Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Die Lehre im Handwerk ist krisensicher“
PRÄSENTIERT VON ALTANA (FOLGE 3) Holger Benninghoff, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Wesel, über die Vorzüge der Branche in der Pandemie.
Wer Redewendungen wie „Man soll aufhören, wenn’s am schönsten ist“, oder „Jeder ist seines Glückes Schmied“einmal kritisch auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft stellt fest, dass nicht viel dran ist an den Volksweisheiten. Doch es gibt sicher auch Ausnahmen. Gehört der Spruch „Handwerk hat goldenen Boden“Ihrer Meinung nach dazu, Herr Benninghoff?
HOLGER BENNINGHOFF Mehr denn je. Und das meine ich wirklich so. Zumal die Zukunftsperspektiven wirklich gut sind. Es gibt einen hohen Auftragsbestand. Leider haben viele Betriebe zu wenig Mitarbeiter, wir haben die oft beklagte Fachkräftelücke. Nicht zuletzt, weil die Tendenz zu einem höheren Schulabschluss und zur Aufnahme eines Studiums anhält. Das macht uns das Leben schwer, junge Leute in die Betriebe zu holen, weil sich viele zu etwas höherem berufen fühlen. Ich kann nur aus Erfahrung sprechen und sagen, dass wir mehr Indianer brauchen und weniger Häuptlinge. Daran krankt unsere Wirtschaft generell.
Sie selbst haben eine Ausbildung im Handwerk gemacht. Warum sind Sie dann Jurist geworden und nicht Schreinermeister? BENNINGHOFF Das hat vielfältige Gründe und natürlich auch etwas mit meiner persönlichen Entwicklung zu tun. Ich wollte mir selbst noch eine andere Seite zeigen. Immerhin habe ich meine Gesellenprüfung erfolgreich abgeschlossen, nach der Ausbildung noch das Abitur nachgeholt und anschließend Jura studiert.
Warum ist es so schwer, junge Leute davon zu überzeugen, eine Lehre im Handwerk zu machen? Man kann doch gutes Geld verdienen. Und die Jobs sind sicher. BENNINGHOFF Das sind sie tatsächlich. Sicher, krisenfest und systemrelevant, wie jeder spätestens jetzt im Lockdown gemerkt hat. Wahrscheinlich hat das auch mit den Werdegängen der Schulfreunde und der Bekannten zu tun. In vielen Familien existieren mittlerweile nicht mehr unbedingt Vorbilder, die Karriere im Handwerk gemacht haben. Auch die Elterngeneration heute hat vielfach schon studiert. Da ist der Weg ein Stück weit vorgezeichnet. Früher war es in den Familien so, dass immer jemand im Handwerk gearbeitet hat. Das Handwerk war immer um uns herum, der Handwerker Teil des Lebens. Denn der Kleinhandwerker lebte in der Straße. Heute heißt es, dass die Betriebe zu laut sind. Sie sind auch aus dem Stadtbild verschwunden und in die Gewerbegebiete abgewandert. Das Handwerk war präsenter. Man ging früher morgens um 6 Uhr in die Backstube, um Brötchen zu holen. Wo gibt es das heute noch?
Das Handwerk ist für junge Leute nicht wirklich cool, auch wenn es immer digitaler wird.
Das Handwerk hat offensichtlich ein Imageproblem. Was könnte man da ändern?
BENNINGHOFF Ein schwieriges Thema. Da fällt mir ein Beispiel ein: Ich habe jüngst im Radio einen Bericht gehört, dass auch Sportverbände das Problem haben, Nachwuchs zu generieren. 1995 gab es mal ein Manga, einen japanischen Comic, zum Thema Volleyball. Das hat dazu geführt, dass mehr junge Mädchen in die Volleyballvereine gegangen sind und 20 Jahre später große internationale Erfolge gefeiert werden konnten. Etwas ähnliches müsste man auch im Handwerk machen.
Gab es da nicht mal ein Projekt, bei dem junge Lehrlinge in Schulen ge
gangen sind und aus ihrem Alltag berichtet haben?
BENNINGHOFF Ja, die Ausbildungsbotschafter. Die haben uns immer gut geholfen. Wenn junge Menschen junge Menschen ansprechen, ist das ein guter Weg. Leider ist das Programm von der Landesregierung eingestellt worden – was wir sehr bedauern.
Könnte durch eine bessere Ausbildungsvergütung ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden? BENNINGHOFF Ich glaube, an der Bezahlung liegt es nicht. Während der Ausbildung gibt es eine Entschädigung, die je nach Branche bei etwa 600 Euro als Untergrenze im ersten Lehrjahr liegt. Finde ich nicht so schlecht.
Welche Ausbildungsberufe sind im Handwerk besonders beliebt? BENNINGHOFF Das verschiebt sich etwas. Es gibt einen Rückgang bei den Friseuren, was auch mit der Marktsituation zu tun hat. Heute sind junge Frauen auch verstärkt in männerdominierten Berufen zu finden. Zum Beispiel im Kfz-handwerk, bei den Dachdeckern, den Zimmerern und im Bereich Heizung, Sanitär, Klima. Bei den Jungs sind nach wie vor das Kfz-handwerk und die technischen Berufe beliebt.
Als es in den 60er Jahren zu wenige Arbeitskräfte gab, wurden Gastarbeiter angeworben. Mittlerweile gibt es zahlreiche Flüchtlinge in Deutschland. Könnten diese beziehungsweise deren Kinder helfen, das Problem zu lösen? BENNINGHOFF Bei der ersten Flüchtlingswelle der Syrer haben viele über spezielle Programme ins Handwerk gefunden. Da waren viele tolle Handwerker dabei, aber sie hatten verständlicherweise große Probleme mit der deutschen Sprache. Die Theorie in den Berufsschulen ist das große Problem. Die zweite Generation, die hier aufwächst und zur Schule geht, dürfte damit keine Probleme mehr haben. Und schon jetzt kümmert sich der eine oder andere Betrieb rührend um diese Menschen. Zum Beispiel hat ein Metallbauer in Xanten den besten Lehrling ausgebildet – einen Flüchtling. Als Betrieb muss man dranbleiben und sich kümmern. Dann kann es auch klappen. Alle an der Ausbildung Beteiligten müssen eine Schüppe drauflegen. Ich glaube, es kommt auf die Mischung an. Und ich glaube auch, dass es für die jungen Leute einfacher wird. Generell kann man sagen, dass jeder, der eine Ausbildung im Handwerk abschließt, immer einen sicheren Job haben wird. Und es gibt im Handwerk Aufstiegsmöglichkeiten noch und nöcher und gute Chancen. Und was auch noch fürs Handwerk spricht ist die Tatsache, dass wir während der gesamten Corona-krise durcharbeiten konnten. Wir brauchen die Fachleute im Bereich Elektro und Sanitär, damit es in den Haushalten weiterläuft. Ohne Bäcker gibt es keine Brötchen, ohne Metzger keine Wurst und kein Fleisch und ohne Friseure keinen Haarschnitt. Der Lockdown hat bewiesen, dass das Handwerk unverzichtbar ist – auch und vor allem in Krisenzeiten.