Nicht nur Hummels ist großer Stindl-Fan
Lars Stindl zählt nicht offiziell zu den Aussortierten. Als sich die deutsche Nationalmannschaft vor zwei Jahren in Russland bei der WM blamierte, lag er mit lädiertem Syndesmoseband auf dem Sofa. Da war er 29 Jahre alt, auf die Zielgerade des „besten Fußballeralters“eingebogen. Und wer Borussias Kapitän im Herbst 2020 beobachtet, der muss sich fragen, wie lang diese Gerade eigentlich ist. Nicht nur seine schwere Verletzung aus dem Frühjahr 2018 hat Stindl überwunden, auch nach einem Schienbeinbruch meldete er sich 2019 eindrucksvoll zurück.
Kein Gladbacher hat in diesem Kalenderjahr mehr Tore erzielt. Stindl steht bei 13, und in den zehn Spielen bis Weihnachten könnten noch einige folgen. „Von Lars Stindl bin ich absoluter Fan“, sagte BVB-Abwehrchef Mats Hummels im Podcast „Alleine ist schwer“, den er unter anderem mit seinem Bruder Jonas aufnimmt. „Der ist zwar da Kapitän, trotzdem hat man das Gefühl, dass andere im Fokus stehen“, sagte Hummels, der Ältere. „Er ist einer, den du als Mitspieler immer in deiner Mannschaft haben willst.“
Dieses Gefühl untermauern weniger die offensichtlichen Statistiken als die, an die man sich etwas heranrobben muss. Kurz vor seiner schweren Verletzung, die ihn die WM-Teilnahme kostete, war Stindl nach Kevin de Bruyne der Spieler in Europas Top-Ligen mit den meisten Pre-Assists, den vorletzten Pässen vor einem Tor. Diese Qualität blitzte im Endspurt der vergangenen Saison wieder auf. Acht Tore erzielte Borussia in den drei siegreichen Spielen am Ende, nur an einem war Stindl nicht wenigstens mit der Vorlage zur Vorlage beteiligt.
„Er ist ein sehr raffinierter Spieler mit unglaublicher Spielintelligenz und guter Orientierung im Raum“, umriss Bundestrainer Joachim Löw einst die Qualitäten, die Stindl glänzen lassen. Lobeshymnen sind in den vergangenen Jahren einige auf ihn gesungen worden. Stindls Innenseite bezeichnete Oscar Wendt einst als „die beste der Bundesliga“. Und in einer besonderen Huldigung kann man sogar übernachten, wenn nicht gerade Corona-Lockdown ist: Stindls Dreierpack in der Europa League gegen Florenz wurde ein
Raum im Borussia-Hotel neben dem Stadion gewidmet.
Dass Stindls Vertragsverlängerung über 2021 hinaus nur noch Formsache sein dürfte, ist kein Wunder. Unter Lucien Favre arbeitete er nur wenige Wochen, er wurde ab September 2015 zum Gesicht der PostFavre-Ära: mit dem ersten Champions-League-Tor gegen Manchester City unter André Schubert, mit seiner Comeback-Gala beim 3:0 gegen den FC Bayern unter Dieter Hecking, mit seiner Vorliebe für Auswärts-Doppelpacks unter Marco Rose und dem Nachweis, die Herangehensweise eines jeden Trainers adaptieren zu können.
Dass Stindl 2015 eher Christoph-Kramerals Max-Kruse-Nachfolger sein sollte, ist fast in Vergessenheit geraten, weil er sich nach schwierigem Start als falscher Neuner unverzichtbar machte. Wobei kaum eine Rollenzuteilung dem Stindl-Komplex gerecht wird. Bei 57 Toren in 180 Einsätzen für Borussia steht er. Verlängert Stindl, stehen die Chancen gut, dass er als bester Gladbach-Torschütze des 21. Jahrhunderts abtreten wird. Raffael ging im Sommer mit 71 Treffern auf dem Konto, die Top Ten der ewigen Torschützenliste hat er knapp verpasst.
In der Öffentlichkeit scheinen einige Protagonisten dieses dritten Champions-League-Kaders der Borussia-Historie heller als Stindl, in den sozialen Netzwerken hält sich der zweifache Familienvater zurück.
Letztens hatte er einen Auftritt in Marcus Thurams Instagram-Story – auf der Vespa. „Hey Capitano!“, rief Thuram aus dem Auto, während Stindl links abbog: „Bleib‘ zu Hause!“In dem Video zeigten sich gleichermaßen die Wertschätzung der Kollegen und Stindls unprätentiöse Art. Der Kapitän auf der Vespa. Nicht nur Mats Hummels würde sicher gerne mal eine Runde mit ihm drehen.
Matthias Ginter hat für Deutschland den Job gewechselt, er ging von innen nach rechts. Das kennt er aus Gladbach nicht, hier ist der 26-Jährige stets Innenverteidiger. Nur in drei seiner 113 Spiele war er das nicht, sondern Sechser. Ginter kann das auch sein, ebenso wie rechter Verteidiger. Bei Borussia Dortmund war er ein Wandler zwischen den Positionswelten, das missfiel ihm auf Dauer, er wollte sein Profil stärken. Deswegen wechselte er 2017 die Borussia. Bei der niederrheinischen bekam er, was er wollte: eine Festanstellung im Abwehrzentrum.
Da will er auch im Nationalteam am liebsten eine Führungsaufgabe übernehmen wie in Gladbach. Ginter hat sein Profil immer weiter geschärft, er gilt als meinungsstarker Profi, der auch mal unangenehme Wahrheiten aussprechen kann. „Stranzln“kann man so etwas in Bezug auf Borussia nennen, denn für Ginters Vorläufer, den granteligen Österreicher Martin Stranzl, war das die Paraderolle.
Dass Ginter, der 2014 zum Weltmeister-Kader gehörte und 2017 half, den Confed-Cup zu gewinnen, nun zu den Köpfen im DFB-Team gehört, zeigt die Tatsache, dass er einer derer war, die in dieser Länderspielpause nachreisen durften. Ginter, der Alles-Spieler in Gladbach, fehlte daher beim Tschechien-Spiel.
Nun gegen die Ukraine kehrte er zurück. Aber eben in anderer Rolle: als Rechtsverteidiger. Zum ersten Mal seit dem 13. Oktober 2018 übrigens spielte er das. Ginter nahm es wie gewohnt an: professionell und mit viel Qualität beackerte er die Außenbahn, lud seine Gegenspieler auch mal zum Tänzchen ein – und produzierte zudem einen Assist. Ginters Flanke verwertete Timo Werner zum 3:1.
Ginters Tat bekamen zwangsläufig auf einige Herren mit, deren Arbeitgeber Schachtjor Donezk ist. Der ukrainische Serienmeister ist Gladbachs nächster Gegner in der Champions League und sollte, was Ginter angeht, ein bisschen Muffensausen haben. Denn er kann die Ukraine. Beim 2:1 des DFB-Teams in Kiew schoss er ein Tor, an gleicher Stelle feierte er mit Borussia ein 6:0 gegen Donezk in der Königsklasse. Und nun der DFB-Scorerpunkt. Gegen eine Fortsetzung von Ginters ukrainischer Serie am 25. November gegen Donezk hätten die Borussen nichts einzuwenden. Dass er dann im Abwehrzentrum spielen wird, darf man voraussetzen.