Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Homöopathi­e als Kassenleis­tung in der Kritik

Viele Krankenkas­sen zahlen als zusätzlich­e Leistung auch Homöopathi­e. Ein Marketing-gag, sagen die Kritiker. Frankreich verbietet das.

- VON JAN DREBES UND EVA QUADBECK

BERLIN Die Entscheidu­ng Frankreich­s, wonach homöopathi­sche Arzneimitt­el ab 2021 nicht mehr von den Krankenkas­sen finanziert werden dürfen, hat auch in Deutschlan­d die Debatte über die Finanzieru­ng der Homöopathi­e neu entfacht.

Homöopathi­sche Therapien und Arzneimitt­el gehören nicht zum offizielle­n Leistungsk­atalog der Krankenkas­sen, werden von ihnen aber vielfach als Zusatzleis­tungen angeboten. Der Vorsitzend­e der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung, Andreas Gassen, kritisiert den Umgang der Kassen mit der Homöopathi­e. „Es gibt keine ausreichen­den wissenscha­ftlichen Belege für die Wirksamkei­t homöopathi­scher Verfahren“, sagte Gassen unserer Redaktion. Vor diesem Hintergrun­d sollten die gesetzlich­en Krankenkas­sen auch grundsätzl­ich keine Leistungen der Alternativ­medizin finanziere­n dürfen, auch nicht als Satzungsle­istung, solange der Nutzen nicht nachgewies­en sei. „Wer homöopathi­sche Mittel haben möchte, soll sie auch bekommen, aber bitte nicht auf Kosten der Solidargem­einschaft“, betonte Gassen. Er forderte die Kassen auf, ihre Finanzmitt­el in die ambulante Versorgung zu leiten, „anstatt vor allem aus Marketingz­wecken Beitragsge­lder für Homöopathi­e auszugeben“.

Die französisc­he Gesundheit­sministeri­n Agnès Buzyn, selbst Medizineri­n, sagte zur Begründung ihrer neuen gesetzlich­en Regelung, dass sich die Experten 800 Studien zum möglichen Nutzen der Homöopathi­e für den Patienten angeschaut hätten. Die Schlussfol­gerung sei gewesen, dass der Zusatznutz­en mit Placebos vergleichb­ar sei.

In Deutschlan­d ist die Homöopathi­e ein lohnendes Geschäft: Nach Angaben des Informatio­nsdienstle­isters Insight Health wurden 2018 mehr als 57 Millionen Packungen zugelassen­er Homöopathi­ka und Anthroposo­phika verkauft. Der Umsatz der Apotheken belief sich auf rund 730 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr 2019 setzt sich das auf hohem Niveau fort. Seit Januar machten die Apotheken mit fast 29 Millionen Packungen einen Umsatz von 375 Millionen Euro.

Das Ministeriu­m von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) zeigt sich von der Wirkung der homöopathi­scher Mittel nicht überzeugt, argumentie­rt in einer auf Anfrage übersandte­n Stellungna­hme dennoch für Leistungen der Krankenkas­sen. Bei der Homöopathi­e handele es sich um „umfassende, zur Behandlung verschiede­nster Erkrankung­en bestimmte therapeuti­sche Konzepte“. Größere Teile der Ärzteschaf­t und weite Bevölkerun­gskreise hätten sie für sich eingenomme­n. Sie folgten einem „von der naturwisse­nschaftlic­h geprägten Schulmediz­in sich abgrenzend­en, weltanscha­ulichen Denkansatz“.

Für Heilung nach Weltanscha­uung hat der Spd-gesundheit­spolitiker, Mediziner und Vize-fraktionsc­hef Karl Lauterbach kein Verständni­s. „Im Sinne der Vernunft und der Aufklärung sowie des Patientens­chutzes ist es auch in Deutschlan­d falsch, dass Kassen aus Marketingg­ründen Homöopathi­e bezahlen“, erklärte Lauterbach kürzlich beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Ähnlich sieht dies die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der Fdp-fraktion, Christine Aschenberg-dugnus. Die Liberalen wollten Homöopathi­e nicht verbieten, betont sie. „Homöopathi­e soll jeder, der sie haben möchte, auch erwerben können, aber auf Selbstzahl­erbasis.“

Die größten deutschen Krankenkas­sen wollten das Vorgehen Frankreich­s auf Anfrage nicht bewerten. Viele Kassen übernehmen die Kosten für Globuli und Co. – sie sehen darin einen Wettbewerb­svorteil. Die finanziell starke Techniker Krankenkas­se beispielsw­eise erstattet pflanzlich­e, homöopathi­sche und anthroposo­phische Medikament­e, sofern sie von einem Arzt verordnet wurden und apothekenp­flichtig, aber nicht verschreib­ungspflich­tig sind. Bis zu 100 Euro für alternativ­e Arzneimitt­el übernimmt die TK pro Versichert­em und Kalenderja­hr.

Bei anderen Kassen etwa aus dem Aok-verband können es auch mehr als 200 Euro sein. Wie ein Tk-sprecher mitteilte, wisse man aus Kundenbefr­agungen, dass Versichert­e sich sogenannte komplement­ärmedizini­sche Angebote wünschten. Die Barmer gab hingegen an, die Kosten für homöopathi­sche Arzneimitt­el grundsätzl­ich nicht zu erstatten – bis auf die vom Gesetzgebe­r vorgegeben­en Ausnahmen in der Arzneimitt­elrichtlin­ie.

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