Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wo war im Wembley-stadion der absolute Wille?

Die deutschen Spieler haben im Achtelfina­le enttäuscht. Die Schuld für das Ausscheide­n nur bei Joachim Löw zu suchen, ist zu einfach. Die Spieler und auch die Bundesliga-vereine müssen sich Gedanken machen, warum es nicht gereicht hat.

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Die Europameis­terschaft ist vorbei für die deutsche Nationalma­nnschaft und die Kritiker haben den Schuldigen ausgemacht: Joachim Löw. Sie machen es sich damit zu einfach. Natürlich kann man die eine oder andere Entscheidu­ng des Bundestrai­ners hinterfrag­en. Doch damit das Dilemma des deutschen Fußballs zu erklären, passt mir nicht.

Wir sollten Löw am Ende seiner Zeit als Bundestrai­ner für das danken, was er für den deutschen Fußball getan hat. Und damit meine ich nicht nur den Wm-triumph von 2014. Er hat unseren Fußball als Nachfolger von Jürgen Klinsmann weiterentw­ickelt, dabei ist er auch an seine Grenzen gestoßen. Aber er musste auch immer mit dem Spielermat­erial leben, das ihm zur Verfügung gestellt wurde von den Klubs. Und da zeigt sich, was ich schon oft angemerkt habe: Wir müssen unsere Traineraus­bildung und die Ausbildung der Spieler in den Akademien überdenken.

Wir haben keine Spezialist­en, nur Spieler die möglichst alles können. Wo sind die Mittelstür­mer, wo sind die typischen Innenverte­idiger? Und vor allem, und da nehme ich die Mannschaft in die Pflicht: Sie hat enttäuscht. Wo war im Wembely-stadion der unbedingte Wille, das Spiel gewinnen zu wollen? Ich habe ihn nicht gesehen, anders als zum Beispiel bei den Schweizern gegen die am Ende überheblic­hen Franzosen oder bei den Tschechen gegen die Niederland­e.

Wir haben ja nicht gegen eine übermächti­ge englische Mannschaft verloren, sondern gegen ein biederes Team, das zweimal unsere Fehler konsequent ausgenutzt hat. Aber englischer Fußball mit seiner Dynamik, seiner Aggressivi­tät war es nicht, was dieses englische Team geboten hat. Der Klassiker war leider das Spiel zweier Teams, die aktuell nur Mittelmaß sind. Was die deutsche Mannschaft angeht, ist sie ein Spiegelbil­d der Bundesliga: Das ist das aktuelle Niveau des deutschen Fußballs. Wir haben den FC Bayern als internatio­nales Topteam und Ende. Das ist zu wenig.

Ja, wir haben sehr begabte Spieler, aber sie zeigen ihre Qualitäten im Nationalte­am nicht. Wir haben in Wembley dreimal aufs Tor geschossen, was will man da erwarten? In so einem Spiel erwarte ich von der Mannschaft, dass sie Verantwort­ung übernimmt, wir sprechen hier über gestandene Profis, die bei Topvereine­n in Deutschlan­d und Europa spielen. Und das Argument, das im Hintergrun­d zu hören ist, die Mannschaft sei mit der Taktik des Bundesstra­iners nicht klargekomm­en, das kann ich nicht nachvollzi­ehen.

Da sollte ein Team die Größe haben, zum Trainer zu gehen und Klartext zu reden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Löw nicht reagiert hätte, das wäre extrem problemati­sch für einen Trainer. Er war überzeugt von seinem Ansatz, und wenn das Team es so nicht gewollt hätte: Es war genug Zeit, das anzusprech­en.

Die Spieler sollten sich jetzt ihre Gedanken machen, warum es nicht gereicht hat für mehr bei dieser EM. Hansi Flick wird übernehmen und neue Akzente setzen. Aber auch die Bundesliga-klubs müssen ihre Schlüsse ziehen aus der EM: Ist alles so richtig mit der Ausbildung, setzen sie die richtigen Schwerpunk­te? Was machen andere Länder besser? Vielleicht hätte sich Löw da früher mal ein Bild machen sollen, um die Strömungen zu erkennen, das kann man vielleicht anmerken.

Wir müssen wieder dahin kommen, dass die Teams nicht nur auf die Fehler anderer warten, sondern selbst Dinge kreieren, genau das fehlte gegen die Engländer: der Mut, öfter in Eins-gegen-eins-situatione­n zu gehen, reinzuzieh­en in den Strafraum, um den Gegner in Unruhe zu versetzen. Es gab zu wenige Szenen, in denen es so war.

Mein Em-favorit ist jetzt Italien. Diese Mannschaft hat mich begeistert, weil sie in allen vier Spielen tollen Fußball gespielt hat und nicht wie frühere italienisc­he Teams nach dem 1:0 auf Catenaccio umgestellt hat. Aber: Die Kunst ist, die Qualität im Turnierver­lauf hoch zu halten. Das hat die deutsche Nationalma­nnschaft nicht geschafft. Darum ist für sie die EM nun vorbei. Und damit die Ära Löw. Ich hätte mir für ihn eine schöneres Ende gewünscht.

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