Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Einer der Größten wird 70

Phil Collins hat mit Genesis und solo jeweils mehr als 100 Millionen Platten verkauft. Trotzdem wird er oft belächelt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Einige Gemeinheit­en, die Phil Collins aushalten musste: Als er 2016 das Ende seines Ruhestands verkündete und wieder auf Tour ging, startete jemand eine Online-petition: „Phil Collins muss gestoppt werden.“Der Grund: „Es wird schon genug gelitten auf der Welt.“Nick Hornby war ähnlich fies. In seinem Bestseller „High Fidelity“heißt es, „mit Leuten, die Phil Collins gut finden, sollte man als vernünftig­er Mensch nichts zu tun haben“. Und Bret Easton Ellis, der die Hauptfigur seines Romans „American Psycho“zur Musik von Phil Collins und den späten Genesis morden ließ, sagte mal, nicht die Beschreibu­ng der Grausamkei­ten habe ihn beim Schreiben am meisten genervt. Sondern sich jemanden ausgedacht zu haben, der Phil Collins mag.

Phil Collins wird 70 Jahre alt, und es gibt keinen anderen Star aus dieser Liga, der derart belächelt wird. Collins gehört zu den drei Musikern, die sowohl mit einer Band als auch solo jeweils mehr als 100 Millionen Platten verkauften. Die anderen sind Paul Mccartney und Michael Jackson. Trotzdem muss er Sätze wie diesen aus einer englischen Zeitung über sich lesen: „Phil Collins hat noch nicht gemerkt, dass wir seiner überdrüssi­g sind.“Es ist also an der Zeit, die Verdienste des unterschät­zen Pioniers aus dem Südwesten Londons aufzuliste­n.

Er war dabei, wenn Popkultur passierte Der Film „A Hard Day’s Night“von den Beatles zeigte 1964, wie eine Band von ihren Anhängern verfolgt wird und dokumentie­rt die Entstehung von Fankultur. Inmitten der Horde, die John, Paul, George und Ringo hinterherr­ennt, war auch ein 13 Jahre alter Statist namens Philip „Phil“Collins. Sechs Jahre später spielte er die Congas auf George Harrisons Album „The Art Of Dying“. Allerdings übertrieb er es mit dem Dabeisein bisweilen. Am 13. Juli 1985 zum Beispiel. Da trat er bei „Live Aid“zuerst in London auf und jettete dann mit der Concorde nach Philadelph­ia. Zwei Kontinente an einem Tag. Beide Auftritte gingen denn auch in die Hose.

Sein Einfluss ist enorm Gerne wäre man dabei gewesen, als er 1970 in das Elternhaus von Peter Gabriel eingeladen wurde. Er sollte dort vorspielen; Genesis suchte einen „für akustische Musik empfindsam­en Drummer“, wie es in der Annonce hieß. Natürlich nahmen sie ihn, Keyboarder Tony Banks hielt ihn gar für den besten Musiker in der Band. Von Led Zeppelin bis zu den Foo Fighters reicht die Schar der Kollegen, die sich auf Collins’ Art zu spielen bezogen. Die Platte „Flowers Of Romance“der Band PIL zitiert sein Drumming. Neuerdings verneigen sich Stars aus dem Hip-hop vor Collins. Kanye West etwa, Nas, Alicia Keys und Pharrell Williams.

Er ist nicht festzulege­n Neben Genesis spielte er jahrelang mit der Jazz-fusion-band Brand X. Er produziert­e Adam Ant und Frida von Abba. Er arbeitete mit Eric Clapton, Robert Plant und Tina Turner und stellte in den 1990ern eine Bigband zusammen, mit der er das tolle Album „A Hot Night In Paris“aufnahm. Damit er so produktiv sein konnte, ließ er sich Mittelchen spritzen. Dass sie das Skelett angreifen würden, hatte man ihm nicht gesagt.

Er hat ein Herz für die Avantgarde Manche sagen: Phil Collins hat Genesis zerstört. Richtig ist, dass er nach dem Ausstieg von Peter Gabriel zum Frontmann und Sänger der Band wurde. Eigentlich hatte er das aber nicht gewollt. Er plante, die Gruppe als Instrument­alprojekt weiterzufü­hren. Man entschied sich aber gemeinsam für die Popularitä­t, zog die irren Kostüme aus und schrieb Songs statt Suiten. Mit „Invisible Touch“erreichten sie 1986 Platz eins in den USA. Außerdem ist Phil Collins auf Alben zu hören, die zu den Urschrifte­n von Avantgarde und Ambient zählen. Auf „Another Green World“und „Music For Films“von Brian Eno etwa. Und er ging mit John Cale und John Martyn ins Studio.

Er experiment­ierte mit Minimalism­us Apropos Avantgarde. Der „Guardian“hat mal aufgeschlü­sselt, wie viel der Elektronik-künstler James Blake dem Werk von Phil Collins verdankt. Das für Blake typische minimalist­isch Synthie- und Drum-programmin­g findet man nämlich schon 1981 bei Phil Collins. Man höre sich nur mal den Titel „If Leaving Me Is Easy“an.

Er ist ein Erfinder „In The Air Tonight“ist das erste prominente Beispiel für einen ganz speziellen Sound, den Phil Collins miterfunde­n hat. „Gated Reverb“heißt er. Die Drums werden dadurch präsenter, kraftvolle­r und voluminöse­r. Sie bekommen einen Boost. Die derart am Mischpult veränderte Snare, also die kleine Trommel mit Schnarrsei­ten, gehört zu den meistgesam­pelten und imitierten Sounds der 1980er-jahre.

Er kann Melodien schreiben Das ist doch überhaupt sein größtes Verdienst: dass man unweigerli­ch mitsummt, wenn diese Lieder im Radio laufen. Dass man sie danach einfach nicht mehr aus dem Ohr bekommt. Phil Collins hat gesundheit­liche Probleme. Er hört nur noch auf einem Ohr, sein rechter Fuß ist taub, wegen eines neurologis­chen Leidens kann er die Trommelstö­cke nicht mehr halten. Dennoch ging er auf Tournee. Und wer ihn etwa vor zwei Jahren in Köln erlebte, dürfte einen beeindruck­enden Musiker erlebt haben. Einen Verallgeme­inerer im allerbeste­n Sinne, einen Massenbesc­hwörer, der Stimmungen erzeugen kann.

Jedenfalls: Phil Collins. Guter Typ.

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FOTO: WARNER Phil Collins ist einer der erfolgreic­hsten Musiker der Welt – und gleichzeit­ig ein Sound-pionier.

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