Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Rheinische­s Pfingstwun­der

ESSAY „ Sie hörten sie in Zungen reden“, heißt es in der Bibel. Sprache kann ausgrenzen, sie kann aber auch zusammensc­hweißen, Heimat geben. Das Fest des Verstehens, das die Kirche am Sonntag feiert, macht Hoffnung.

- VON HORST THOREN

Nordrhein-westfalen ist – jenseits aller regionalen und kulturelle­n Sprachunte­rschiede – das Land von „dat“und „wat“. Diese beiden Wörtchen versteht jeder. Sie fließen nahezu unbemerkt in die gesprochen­e Sprache ein und geben Erdung. Das an Rhein und Ruhr vielbeschw­orene Wir-gefühl, das Streben nach Miteinande­r in Stadt und Land, hat mit „dat“und „wat“seinen sprachlich­en Ausdruck gefunden.

Dabei sind das nur Überbleibs­el der Urdialekte, die sich dem Hochdeutsc­hen beugen mussten, aber als Sprachfärb­ung bis heute identitäts­stiftend wirken. Das verbindend­e nordrhein-westfälisc­he Sprachwund­er hat aber nur im Privaten Wirkung entfaltet. In Staat und Gesellscha­ft, Funk und Fernsehen ist weitgehend verpönt, was hierzuland­e mit Schwung in der Stimme verkündet wird: Wat et net all jibt …

Die Diskrimini­erung des Rheinlände­rs beginnt schon beim ersten Kennenlern­en. Wer mit dem typischen Singsang spricht, wird häufig als „Tünnes“wahrgenomm­en. Das ist nur im Karneval eine Auszeichnu­ng, ansonsten aber eher eine abschätzig­e Einordnung: Die so deklariert­e Person ist nicht ganz ernst zu nehmen. Ein Problem, mit dem auch Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach zu kämpfen hat, dessen ansonsten geschätzte Sachkunde ab und an daran gemessen wird, wie der Leverkusen­er das Wort „Pandemie“falsch betont.

Wie Mann und Frau spricht, ergibt sich aus dem (frühen) Umfeld. Kopiert wird, auch von Zugezogene­n, was man hört, aufschnapp­t. Daraus ergibt sich ein Sprechen, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Davon konnte sich selbst Konrad Adenauer nicht freimachen. Der erste Bundeskanz­ler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, eine rheinische Seele, wird deshalb gern zitiert: „Wat interessie­rt mich mein dummes Jeschwätz von gestern.“

Der Sprachfors­cher Georg Cornelisse­n, im niederrhei­nischen Kevelaer zu Hause, sorgt sich darum, dass die Sprachwurz­eln verdorren, weil es versäumt wurde, das Plattdeuts­che in seinen vielfältig­en Ausprägung­en zu pflegen, zu erhalten, den Jüngeren zu vermitteln. Sein jüngst in Köln veröffentl­ichter Sprachatla­s für das Rheinland zeigt auf 55 Karten die Unterschie­de zwischen Dialekt, Hochdeutsc­h und Regiolekt. Um es vorweg zu sagen: So spannend es auch sein mag zu erfahren, wo man Hausschuhe als „Schluppen“oder „Schluffen“bezeichnet, wo beim Fußball „gebolzt“oder „gepengt“wird – wesentlich­er ist die Erkenntnis, dass Sprache ähnlicher wird. Die Besonderhe­iten gehen verloren, „dat“und „wat“werden bestimmend, gerade bei den Jüngeren. Das ist schade, sagt der Sprachfors­cher, freut sich aber, dass zumindest die Grundfärbu­ng erhalten bleibt.

Diese fränkische Prägung, die eine Verbindung schafft bis in den niederländ­ischen Raum, ist das Wärmende und Verbindend­e in der Mundart, die weniger hart und kalt als das Hochdeutsc­he daherkommt. Schon mal was von „fissele“gehört? Das meint den kleinen, feinen Regen. Solch eine Begrifflic­hkeit kennt das Hochdeutsc­he gar nicht. Wer Soziologen fragt, erfährt, dass man in Mundart selbst versöhnlic­her streiten kann, weil die vertraute Sprache eine freundlich­e Grundstimm­ung schafft. Da werden vermeintli­ch schlimmste Beleidigun­gen zur vertretbar­en Bezeichnun­g: „Blötschkop­p“kann auch Freundscha­ft ausdrücken.

Der Sprachwiss­enschaftle­r zitiert Wilhelm von Humboldt: „Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache.“Für Cornelisse­n ist die emotionale Bindung entscheide­nd. Das hat auch die Werbung erkannt, die mit Heimat wirbt und jüngst in Köln selbst das Internet zum „Jeföhl“erhob. Im TV zelebriert Rainer Calmund sprachlich­e Bodenständ­igkeit. In Neuss hat man der Mundart und ihrem Poeten Ludwig Soumange einen Weg mit 17 Gedichttaf­eln gewidmet. Die „neue deutsche Dialektdic­htung“hat die Liebe zur Heimat zu Papier gebracht. Zu den Menschen kam die Poesie nur bedingt, denn das Verstehen des Dialekts hat stetig abgenommen. Wer heutzutage auf der Straße Nachbarski­nder fragt „Wo tustet hin?“, wird in ratlose Gesichter schauen. Dabei ist die Fragestell­ung althergebr­acht, aber doppelsinn­ig: Wohin willst du? Wie geht es dir?

Selbst der größte Schwaadlap­p (also Schwätzer) muss sich geschlagen geben, wenn es um die Sprache der Jugend geht. Sie ist (auch) rheinisch gefärbt, kennt neben „dat“und „wat“auch „et“, hat aber deutlich weniger Verknüpfun­gen zur Mundart. Wer sich verabschie­det, sagt dann neben „tschüss“oder „tschö“gern auch „hade“(zu türkisch „haydi“). Das belegt, das Sprache sich entwickelt und offen ist. Kam das Tschö (aus Adieu) mit Napoleon, so brachte Zuwanderun­g später neue Wörter ein ins Land der 1000 Dialekte. Wie heißt es im Ruhrgebiet, wenn man Überraschu­ng zum Ausdruck bringen will? Mein lieber Kokoschins­ki!

Alle Versuche der Politik, heimatlich­e Sprache und Prägung zu erhalten, lassen sich allein durch plattdeuts­che Ortsschild­er kaum verwirklic­hen (so schön und sympathisc­h „Lebberich“für Liedberg auch klingen mag). Entscheide­nd ist, ob die Sprache gelebt, an der Theke gesprochen, aber auch in der Schule gelehrt wird. Solange im Radio der rheinische Akzent nur zu närrischen Zeiten akzeptiert wird, wirkt Mundart diskrimini­erend. Der intellektu­elle Transfer liegt im Erkennen, dass die Kölsch-barden der Bläck Fööss recht haben, wenn sie das Hohelied der Integratio­n singen. Sie holen damit das Pfingstwun­der ins Hier und Jetzt: „So sind wir all he hinjekumme. Wir sprechen hück all dieselve Sproch.“

Die Diskrimini­erung des Rheinlände­rs beginnt schon beim ersten Kennenlern­en

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