Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Autofahrerin ist wieder frei
Ludschain al-hathlul war für das weibliche Recht auf Führerscheine in Saudi-arabien eingetreten. Das brachte ihr Gefängnis ein – mehrere Jahre lang. Beobachter sehen ihre Freilassung als außenpolitisches Signal des Regimes.
RIAD Ludschain al-hathlul geht der Regierung im islamisch-konservativen Saudi-arabien schon seit Langem auf die Nerven. Im Jahr 2014 setzte sich die damals 24-jährige Frau ins Auto und versuchte, von den Vereinigten Arabischen Emiraten über die Grenze in ihr Heimatland zu fahren – und wurde prompt festgenommen, weil Frauen in Saudi-arabien damals noch nicht Auto fahren durften. Vor drei Jahren kam sie wieder ins Gefängnis, diesmal wegen des Vorwurfs staatsfeindlicher Aktivitäten. In der Haft wurde sie nach eigenen Angaben geschlagen, mit Elektroschocks gefoltert und sexuell missbraucht.
Jetzt wurde Hathlul überraschend freigelassen – offenbar ein Versuch der saudischen Führung, die neue amerikanische Regierung zu beeindrucken. Menschenrechtler begrüßen die Entlassung, fürchten aber, dass Hathlul und andere Kritiker des Regimes ebenso leicht wieder festgenommen werden könnten.
Hathluls Geschwister im westlichen Exil meldeten die Freilassung der Menschenrechtsaktivistin. Demnach hatte ein Gericht wegen der bereits abgesessenen Haftzeit auf den Rest der fast sechsjährigen Strafe verzichtet. Allerdings darf Hathlul das Land nicht verlassen, zudem ist ihre Strafe nur auf Bewährung aufgehoben. Hathlul war 2018 kurz vor der Zulassung von Führerscheinen für Frauen ins Gefängnis gekommen: Kronprinz Mohammed bin Salman, genannt MBS, wollte als De-facto-herrscher des Königreichs klarstellen, dass gesellschaftliche Öffnungen allein von ihm angeordnet und nicht von der Zivilgesellschaft durchgesetzt werden.
Frauenrechtlerinnen wie Hathlul protestieren seit Jahren auch gegen das Vormundsystem, das saudische Frauen in vielen Lebensbereichen von ihren Männern, Vätern und in manchen Fällen auch Söhnen abhängig und zu Bürgern zweiter Klasse macht. Per Dekret hatte die Monarchie im vergangenen Jahr das Vormundsystem gelockert. Frauen dürfen seitdem ohne Zustimmung eines männlichen Vormunds einen Pass beantragen und allein reisen. Allerdings wurde das Vormundsystem nicht völlig abgeschafft. Zudem sitzen viele saudische Menschenrechtler weiter im Gefängnis.
Dennoch begrüßte Us-präsident Joe Biden die Haftentlassung Hathluls als richtige Entscheidung.
Biden hat angekündigt, das Thema Menschenrechte wieder mehr in den Mittelpunkt der amerikanisch-saudischen Beziehungen zu stellen. Unter Bidens Vorgänger Donald Trump hatte Mohammed bin Salman bei der Verfolgung von Regimekritikern freie Hand und war selbst nach dem Mord an dem Dissidenten Jamal Khashoggi von Us-sanktionen verschont geblieben. Dagegen will Biden der saudischen Regierung keinen „Blankoscheck“mehr für Menschenrechtsverletzungen ausstellen.
Hathluls Entlassung ist eine von mehreren Gesten, mit denen „MBS“der amerikanischen Kritik den Wind aus den Segeln nehmen will. Seine Regierung hat den langjährigen Streit mit dem arabischen Nachbarn Katar beigelegt und spricht mit Bidens Regierung über Wege zur Beendigung des Krieges im Jemen. Kurz vor Hathluls Entlassung waren schon zwei saudisch-amerikanische Doppelstaatler aus saudischer Haft freigekommen. Die Vereinigten Staaten sind für Saudi-arabien als politischer und militärischer Partner unersetzlich. „MBS“ist deshalb auf ein gutes Verhältnis zu der Biden-regierung angewiesen, auch wenn er nicht auf eine enge Zusammenarbeit mit den USA wie unter Trump rechnen kann.
Wie lange die saudische Rücksichtnahme auf Biden hält, muss sich noch herausstellen. Menschenrechtler sind skeptisch. Hathlul könne ins Gefängnis zurückgebracht werden, wenn sie nicht zu den Zuständen in Saudi-arabien schweige, erklärte Human Rights Watch. Sarah Leah Whitson, Chefin der von Khashoggi gegründeten Menschenrechtsorganisation Dawn, schrieb auf Twitter, die Freilassung sei ebenso ein Akt der Willkür, wie es ihre Festnahme gewesen sei. Der britische Aktivist Daniel Wickham rief den Westen auf, die Entlassung nicht zu einem „Pr-sieg“für das Regime werden zu lassen.