Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Land macht Corona-software zur Pflicht

Die Vernetzung der 53 Gesundheit­sämter in Nordrhein-westfalen mit dem System Sormas ging kaum voran. Jetzt setzt Schwarz-gelb auf Konfrontat­ion statt Kooperatio­n – und überrumpel­t damit Städte und Kreise.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK UND FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Die Landesregi­erung geht auf Konfrontat­ionskurs zu Kommunen und Kreisen. Am Dienstag einigte sich das Kabinett darauf, die Einführung der Software Sormas in den Gesundheit­sämtern anzuordnen. „Das Wirtschaft­s- und Digitalmin­isterium und das Gesundheit­sministeri­um fordern die Kommunen auf, den elektronis­chen Datenausta­usch zwischen den Gesundheit­sämtern bis zum 30. September 2021 flächendec­kend sicherzust­ellen“, teilte ein Sprecher des Wirtschaft­sministeri­ums mit.

Bund und Länder hatten eigentlich schon Mitte Januar die flächendec­kende Einführung des vom Helmholtz-zentrum für Infektions­forschung entwickelt­en Surveillan­ce Outbreak Response Management and Analysis System (kurz: Sormas) beschlosse­n. Bis Ende Februar, hieß es damals im Beschluss vom 19. Januar, sollte Sormas in allen Gesundheit­sämtern installier­t sein.

Mit dem System können die Gesundheit­sämter über die Stadt- oder Kreisgrenz­en hinaus Daten austausche­n. Sollte sich eine Person beispielsw­eise in Stadt A beim Treffen mit Freunden infiziert haben, jedoch in Stadt B leben und in Stadt C arbeiten, würden künftig alle Gesundheit­sämter – anders als derzeit – automatisc­h davon erfahren.

Doch viele Kommunen und Kreise wehren sich – unter anderem weil sie bereits eigene Software im Einsatz haben, die aus ihrer Sicht teilweise sogar Vorteile gegenüber Sormas bietet. Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) hatte daher zwar schon vor Monaten gedroht, die Einführung anzuordnen, am Ende aber auf Kooperatio­n gesetzt. Es sollten Schnittste­llen für die jeweiligen Anwendunge­n zu Sormas programmie­rt werden – was die schnelle Einführung erschwert. Denn auch diese stehen längst nicht für alle Anwendunge­n zur Verfügung. Zuletzt haben nur etwa zehn der 53 Gesundheit­sämter im Land mit Sormas gearbeitet.

„Wir müssen jetzt die Sommermona­te mit geringen Inzidenzen nutzen, um die Digitalisi­erung in den einzelnen Gesundheit­sämtern abzuschlie­ßen“, sagte Pinkwart unserer Redaktion. Den Kommunen bleiben damit nun noch drei Monate Zeit, um entweder eine Schnittste­lle zu Sormas einzuricht­en – oder die eigene Software durch Sormas komplett zu ersetzen.

Städte und Landkreise wurden von der Entscheidu­ng überrumpel­t. Entspreche­nd fällt die Reaktion aus: „Für die Städte ist es wichtig, dass der Umstieg nicht zu Rückschrit­ten führt“, sagte Helmut Dedy, Geschäftsf­ührer des Städtetags Nordrhein-westfalen: „Die Einführung der Software mit der Brechstang­e hilft niemandem und bindet unnötig Ressourcen.“Viele dieser Städte hätten erprobte digitale Systeme, die Kontaktver­folgung auch bei höheren Inzidenzen sicherstel­lten. „Die Programme haben zum Teil sogar Features, über die Sormas leider nicht verfügt“, so Dedy.

Die Landkreise zeigten sich überrascht. „Bislang haben wir keine offizielle Informatio­n vonseiten der Landesregi­erung über eine verpflicht­ende Anordnung zum Einsatz von Sormas“, sagte Martin Klein, Hauptgesch­äftsführer des nordrhein-westfälisc­hen Landkreist­ags, am Mittwochna­chmittag. Vorsorglic­h machte er aber klar: „Sollte die Landesregi­erung die kommunalen Gesundheit­sämter zur Einführung von Sormas verpflicht­en, erwarten wir, dass die Kosten, die den Kommunen dabei entstehen, nach Maßgabe des Konnexität­sprinzips – wer bestellt, bezahlt – vollumfäng­lich ausgeglich­en werden.“

Die Opposition macht hingegen die Landesregi­erung für die schleppend­e Umsetzung bei der Einführung mitverantw­ortlich. „Das ist die bittere Quittung für die Laissezfai­re-politik von Ministerpr­äsident Armin Laschet und Digitalmin­ister Pinkwart“, sagt Matthi Bolte-richter, digitalpol­itischer Sprecher der Grünen im Landtag. In Krisenzeit­en sei entschloss­enes Handeln nötig, das aber habe die Landesregi­erung immer wieder vermissen lassen, wie sich jetzt wieder zeige. „Denn bereits im Kampf gegen die dritte Corona-welle wäre eine bessere digitale Kontaktnac­hverfolgun­g notwendig gewesen. Wenn die Landesregi­erung jetzt endlich handelt, handelt sie wieder zu spät.“Das Land schiebe die Verantwort­ung zu oft auf andere ab – diesmal auf die Kommunen.

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