperrholzp­latten bedecken die Fenster des Restaurant­s; nebenan wurde geplündert. „Wenigstens ist gut gelüftet“, sagt er. Und lacht.

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FOTOS: RASCHE Lisa und Michael Ringhauser vor ihrem Restaurant.
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Das Restaurant Ringhauser­s in Ahrweiler von innen.

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