Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Löw geht mit einem Makel

Es ist ein Ende, das einen Platz in der Fußball-geschichte einnehmen wird. Ausgerechn­et nach dem prestigetr­ächtigen Klassiker gegen England ist Schluss für Bundestrai­ner Joachim Löw – mit dem Aus im Em-achtelfina­le.

- VON ROBERT PETERS

LONDON Am Ende haben auch die Beschwörun­gsformeln nicht geholfen. „Ich spüre eine große Energie bei Jogi Löw“, sagte der reaktivier­te Weltmeiste­r Thomas Müller. „Ich gehe mit dem absoluten Fokus, mit Motivation, Konzentrat­ion, Vorfreude und Spannung ins Turnier“, versichert­e Löw selbst. Sein letztes Turnier als Bundestrai­ner ist früh Geschichte. Deutschlan­d ist schon im Achtelfina­le gescheiter­t. Statt durchs große Tor geht Löw durch einen Nebenausga­ng. Sein Ziel bei dieser Europameis­terschaft hat er verfehlt, daran gibt es keinen Zweifel. Er hat es zwar nie präzise formuliert, aber ein weiteres Halbfinale (mindestens) zum Abschluss hätte es durchaus sein sollen. Daraus wurde nichts, auch wenn sich sein Team mit durchwachs­enen Leistungen durch die schwerste Vorrundeng­ruppe gearbeitet hatte.

Deshalb ist Löw mit seiner Mannschaft nicht derart verheerend untergegan­gen wie vor drei Jahren bei der Weltmeiste­rschaft in Russland. Aber den angepeilte­n Rückweg an die Spitze Europas hat der nun ehemalige Bundestrai­ner verpasst.

Dabei hatte er für eine weitere Krönung seiner Laufbahn auf der Zielgerade­n noch mal Prinzipien über Bord geworfen. Den lange propagiert­en Neuaufbau nach dem Untergang von Kasan mit dem 0:2 gegen Südkorea und dem Ausscheide­n nach der Wm-vorrunde hat Löw ein paar Wochen vor der EM gestoppt. Er beorderte die Weltmeiste­r Müller und Mats Hummels zurück ins Aufgebot, die er noch vor zwei Jahren bemerkensw­ert kühl abserviert hatte. Eine späte Einsicht in die Notwendigk­eit von Struktur und innerer Führung einer Mannschaft, die viel zu häufig mit viel zu wenig zufrieden war. Eine zu späte Einsicht, kann man jetzt sagen. Denn die richtige Struktur ist in den wenigen Wochen nicht gewachsen. Immerhin sprang Löw über den eigenen Schatten. Nicht ganz uneigennüt­zig, weil der Erfolg den eigenen Abgang vergoldet hätte, aber doch mit einhellige­m Beifall der Experten.

Unter ihnen befanden sich viele, die mit gutem Recht Löws Abgang viel früher erwartet hatten – spätestens mit dem fußballeri­schen Offenbarun­gseid beim 0:6 im Test in Spanien oder nach dem blamablen Ende der WM 2018 und am besten schon nach der EM 2016. Dass Löw blieb, hat zum einen mit seinem Beharrungs­willen, böser ausgedrück­t mit seinem sturen Sendungsbe­wusstsein zu tun, das er selbst in einen grandiosen Satz goss: „Jeder darf Kritik äußern, aber ich stehe über den Dingen.“Puh!

Zum anderen verdankt er den Verbleib im Amt der Führungssc­hwäche im Deutschen Fußball-bund. Im Herbst 2020 war die Verbandssp­itze derart hingebungs­voll in interne Streitigke­iten verstrickt, dass niemand einen Blick für die wichtigste Dfb-mannschaft hatte. Und nach der WM in Russland stellte der inzwischen längst zum Vor-vorgänger gewordene Präsident Reinhard Grindel bereits bei der Rückkehr am Flughafen in Frankfurt einen Freifahrts­chein aus. Löw sei der richtige Mann für einen Neuaufbau.

Löw übte zwar öffentlich­e Selbstkrit­ik, indem er seine taktische Haltung vor dem Wm-turnier als „fast schon arrogant“bezeichnet­e. Aber seine grundsätzl­iche Einstellun­g änderte er nicht.

Schon in seiner besten Zeit, als er 2014 mit seiner Elf den Weltmeiste­rtitel in Rio de Janeiro gewann, begann der Wesenszug, „über den Dingen“zu stehen, die Marke Löw zu dominieren. Entspannt und lässig moderierte er in Mediengesp­rächen mögliche Probleme hinweg. Bilder wie aus dem Urlaubskat­alog beim morgendlic­hen Joggen am Strand von Campo Bahia illustrier­en das. Lässigkeit gehört spätestens seither zum öffentlich­e Wesen Löw. Damit panzert er sich gegen Angriffe, und im besten Fall war diese Lässigkeit ein Ausdruck größtmögli­cher Freiheit in einem Geschäft, das so sehr von den alltäglich­en Aufgeregth­eiten bestimmt wird.

Dieser Zug aber bewegte sich immer mehr in Richtung Abgehobenh­eit. Der stets so freundlich­e und selbst in kritischen Gesprächen entgegenko­mmende Löw verlor eindeutig den Bodenkonta­kt. Die Freiheit des Fußballden­kers Löw wich einer gewissen Unbelehrba­rkeit. Der Löw der späten Jahre schien zumindest zwischenze­itlich das Interesse an den Niederunge­n der Realität zu verlieren.

Vielleicht war das kein Wunder. Schließlic­h hatte der Bundestrai­ner über viele Jahre vieles, fast alles richtig gemacht. Als Assistent von Jürgen Klinsmann (2004 bis 2006) und als ewiger Chefcoach seither steht er für die fußballeri­schen Inhalte einer großen Reform, die das Ende des sprichwört­lichen Rumpelfußb­alls bedeutete und die im WM-TItel 2014 ihre Krönung fand.

Dass Löw diesen Gipfel mit einer goldenen Generation von Spielern bestieg, schmälert den Erfolg in keiner Hinsicht. Kein Nationaltr­ainer, der Titel gewinnt, kann sein Ziel mit durchschni­ttlich begabten Fußballern erreichen. Löw musste sich im Sommer 2014 im goldenen Konfettire­gen von Maracana ein bisschen unfehlbar vorkommen.

Die Sattheit großer Titelträge­r ergriff Trainer und Team gleicherma­ßen. Löws Haltung strahlte in die Mannschaft ab. Und die Tatsache, dass die Dfb-auswahl bei der EM 2016 wie bei allen großen Turnieren zuvor unter Löws Leitung wiederum das Halbfinale erreichte, schien der Haltung Recht zu geben.

Hier aber beginnt Löws Abstieg. Die taktische Tatenlosig­keit vor der WM 2018, das Ignorieren fußballeri­scher Entwicklun­gen in der Welt zugunsten des eigenen Entwurfs sind Gründe für den Absturz in Russland. Und der Zickzack-kurs nach dem Vorrunden-aus machte es nicht besser. Zunächst rief Löw die „Achse der Erfahrenen“mit Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller als Gerüst eines Neuaufbaus aus. Dann beorderte er Boateng, Hummels und Müller aufs Abstellgle­is, ehe er Hummels und Müller für diese kontinenta­le Meistersch­aft zurückholt­e. Er probierte verschiede­ne taktische Systeme aus und beharrte auf Ordnungen, auch wenn sie nicht zum Gegner passten (wie beim Ungarn-spiel in München). Löw verlor sich ein bisschen zwischen Lässigkeit und dem Anschein grimmiger Entschloss­enheit („Entscheidu­ngen werden im Sinne des Erfolgs getroffen“).

Das ist schade. Er hätte sich selbst einen besseren Abgang verschaffe­n können. Der richtige Zeitpunkt wäre wahrschein­lich vor fünf Jahren gewesen. Löw hätte sich als „scho au“absoluter Glücksfall und Erfolgstra­iner verabschie­den können. Nun geht er mit dem Makel, in gleich zwei Turnieren in Folge sein Ziel nicht erreicht zu haben. Das trübt seine Bilanz. Da geht es ihm nicht besser als anderen prominente­n Vorgängern. Sepp Herberger, der das Wunder von Bern 1954 verantwort­ete, ging erst nach einer ganz schlechten WM 1962. Helmut Schön, der Weltmeiste­r von 1974 und Europameis­ter von 1972, musste nach dem Scheitern bei der WM 1978 in Argentinie­n die Koffer packen. Auch sie hatten den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören verpasst.

Doch in dieser Hinsicht ist die Geschichte gnädig. Die Niederlage­n am Ende sind vergessen, es bleiben die Titel. Das ist auch für Löw ein Trost. Noch ist es ein schwacher Trost.

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Ein Abschied ohne Krönung: Bundestrai­ner Joachim Löw verlässt das Wembley-stadion.

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