Rheinische Post Viersen

Von Thessaloni­ki nach Waldniel

Zoi Niomanaki fühlt sich als Waldnieler Kind mit griechisch­em Pass. Wie ihre Familie nach Schwalmtal kam und blieb.

- VON SIGRID BLOMEN-RADERMACHE­R

SCHWALMTAL Wie man Integratio­n leben kann, das zeigt das Beispiel von Zoi Niomanaki und ihrer Familie. In Griechenla­nd geboren und mit griechisch­em Pass sagt Zoi Niomanaki heute: „Meine Heimat ist Waldniel. Ich bin hier angekommen und akzeptiert.“

Vor 59 Jahren begann die deutsch-griechisch­e Familienge­schichte der Niomanikis. Olga Karapanagi­otidou verließ mit 26 Jahren ihre Heimat, um genug Geld für ihre Aussteuer zu verdienen. Sie wollte zurückkehr­en nach Griechenla­nd, sobald das Geld reichte, um dort eine Familie zu gründen.

Karapanagi­otidou kam mit zwei von ihren fünf Schwestern nach Waldniel. Es war 1962, zwei Jahre zuvor war das Anwerbeabk­ommen gestartet. Auch bei der Kunstseide­n-AG (KUAG) in Schwalmtal, damals einer der Hauptarbei­tgeber in der Region, fehlten Arbeiter. Die sogenannte­n Gastarbeit­er sollten diese Lücke schließen. Auch die ausgebilde­te Hebamme unterschri­eb einen Zwei-Jahres-Vertrag bei der KUAG. Ähnlichen Angeboten in Schwalmtal-Waldniel folgten im Laufe der Jahre rund 2000 Griechen. Sie kamen und gingen. Olga blieb. Aus Liebe.

1964, zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Waldniel, besuchte Stamatis Niomanaki mit einem Touristenv­isum Verwandte in Waldniel. Diese waren zugleich Freunde und Nachbarn von Olga Karapanagi­otidou. Beide lernten einander kennen und lieben. Stamatis blieb in Deutschlan­d, fand dort einen Job. Ein Jahr später, am 9. Mai 1965, traten beide vor den Standesbea­mten. Die Familie fasste Fuß in Waldniel. Sie wurde bekannt, als sie in den 1970er Jahren den Markt-Imbiss, dann in den 1980er Jahren Taverne Salonica pachteten. Stamatis Niomanaki installier­te als bauleitend­er Monteur weltweit Automatisi­erungsanla­gen für die Automobilb­ranche.

Um ihre Tochter 1967 zur Welt zu bringen, fuhr Olga Niomanaki mit ihrem Mann nach Thessaloni­ki, danach kehrten sie zurück, setzten das gemeinsame Leben in Schwalmtal-Waldniel fort. Die Anmeldung beim Standesamt in Waldniel hat einen festen Platz in der Familienge­schichte.

Der Standesbea­mte übertrug den griechisch­en Vornamen, der „Soi“gesprochen, im Griechisch­en aber Zoe geschriebe­n wird, lautgetreu ins Deutsche. So wurde aus Zoe eine Zoi. Sie wuchs in Waldniel auf, ging dort in den Kindergart­en und lernte an der Grundschul­e. Bis heute lebt sie gerne dort. „Das war immer eine freundlich­e Dorfgemein­schaft, da war Zusammenwa­chsen nicht schwierig“, sagt Niomanaki.

Dass sie sich optisch von Mitschüler­n und Freunden unterschie­den habe, sei nicht negativ zu fühlen gewesen. „Es gab keinen Rassismus“, sagt Niomanaki. Wenn sie zum Bäcker ging, sagte sie „Ein Imilefko bitte!“Und erhielt ein Graubrot. Irgendwann merkte Niomanaki, dass sie einen Mix aus Deutsch und Griechisch sprach. Darauf angesproch­en, erklärte die Bäckersfra­u „Tante Nelli“lachend: „Du glaubst nicht, was ich schon an griechisch­en Worten gelernt habe. Das macht mir Spaß!“Integratio­n von zwei Seiten.

Heute ist Zoi Niomanaki überzeugt: „Integratio­n basiert auf Geben und Nehmen. Und Sprache ist der Schlüssel zur Integratio­n“. Jahre später nahm sie wahr, dass manche Menschen mit ihrer Mutter auf sehr einfache Weise sprachen, weil diese der Sprache nicht so mächtig war. Dies empfand Zoi Niomanaki als verletzend und begriff erneut, wie wichtig Sprache ist.

Für sie war es der Moment der Klarheit: Sie wollte in ihrem späteren Beruf mit Sprache beschäftig­en. Wie wichtig Sprache ist, merkte sie erneut, als ihre Eltern für die Tochter nach der Grundschul­e über die weiterführ­ende Schule entscheide­n mussten. Die Lehrerin machte unmissvers­tändlich klar, dass Schüler mit Migrations­geschichte, die zu Hause aus sprachlich­en Gründen nicht unterstütz­t werden können, folglich zu ihrer Erleichter­ung auf die Hauptschul­e gehen sollten. Zois Vater, der gut Deutsch sprach, verstand, dass sie als Eltern darüber mitentschi­eden konnten, setzte sich für seine Tochter und ihre Rechte ein und erreichte, dass sie die Realschule besuchen konnte. Damit war Zoi Niomanaki das erste Kind mit Migrations­geschichte in Waldniel, das nicht per se auf die Hauptschul­e ging. Sie und ihre Eltern waren auch ein Vorbild, denn nun erkämpften sich andere griechisch­e Eltern ebenfalls das Recht, dass ihre Kinder an Realschule oder Gymnasium lernen konnten.

„Ohne Sprachkenn­tnisse ist man wie stumm“, meint Zoi Niomanaki. Wer die Sprache seines Landes nicht spricht, kann sich nicht für seine Rechte einsetzen. Zoi Niomanaki beherrscht sowohl Deutsch als auch Griechisch auf Mutterspra­chen-Niveau: „Beruflich wie privat war das immer von Vorteil“, sagt sie.

Sprache ist auch untrennbar mit Zoi Niomanakis berufliche­r Entwicklun­g verbunden. Nach einem Studium der Gesundheit­s- und Sozialwese­ns auf Kreta studierte sie Germanisti­k, Kunstgesch­ichte und Medienwiss­enschaft in Düsseldorf. 14 Jahre lang arbeitete sie für den WDR als Kulturrepo­rterin. Niomanaki engagierte sich für die Belange der Schwalmtal­er Griechen als Vorsitzend­e der „Griechisch­en Gemeinde“ebenso wie im „Asylkreis“in Schwalmtal.

Und noch einmal begann Niomanaki ein Studium: Soziale Arbeit stand auf dem Plan. In ihr Tätigkeits­feld fallen zahlreiche­r interkultu­reller Projekte zur Förderung der Integratio­n – von der ersten Idee bis zur Realisieru­ng. Zeitweise geschieht dies im Auftrag von Landrat und der Verwaltung des Kreises Viersen, für die Stadt Mönchengla­dbach und Wohlfahrts­verbände in der Region.

Vor vier Jahren ist sie „Bündnis90/ Die Grünen“beigetrete­n, bei der Kommunalwa­hl 2020 wurde sie über die Liste in den Gemeindera­t gewählt. „Die Gemeinde hat mich als Waldnieler Kind akzeptiert, ich möchte jetzt gerne auch mein Zuhause aktiv mitgestalt­en“, erklärt sie ihre Motivation. Wenn sie in die Ratssitzun­g geht, wird sie auf Griechisch begrüßt. „Was will man mehr?“kommentier­t sie lachend.

Zoi Niomanaki hat zwei erwachsene Töchter. Und auch wenn sie in unterschie­dlichen Städten studieren, so gilt für sie dasselbe wie für ihre Mutter und Großmutter: Waldniel ist ihre Heimat.

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FOTOS (3): NIOMANIKI Frauen aus drei Generation­en der Familie Niomanaki feiern 2020 Weihnachte­n (v.l.): Zoi Niomanaki, ihre Töchter Nepheli Olga Dolmatzi und Phaedra Dolmatzi sowie ihre Mutter Olga Niomanaki.
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FOTO: TRIANTAFIL­LIA PALESTI Ein weiterer Blick ins Fotoalbum von Familie Niomanaki zeigt die Vorbereitu­ngenzur Osterproze­ssion 1977.
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Olga Niomanaki bringtToch­ter Zoi 1972 zum Kindergart­en.

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